Netzbürger-Report: Durchgesickerte Dokumente offenbaren ungeheuerlichen Machtmissbrauch durch Verhaftung von Twitter-Nutzern in Venezuela

Protest in Venezuela. Photo by Gabriel Bastidas (@Gbastidas) via Twitter.

Demonstration in Venezuela. Foto: Gabriel Bastidas (@Gbastidas), via Twitter.

Ellery Roberts Biddle, Marianne Diaz, Weiping Li, Hae-in Lim und Sarah Myers West haben zu diesem Bericht beigetragen.

Der Netzbürger-Report von Global Voices Advocacy ist eine internationale Momentaufnahme von Herausforderungen, Siegen und neuen Trends im weltweiten Internetrecht.

Im Oktober 2014 wurden in Venezuela mehrere Twitter-Nutzer verhaftet, kurz nach der Ermordung von Robert Serra, einem jungen Abgeordneten der Nationalversammlung, der am 1. Oktober 2014 in seiner Wohnung niedergestochen worden ist.

Aber es gab nur spärliche Informationen über diesen Fall und auch die lokale Presse hat kaum berichtet. Bis zur vergangenen Woche: Durchgesickerte Dokumente bestätigen die Identitäten, die Orte und andere Einzelheiten über die acht in Verbindung mit dem Mord an Serra verhafteten Twitter-Nutzer. Die ans Tageslicht gekommenen Unterlagen schockieren die in zunehmenden Maße kampfbereite politische Führungsschicht des Landes. Die Dokumente bestätigen, dass die Twitter-Nutzer von Agenten des Inlandsgeheimdienstes verhaftet worden sind und dass keiner der Inhaftierten bis jetzt vor Gericht stand. Zwischenzeitlich sind zwar vier aus ihrer Haft entlassen worden, aber die anderen vier sind nach wie vor im Gefängnis.

Ein durchgesickerter Bericht, der dem Nachrichtenportal Runrun.es zugespielt worden ist bestätigt, dass Venezuelas Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (CONATEL) Beamte mit Identitätsnachweisen, IP-Adressen und anderen Details versorgt hat, um bei der Lokalisierung und Verhaftung der Nutzer behilflich zu sein. Dieser Bericht trägt das Datum des 12. Juni 2014, um den Anschein zu erwecken, dass die Verfolgungsbeamten die Nutzer bereits weit vor Serras Tod im Oktober 2014 im Visier hatten. Der Bericht zeigt auch, dass die Ermordung lediglich als Vorwand für die Verhaftungen gedient hat.

Unter den ins Visier genommenen ist Inés González (@inesitaterrible), eine promovierte Chemikerin. González ist wegen Aufhetzung und Beleidigung eines Beamten angeklagt worden. Sie bleibt hinter Gittern, trotz der Tatsache, dass die Behörden nicht einmal den Versuch unternommen haben, Argumente vorzubringen, wonach sie in irgendwelche illegalen Aktivitäten verstrickt sei. Victor Ugas, dessen Nutzerkonto geschlossen und von einem anderen Mann des selben Namens übernommen wurde, ist erst in der vergangenen Woche aus seiner Haft entlassen worden, nachdem er fast neun Monate lang inhaftiert war, weil er ein Foto von Robert Serras Leiche bei Twitter veröffentlicht hatte, das angeblich im Leichenschauhaus aufgenommen worden sein soll.

Seitdem das Gesetz über soziale Verantwortung in Radio, Fernsehen und elektronischen Medien beschlossen worden ist, hatte CONATEL die Macht, Webinhalte ohne gerichtlichen Beschluss zu blockieren. Obwohl Venezuelas Regierung schon in der Vergangenheit dazu neigte, Nutzer sozialer Medien zu inhaftieren, gewinnt man den Eindruck, dass sich im vergangen Jahr ihre Politik weiter verschärft hat mit einer Welle der Sperrung von Webseiten im Zusammenhang mit der Legalisierung des US-Dollar-Schwarzmarktes; außerdem spricht das im letzten Jahr auf dem Höhepunkt der Studentenproteste beobachtete Herausfiltern von Kurznachrichten für diese Vermutung.

