Digitaler Diskurs: Wie dank des Internets Kadazan und andere indigene Sprachen in Borneo am Leben erhalten werden

Bildunterschrift: Foto von Jeannet Stephen. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Redaktioneller Hinweis: Vom 14. bis 20. April 2021 verfasste Jeannet Stephen Posts für den von verschiedenen Autoren betrieben Twitter-Account @AsiaLangsOnline, der sich der Frage widmet, wie Technologien beim Wiederbeleben asiatischer Sprachen helfen können. Erfahren Sie hier mehr über die Kampagne.

Während Jeannet Stephen an einer akademischen Abschlussarbeit schrieb, beobachtete sie das Phänomen namens Code-Switching (das Wechseln zwischen zwei oder mehreren Sprachen bzw. Sprachvarietäten während einer Konversation) bei einer indigenen Familie aus Kadazan, Malaysia. Sie ist selbst eine gebürtige Kadazanin und erkannte sofort Parallelen zu ihrer eigenen Erfahrung bezüglich dieser „passiven Zweisprachigkeit“, denn so wie viele andere Einheimische auch kann sie Tangaa‘ – auch Küsten-Kadazan-Dialekt genannt – zwar verstehen, jedoch nicht sprechen. Zum einen frustrierte es sie, ihre eigene Sprache nicht sprechen zu können, doch es motivierte sie gleichzeitig dazu, weiter zu lernen und auch andere Sprachgemeinschaften im Bundesstaat Sabah auf der zu Malaysia gehörenden Insel Borneo zu unterstützen.

Gemeinsam mit Mentoren und hilfsbereiten Freunden führte diese Motivation zur Gründung der Forschungsgruppe zur Sprache und Linguistik Sabahs an der Universität Malaysia-Sabah. Die Gruppe trat später dem Borneo-Institut zur Erforschung indigener Kulturen (Borneo Research Institute for Indigenous Studies, kurz BorIIS) als Teil der Arbeitsgruppe Sprache und Linguistik bei. Das Institut erforscht verschiedene Strategien, um regionale Sprachen wieder aufleben zu lassen. Vor Kurzem [Stand: 13.04.2021, Anm. d. Übersetzers] veranstaltete es ein Webinar in Kooperation mit Wikimedia Indonesien und der Indonesischen Planungsstelle für Sprachen zum Thema „Erhalt indigener Sprachen durch den Einsatz von Wikimedia-Projekten“. Es hat auch Materialien zur Kampagne „Informationen zu COVID-19 in indigenen, gefährdeten und unterrepräsentierten Sprachen“ vom sogenannten „Projekt für Gefährdete Sprachen“ beigesteuert, indem es Poster in den Sprachen Kadazandusun, Kadazan, Dusun, Rungus, Kimaragang, Tobilung, Murut und Bajau erstellt hat.

Rising Voices (RV): Wie steht es derzeit um Ihre Sprache, sowohl offline als auch online?

Jeannet Stephen (JS): Offline, if you go by the Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale (EGIDS), Kadazan is considered as 6b – Threatened. Ethnologue reports the size and vitality of Kadazan as ‘Endangered’ with that red color, which means it is no longer the norm for children to learn and use this language.

It is present online in one form or another. There are several Facebook groups that use a ‘Let’s Learn’ concept, where the members support each other by conversing in the language. Most recently, there has been active input online from the local Sabah Cultural Board on their social media platform. That is a positive development, especially when they involve the ethnic bodies or associations and the youths. There used to be an online version of a local newspaper that has indigenous language news columns, but sadly no more. The indigenous language page on another local daily also finally stopped last year.

Material-wise, in my opinion, Kadazan is quite [far] ahead compared to the other indigenous languages, in that it already has several printed dictionaries. There is also a dedicated radio channel in the language.

Jeannet Stephen (JS): Was offline angeht, so wird Kadazan nach der Erweiterten Bewertungsskala für Generationsübergreifende Veränderungen (Expanded Graded Intergenerational Disruption Scale, kurz EGIDS) als 6b – bedroht – eingestuft. Die ethnologische Referenzpublikation Ethnologue vergibt Kadazan bezüglich der Größe der Sprachgemeinschaft und Vitalität der Sprache die Farbe Rot für „gefährdet“, was bedeutet, dass es für Kinder nicht mehr die Norm darstellt, diese Sprache zu lernen und zu sprechen.

