Die Unterstützer*innen von Hongkongs antichinesischer Auslieferungsbewegung zählen rund ein Dutzend unnatürliche Todesfälle im Zusammenhang mit den Protesten des vergangenen Jahres.
Viele der Verstorbenen begingen Selbstmord – mindestens sechs Personen hinterließen Abschiedsbriefe, in denen sie ihre Unterstützung für die Proteste und ihre Frustration gegenüber der Regierung zum Ausdruck brachten.
Am schockierendsten waren der Tod von Marco Leung Ling-kit am 15. Juni und von Chow Tsz-lok am 3. November.
Marco Leung, 35, war der erste, der während der Proteste starb.
Er stürzte vom Dach des Pacific Place, einem Einkaufszentrum, als er am 15. Juni um 16.00 Uhr ein Protestbanner aufhing, eine Woche nachdem eine Demonstration von einer Million Menschen die Regieung nicht davon überzeugen konnte, den Gesetzesentwurf zurückzuziehen.
Marco Leung Ling-kit ( 梁凌杰 )
2019-06-15 Passing away 1 Year ?
Black shirt + White ribbon ??#StandWithHongKong ??♀️??♀️ pic.twitter.com/kYATHxtIX7— Apple (@Apple68335100) June 14, 2020
Marco Leung Ling-kit ( 梁凌杰 )
2019-06-15 Gestorben vor 1 Jahr ?
Schwarzes Hemd + Weißes Band ??#StandWithHongKong ??♀️??♀️ pic.twitter.com/kYATHxtIX7— Apple (@Apple68335100) 14. Juni 2020
Leung trug einen gelben Regenmantel mit den Worten “(Regierungschefin) Carrie Lam tötet Hongkong, die Polizisten sind gefühllos.“ (林鄭殺港 黑警冷血).
Auf dem Banner schrieb er:
全面撤回送中。我們不是暴動。釋放學生 傷者。林鄭下台。Help Hong Kong。
反送中 No EXTRADITION TO CHINA。MAKE LOVE No shoot!
Vollständige Rücknahme des chinesischen Auslieferungsgesetzes. Wir sind keine Randalierer. Lassen Sie die Studenten und die Verletzten frei. Rücktritt Carrie Lam. Helfen Sie Hongkong. Keine Auslieferung an China. Liebt einander, nicht schießen!
Die Regierung von Hongkong weigerte sich weiterhin, die Gesetzesvorlage für Rechtsbeihilfe in Strafsachen (Änderung) Gesetz 2019, besser bekannt als das chinesische Auslieferungsgesetz, zurückzuziehen.
Daraufhin stürmten am 12. Juni Tausende von Demonstranten den Legislativrat (Legislative Council, kurz LegCo).
Die Bereitschaftspolizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen hart gegen die Demonstrierenden vor. Die Behörden bezeichneten die Proteste als Aufruhr, eine Definition, die den Protestierenden Strafen von bis zu zehn Jahren Gefängnis androht.
Der Einzelprotest von Marco Leung war eine Reaktion auf die Weigerung der Regierung, die Forderungen der Menschen zu akzeptieren und die Bürger*innen als Randalierer zu bezeichnen.
Er stürzte zu Tode, nachdem ein Rettungsteam versucht hatte, ihn in das Einkaufszentrum hineinzuziehen. Der Tod Leungs erschütterte ganz Hongkong.
Am folgenden Tag gingen zwei Millionen Menschen auf die Straße und forderten Carrie Lam auf, von ihrem Amt als Regierungschefin zurückzutreten. Weiterhin wurden fünf weitere Forderungen, die sich in Leungs letzter Stellungnahme widerspiegelten, aufgestellt: vollständiger Rückzug des chinesischen Auslieferungsgesetzes! Hören Sie auf, Proteste als Krawalle zu bezeichnen! Lassen Sie die Anklage gegen Demonstrierende fallen! Führen Sie unabhängige Untersuchungen über den exzessiven Einsatz von Polizeigewalt durch! Führen Sie das allgemeine Wahlrecht sowohl für den Legislativrat als auch für den Chef der Exekutive ein!