Wichtiges vom Hacking Team Hack

Eine unbekannte Person hat die Computersysteme des italienischen Herstellers von Überwachungssoftware, Hacking Team, gehacked. Insgesamt wurden Dokumente im Volumen von 400 GB erbeutet, darunter E-Mails und Zahlungsdaten des Unternehmens, das seine Produkte hauptsächlich an staatliche Organisationen verkauft. Hier ist ein kurzer Überblick über das Wichtigste, der Datenbestand kann bei WikiLeaks durchsucht werden:

  • Hacking Team hat seine Software an viele Regierungen im Mittleren Osten und in Afrika verkauft, einschließlich Äthiopien, Saudi-Arabien, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Marokko und Ägypten.
  • Es scheint so als habe Hacking Team UN-Sanktionen verletzt, wonach die Lieferung von Waffen an Sudan verhindert werden soll. Das Unternehmen soll auch EU-Sanktionen gegen Russland missachtet haben.
  • Hacking Teams größter Kunde für Überwachungssoftware war Mexiko. Militärgeheimdienste, Bundespolizei und eine Reihe von Staatsregierungen kauften die Software, einige von ihnen hatten nicht das Recht, diese Form der Überwachung durchzuführen.
  • In Equador waren drei Webseiten von wiederholten Denial of Service-Attacken auf ihre Server betroffen, nachdem sie Artikel über die Verträge zwischen Equadors Regierungsbehörden und Hacking Team veröffentlicht hatten.
  • Die erbeuteten Dokumente offenbaren Sicherheitslücken in der Adobe Flashplayer-Software, die Computer gefährden können. Hier sind zwei nützliche Hinweise, wie Flash unter Windows und Mac deaktiviert werden kann.

Chinesische Firewall legalisieren

Obwohl die Regierung Chinas in weiten Teilen der Welt für seine Zensur berüchtigt ist, haben Behördenvertreter bei vielen Anlässen abgestritten, dass die Regierung aus überseeischen Webplattformen Inhalte herausfiltert oder blockiert. Ein neuer Gesetzentwurf zur Internetsicherheit kann Abhilfe schaffen. Dieses Gesetz würde Chinas Projekt Goldener Schild legalisieren, um den Zugang zu Informationen zu sperren, von denen die Behörden meinen, sie würden lokale Gesetze verletzen. Dieses Gesetz sei ein Teil der Bemühungen, das Internet für Chinas Bevölkerung und Regierung zu einem “sicheren und harmonischen” Ort zu machen.

Der Gesetzentwurf berührt noch viele andere Gesichtspunkte des digitalen Lebens, nämlich: Er erlaubt chinesischen Behörden, den Zugang zum Internet zu sperren, um im Falle plötzlicher Ereignisse die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, wie es 2009 nach tödlich verlaufenen ethnisch motivierten Unruhen in Urumqi geschah. Außerdem würde das Gesetz Internetserviceanbieter und Plattformen dazu verpflichten,  Nutzeraktivitäten zu beobachten und gesetzlich verbotene Inhalte zu entfernen. Es würde auch zu einer Wiederbelebung und erheblichen Verschärfung der Vorschriften zur Registrierung mit dem richtigen Namen führen. Netzwerkbetreiber müssten dann Nutzern den Zugang zu ihren Diensten verweigern, die nicht ihre wahre Identität preisgeben.

Schwuler Amor ist nicht okay? LGBT Dating-Apps aus Südkorea rausgeschmissen

Samsung und Google haben einige ausgewählte LGBT Dating-Apps von ihren Seiten in Südkorea verbannt. Das dort ansässige Unternehmen Samsung sagt, es habe derartige Inhalte wegen der Wertvorstellungen lokaler Kunden eingeschränkt. Der Anwalt und Aktivist für Meinungsfreiheit Kyungsin Park sagt, es gäbe für diese Sperrungen keine gesetzliche Basis, aber “das große Problem mit staatlicher oder privater Zensur ist, dass alles was LGBT betrifft, automatisch als jugendgefährdend eingestuft wird”.