Online hingegen ist Kadazan mehr oder weniger präsent. Es gibt mehrere Facebook-Gruppen, die ein Selbstlernkonzept verfolgen und in denen sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen, indem sie sich in der Sprache unterhalten. In letzter Zeit postet auch die regionale Kulturkommission von Sabah auf ihrer Social-Media-Plattform sehr aktiv Inhalte. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, vor allem wenn ethnische Organisationen und Vereine sowie Jugendliche mit einbezogen werden. Es gab mal die Online-Version einer regionalen Zeitung, in der die Nachrichtensparte in indigenen Sprachen verfasste wurden, doch jetzt leider nicht mehr. Auch bei einer anderen regionalen Tageszeitung wurde letztes Jahr [Stand: 13.04.2021, Anm. d. Übersetzers] die Seite mit in indigener Sprache verfassten Nachrichtenmeldungen plötzlich eingestellt.

Bezüglich des verfügbaren Materials ist Kadazan meiner Meinung nach anderen indigenen Sprachen ziemlich weit voraus, da es bereits mehrere Wörterbücher in Printform gibt. Es gibt sogar einen Radiosender speziell in dieser Sprache.

RV: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Ihre Sprachgemeinschaft, wenn es um digitale Kommunikation oder die Erstellung digitaler Inhalte in ihrer Muttersprache geht?

JS: In my opinion, the biggest challenge would be perhaps in getting sustained interest [from the audience] to view digital content in indigenous languages, and for digital content creators to be motivated to continue creating digital content in the indigenous language.

Digital content creators are many, but a glance on YouTube shows sporadic uploads. I believe this is also because digital content needs audience for feedback and to motivate the content creators. Is there interest from the indigenous communities to hear or see their indigenous languages online? This is perhaps a question that the indigenous communities need to ask themselves because language champions cannot work in a vacuum, we need the indigenous communities too to be interested to champion their languages, to want to sustain their languages, and together, the collaboration will then be more successful, offline or online.

That is [when] we are talking about local indigenous viewers. On another hand, digital content need not be limited to just local viewers/audience from your neighborhood. The netizens of the world are [a] potential audience. If you make your content interesting and you have subtitles in English (or whatever language you aim to have viewers from), netizens from all over the world will be able to engage with your material.

Having said [this], digital content creators need good internet access, and especially in the rural areas where families are still using the indigenous language in their home as their first language (L1). So these challenges can be in the form of sustained interest, translation capacities, as well as internet access.

JS: Meiner Meinung nach ist die größte Herausforderung, bei einem Publikum dauerhaftes Interesse daran zu erzeugen, Inhalte in indigenen Sprachen zu konsumieren, und dass die Produzenten von digitalen Inhalten motiviert bleiben, diese zu erstellen.

Es gibt zahlreiche Produzenten solcher Inhalte, doch ein Blick auf YouTube zeigt, dass nur sporadisch Videos hochgeladen werden. Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass Zuschauer wichtig sind, um Feedback zu geben und die Content-Ersteller zu motivieren. Besteht Interesse seitens der indigenen Gemeinschaften, ihre indigenen Sprachen online zu hören oder zu sehen? Das ist womöglich eine Frage, die sich die indigenen Gemeinschaften selbst stellen müssen, denn die kreativen Köpfe, welche die Sprachen bewahren möchten, können nicht im luftleeren Raum arbeiten. Wir brauchen auch das Interesse der indigenen Gemeinschaften, sich für ihre Sprachen einzusetzen und sie erhalten zu wollen. Nur so erreichen wir eine erfolgreiche Zusammenarbeit, sowohl offline als auch online.

Bisher haben wir nur über lokale, einheimische Zuschauer gesprochen. Doch digitale Inhalte müssen sich nicht auf lokale Zuschauer bzw. Zuhörer aus der Nachbarschaft beschränken. Potentiell können Netzbürger aus der ganzen Welt zum Publikum werden. Wenn Inhalte interessant gestaltet und mit englischen Untertiteln (oder eine andere Sprache, je nachdem, welche Zuschauer angesprochen werden sollen) versehen werden, können Netzbürger aus aller Welt auf das Material zugreifen.