Seit seinem Tod ist Leungs gelber Regenmantel zu einem Protestsymbol geworden, während die Demonstrierenden schworen, seinen Weg weiterzugehen und die Erfüllung seiner Forderungen zu erzwingen.
梁凌杰 1984/3/7 – 2019/6/15
享年35歲。? pic.twitter.com/CAVJm96Syu— Huckebein (@JOSHUAHUCKEBEIN) June 15, 2020
Leung Ling-kit. 1984/3/7 – 2019/6/15. 35 Jahre alt
It had been a year since you left us. I remeber that you were the first person who say Five Demand. Hong Kongers never forget. 梁凌杰義士,他是被政權推下去。 未能忘記,亦不會忘記. pic.twitter.com/9E71RUM4th
— Linghk??❤ (@lingliberaty) June 15, 2020
Es ist jetzt ein Jahr her, dass du uns verlassen haben. Ich erinnere mich, dass du die erste Person warst, die die Fünf Forderungen formuliert hat. Hongkonger vergessen nie. Marco Leung Ling-kit, ein Kämpfer für Gerechtigkeit, wurde vom Regime zum Sturz gedrängt. Ich kann nicht vergessen und werde es nie vergessen.
Die Behörden verschleppen die Entscheidung
Ein weiterer Demonstrant, Chow Tsz-Lok, 22, stürzte gegen Mitternacht am 08. November 2019 während einer Aktion der Bereitschaftspolizei von einem Parkhaus.
Sein Tod war deshalb verdächtig, weil Chow Textnachrichten an Mitprotestierende verschickte, die Informationen über den Aufenthaltsort der Bereitschaftspolizei zum Zeitpunkt seines Todes enthielten.
Zudem fiel er nur von der dritten auf die zweite Etage des Parkhauses – also nur wenige Meter hoch. Viele glauben, er wurde ermordet.
Der Coroner's Court (Gericht zur Untersuchung von Todesursachen) muss noch die Untersuchungen zu den Ursachen und Umständen der Todesfälle von Leung und Chow einleiten.
Leungs Vater erzählte Journalist*innen, die Polizei in Hongkong habe die Übergabe des Untersuchungsberichts an das Gericht verzögert.
Vor dem Jahrestag des tragischen Sturzes von Marco Leung forderte die Civil Human Rights Front (etwa: Bewegung für Bürgerrechte), eine Koalition lokaler Nichtregierungsorganisationen, die Bürger*innen auf, Leung zu gedenken, indem sie Blumen vor dem Einkaufszentrum Pacific Place niederlegen.
Tausende folgten dem Aufruf, trotz der starken Präsenz der Bereitschaftspolizei.
We shall never forget! https://t.co/xGfGZCji2Y
— HK dreamer (@hkfajie) June 15, 2020
Wir werden niemals vergessen! https://t.co/xGfGZCji2Y
15/06
17:20金鐘現場 pic.twitter.com/Ex5ycQvAbw— 貓婆婆(1) (@chowkinwah2) June 15, 2020
Schließlich wurde die Schlange so lang, dass man zwei Stunden warten musste, um die Blumen vor dem Einkaufszentrum niederzulegen.
#hk – the queue to pay tribute to deceased protester Leung Ling-kit extending all the way from Pacific Place to Hong Kong Park pic.twitter.com/nbQdL4tazA
— Lok. (@sumlokkei) June 15, 2020
#hk – die Schlange zur Ehrung des verstorbenen Demonstranten Leung Ling-kit, die sich den ganzen Weg vom Pacific Place bis zum Hong Kong Park erstreckt
Die Menschenmassen hielten sich bis in die frühen Morgenstunden des 16. Juni vor dem Einkaufszentrum auf, während pro-demokratische Bezirksräte in anderen Teilen der Stadt provisorische Gedenkstätten errichteten, um den Anwohner*innen die Möglichkeit zu bieten, an dem Gedenken teilzunehmen.