Auf Russlands Geheiß entfernt GoDaddy Webseite einer ukrainischen Bürgerrechtsorganisation

Die Webseite des Maidan Beobachtungs- und Informationszentrums, einer ukrainischen Organisation zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und der Demokratie, ist nach einer Aufforderung durch Russlands Aufsichtsbehörde für Kommunikation und Informationstechnologie kürzlich gesperrt worden. Die Bürgerrechtsgruppe stellte wiederholt Anfragen an Wild West Domains, einer Tochtergesellschaft von GoDaddy, erhielt jedoch keine Antworten. Das ist im doppelten Sinne ironisch, weil sich die Nichtregierungsorganisation bewusst für einen US-amerikanischen Registrar entschieden hatte, um eine Zensur zu vermeiden, so wie ihr Direktor sagte: “Nach der politischen Revolution im März 2014 waren die Bedrohungen durch die ukrainische Zensur verschwunden, aber jetzt und das ist die Ironie, werden wir von einem in den Vereinigten Staaten ansässigen Unternehmen zensiert”. Allerdings war die Webseite wieder online, als The Daily Best eine Anfrage an GoDaddy stellte.

Russlands Recht auf Vergessenwerden

Das russische Parlament hat mit überwältigender Mehrheit einen Gesetzentwurf für das Recht auf Vergessenwerden beschlossen. Auf dieser Grundlage können bei den Suchmaschinen Löschanträge für Links gestellt werden, die auf Inhalte verweisen, die nicht vertrauenswürdig, nicht länger wichtig, oder gesetzeswidrig seien. Wie in der vergangenen Woche von uns erwähnt, wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes zwar eingeschränkt, ist aber immer noch größer als in der Rechtsprechung der Europäischen Union. Außerdem enthält das neue Gesetz Regelungen, die im Widerspruch zur Meinungsfreiheit stehen. Das Gesetz wird im Januar 2016 wirksam werden.

Thailand: Nachrichtenportal wegen Berichterstattung über Rohingya geschlossen

Das preisgekrönte thailändische Nachrichtenportal Phuketwan ist dazu gezwungen worden, seine Seite zu schließen, weil zwei Journalisten auf Antrag der Royal Thai Navy wegen des Vorwurfs der Diffamierung vor Gericht stehen. Alan Morison und Chutima Sadasathian könnten bis zu sieben Jahren Gefängnis bekommen, weil sie einen einzigen Absatz aus einem von Reuters veröffentlichten und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Artikel zitierten, der sich mit der Notlage von Rohingya-Flüchtlingen befasst. Man weiß nicht, wann die Webseite wieder erreichbar sein wird.

Australische Künstlerin wegen böser Wörter bei Facebook aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgewiesen

Jodi Magi, eine in Abu Dhabi lebende Australierin, war wegen des Schreibens böser Wörter inhaftiert. Sie veröffentlichte bei Facebook das Foto eines Autos (dessen Nummernschild unkenntlich gemacht war), das auf zwei Behindertenparkplätzen quer stand.

Pirate Bay Four in Belgien freigesprochen

Ein belgisches Gericht hat die sogenannte Pirate Bay Four unter anderem von dem Vorwurf freigesprochen, auf kriminelle Weise das Urheberrecht verletzt und elektronische Kommunikationsmedien missbräuchlich verwendet zu haben. Die Mitgründer Gottfrid Svartholm und Fredrik Neij, der frühere Pressesprecher Peter Sunde und Carl Lundström, ein Investor, bestritten noch etwas mit der Seite zu tun zu haben, nachdem sie im Jahre 2006 an Reservella verkauft worden ist, einem auf dem Seychellen ansässigen Unternehmen.

Massive DDoS-Attacke hat Telegram schwer getroffen

Telegram, ein verschlüsselter Messenger, ist möglicherweise Opfer einer verteilten DDoS-Attacke geworden. Der Dienst bemerkte einen starken Anstieg des Besucherverkehrs, wodurch etwa 30 Prozent seiner Nutzer in Asien Fehlerhinweise bekamen. Die staatliche chinesische Tageszeitung The People's Daily nennt diese App ein regierungsfeindliches Instrument, nachdem bei einigen von der Regierung verhafteten Menschenrechtsanwälten festgestellt worden ist, dass sie von ihnen zur Kommuniaktion benutzt wird. Telegram ist auch bei Pawel Durow gefunden worden, dem früheren Chef von Russlands größtem sozialen Netzwerk, VKontakte.

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