Allerdings benötigen die Produzenten von digitalen Inhalten einen zuverlässigen Internetzugang, vor allem in ländlichen Gebieten, in denen die Familien zu Hause ihre indigene Sprache noch immer als erste Sprache (L1) verwenden. Zusammengefasst sind die Herausforderungen also das anhaltende Interesse, die Übersetzungskompetenz und der Internetzugang.

RV: Welche Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um die Nutzung indigener Sprachen im Internet zu fördern?

JS: 1) Better internet access in all areas. 2) Training for content creators from the rural areas – perhaps provide them with internet data credit (and digital equipment, if they don’t have any e.g. smart phones). 3) Training for content creators to include translation of their contents into the national language or English. This is what digital content creators in Indonesia (the nearest example) do when they have content in their dialects. They include subtitles in Bahasa Indonesia. The topic could be any topic under the sun, but viewers need not be limited to just those who [can] speak [the language]. Perhaps collaboration can be made between digital content creators (those who are tech savvy) and those in their network who are fluent speakers to provide the translations. 4) Ethnic associations could pool their resources together to produce online newspapers in their indigenous languages.

JS: 1.) Ausbau des Internets in allen Gebieten. 2.) Schulungskurse für Content-Ersteller aus ländlichen Gebieten – eventuell Bereitstellung von Internet-Datenvolumen (und der nötigen Digitaltechnik, falls sie zum Beispiel kein Smartphone besitzen). 3.) Schulungskurse für Content-Ersteller, damit sie ihre Inhalte in die Landessprache oder ins Englische übersetzen. So machen es Kreativschaffende in Indonesien (ein Beispiel aus unmittelbarer Nähe) bei Inhalten, die sie in ihren Dialekten produzieren. Sie fügen Untertitel in Bahasa Indonesia hinzu. Dabei kann es sich um jedes erdenkliche Thema handeln, aber die Zuschauer müssen nicht auf diejenigen beschränkt sein, welche diesen speziellen Dialekt sprechen können. Vielleicht ist eine Zusammenarbeit zwischen Content-Erstellern (die technisch versiert sind) und Menschen in ihrem Netzwerk, die eine Sprache fließend beherrschen und die Untertitel erstellen können, möglich. 4.) Ethnische Verbände könnten ihre Ressourcen bündeln, um Online-Zeitungen in ihren indigenen Sprachen zu veröffentlichen.

RV: Was motiviert sie am meisten dazu, sich für die Verfügbarkeit Ihrer Sprache und Kultur im Internet einzusetzen?

JS: My primary motivation is to know that my identity as an indigenous person remains relevant even as time moves on. In the future, I hope to see the indigenous languages and culture move away from the labels of ‘threatened’ or ‘endangered’. Some may ask why, it is inevitable, they are not part of this modern era and we need to move on to catch up with the rest of the world. Precisely so, by using technology we can bring the indigenous languages to catch up to the times. The indigenous languages don’t have to stay in dusty cabinets. We can use technology to have our languages and cultures available online – for our young and old generations and for others to learn it as well. It has been done before by other communities, albeit with hard work and commitment.

JS: Am meisten motiviert mich die Gewissheit, dass meine Identität als indigene Person auch im Wandel der Zeit bestehen bleibt. Ich hoffe, dass die Sprachen und Kulturen der Einheimischen in Zukunft nicht mehr als „bedroht“ oder „gefährdet“ eingestuft werden. Einige Menschen fragen sich eventuell, wozu das Ganze, es ist unausweichlich, sie passen nicht in unsere moderne Zeit und wir müssen nach vorn blicken, um den Anschluss an den Rest der Welt nicht zu verlieren. Aber gerade dank der Technologie können indigene Sprachen ja Anschluss an unsere moderne Zeit finden. Indigene Sprachen müssen nicht in verstaubten Schränken weggeschlossen werden. Wir können die Technologie nutzen, um unsere Sprachen und Kulturen online verfügbar zu machen – für die junge und alte Generation und all jene, die diese Sprache lernen wollen. Andere Gemeinschaften haben dies bereits geschafft, auch wenn dies mit harter Arbeit und viel Fleiß verbunden ist.

Dieser Artikel ist von Rising Voices, einem Global Voices Projekt, das die Verbreitung von Bürgermedien an Orten unterstützt, an denen sie meist nicht verfügbar sind. Alle Artikel

Dieser Artikel wurde von Tom Klotzsche des FTSK in Germersheim im Rahmen einer Lehrveranstaltung von Dr. Anastasia Kalpakidou übersetzt.

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