Am Tag der wandelnden Seelen verbrennen Hongkonger Künstler*innen Protestkleidung, Winnie the Pooh und Wahlurnen

Papiergeld mit dem Gesicht der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam. Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Der folgende Beitrag ist die Übersetzung eines Artikels, der am 01. September 2020 bei Stand News auf Chinesisch veröffentlicht wurde. Er wird von Global Voices im Rahmen einer Content-Sharing-Partnerschaft herausgegeben.

Während des diesjährigen Tag der wandernden Seelen am 01. und 02. September nutzte eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern aus Hongkong die Gelegenheit, um ihren politischen Frustrationen Luft zu machen.

In der chinesischen Folklore ist der gesamte Monat Juli im chinesischen Mondkalender der Monat der Geister, während der Tag der wandernden Seelen entweder am vierzehnten oder am fünfzehnten Tag des Monats stattfindet.

Die Legende besagt, dass während des Geistermonats die Tore, die die bösen Reiche trennen, offen stehen und hungrige Seelen durch die Welt der Lebenden wandern. Einige nutzen die Gelegenheit, ihren Lieben einen Besuch abzustatten – oder sich an ihren Feinden zu rächen. Der Geistertag ist der Tag, an dem die Lebenden in der Lage sind, mit den Toten zu kommunizieren.

In vielen chinesischen Kulturen verbrennen die Menschen während des Geistermonats Weihrauch, Räucherstäbchen, Papiergeld , Kleidung, Gold und sogar Mobiltelefone aus Papier für die besuchenden Geister. Dieses traditionelle Ritual gilt als Demonstration des Respekts vor den eigenen Vorfahren – und als kathartische Befreiung von unterdrückten Gefühlen gegenüber den Toten.

Gemäß des Mondkalenders fällt der 14. Juli, der Tag der wandelnden Seelen, in diesem Jahr auf den 01. September und eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern aus Hongkong versammelte sich im Nullah Road Garden in der Prince Edward Road, um ihre handgemachten Papierkunstwerke zu verbrennen und den umherwandernden Seelen zu opfern. Die Aufführung, die seit 2016 vom lokalen Kunstkollektiv C&G Artparment geführt wird, ist politisch untermauert; sie heißt „Burning the audit book“ (燒數薄), was auf Kantonesisch umgangssprachlich auch „Fick deine Mutter“ bedeuten kann.

Kacey Wong fertigte zwei Sätze Schutzausrüstung für seinen zukünftigen Geist an. Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Der Künstler Kacey Wong stellte zwei Sätze Protestausrüstung her, die neben anderen Ausrüstungsgegenständen einen gelben Helm und eine Gasmaske enthielten, welche von den „Feuerzauberern“ – den Demonstrierenden, die Brandbomben werfen – und den „Rauchlöschteams“ – denjenigen, die auf die Entschärfung von Tränengaskanistern spezialisiert sind – verwendet wurden. Beide Gruppen standen an vorderster Front der ein Jahr andauernden Anti-Auslieferungs-Proteste in Hongkong.

Wong erläuterte die Idee hinter seinen Papierarbeiten:

滅煙小隊和火魔法師都是我非常敬佩的抗爭角色,他們冒住自己生命危險為香港民主自由奮鬥… 現實世界冇勇氣掟磚或汽油彈,但我希望死咗後做到,所以燒定比自己。

Ich bewundere die Fire Wizards (Feuerzauberer) und die Smoke Extinguishing Teams (Rauchlöschteams) sehr. Sie haben ihr Leben riskiert, um für Demokratie und Freiheit in Hongkong zu kämpfen (…). Im wirklichen Leben habe ich nicht den Mut, Ziegelsteine oder Brandbomben zu werfen, aber ich hoffe, dass ich das nach meinem Tod tun kann. Deshalb verbrenne ich jetzt etwas für meinen eigenen, zukünftigen Geist.

Wie Kacey Wong fertigte der Künstler Man Chan eine Reihe von Gammon-Bomben an. Er sagte:

現實世界中政權與人民武力不對等,便自製了手榴彈,希望可在陰間派上用場。

Im wirklichen Leben ist die Kampfkraft zwischen dem Staat und dem Volk zu ungleich, deshalb hoffe ich, dass die Gammon-Bomben zum Selbstschutz in den anderen Reichen eingesetzt werden können.

Die Gammonbomben des Künstlers Man Chan. Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Die Künstlerin Peggy Chan stellte drei Wahlurnen in Rot, Weiß und Blau her, den Farben der Französischen Revolution, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit symbolisieren. Chan sagte, die Wahlurnen sollen das Streben der Menschen nach universalem Wahlrecht zum Ausdruck bringen.

Darüber hinaus sind die drei Wahlurnen mit Zahlen beschriftet, die drei Vorfälle von großer Bedeutung für Hongkongs Bevölkerung repräsentieren: 8964, 721 und 831.

Die Wahlurnen der Künstlerin Peggy Chan. Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Die Zahl 8964 steht für den 04. Juni 1989, als eine Million Hongkongerinnen und Hongkonger als Reaktion auf die tödliche Niederschlagung friedlicher demokratischer Demonstrationen in Peking durch die chinesische Regierung protestierten.

Der 21. Juli 2019 ist das Datum des U-Bahn-Angriffs von Yuen Long , bei dem ein pekingfreundlicher Mob mit schweigender Zustimmung der Polizei U-Bahn-Passagiere angriff.

Und 831 steht für den Angriff auf die Prince Edward U-Bahn am 31. August 2019, bei dem die Bereitschaftspolizei gegen U-Bahn-Fahrgäste vorgingen, um Demonstrierende auf dem Heimweg festzunehmen.

Die Künstlerin sagte, die Erinnerungen an diese Vorfälle könne nicht ausgelöscht werden.

In der vergangenen Woche verhaftete die Hongkonger Polizei 12 Personen im Zusammenhang mit dem Vorfall in der U-Bahn Yuen Long wegen des Verdachts auf „Unruhen“. Unter den Festgenommenen befand sich auch der Abgeordnete Lam Cheuk-ting, der an diesem Tag von der pekingfreundlichen Mafia verletzt wurde. Aktivistinnen und Aktivisten beschuldigen die Polizei, die Geschichte umzuschreiben und die Opfer zu Henkern zu machen.

Der Künstler Li Man-ho stellte einen großen Winnie Puuh mit einem Streitkolben her. Diese Zeichentrickfigur wird von Netizens häufig benutzt, um den chinesischen Präsidenten Xi Jinping zu verspotten.

Winnie Puuh vom Künstler Li Man-ho. Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher genehmigung.

Weitere künstlerische Papierarbeiten mit starker politischer Symbolik wurden in Hongkong gesehen, wie Helme, Masken und Hirsche –  „einen Hirsch ein Pferd nennen” (calling a deer a horse) ist ein chinesisches Sprichwort, das bedeutet, Schwarz in Weiß zu verwandeln. Hirsche repräsentieren also die Wahrheit. Viele dieser Kunstwerke wurden mit Papiergeld verbrannt, das mit dem Gesicht von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam bedruckt war.

Clara, die Kuratorin von C&G Artparment, sagte, die satirische Aufführung sei eine Bühne für die Menschen, auf der sie ihre Unzufriedenheit äußern und Frustrationen loslassen könnten:

人間搵唔到人回應訴求,唯有試下其他渠道,例如陰間。

In der realen Welt antwortet niemand auf unsere Forderungen, so dass wir andere Kanäle suchen müssen, etwa die Kommunikation mit den Seelen.

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