António Aly Silva ist der aktivste und bekannteste Blogger in Guinea-Bissau. Er hat den Blog Ditadura do Consenso [“Konsensdiktatur”] seit 2004 aufrechterhalten. Nach einer Pause im Jahr 2007, als er seinen Schwerpunkt von Bürgermedien auf Ölgemälde und Pinsel verlagerte, aktualisiert er sein Blog seit 2008 nonstop. Aly begann, vom mobilen Internet Gebrauch zu machen und sagt, dass “man jetzt jeder Zeit bloggen kann. Etwas passiert, Ditadura do Consenso hört zu, bestätigt es zusammen mit ein paar anderen Quellen und berichtet. Einfach und direkt. Und effektiv.”
Oft in anderen Blogs erwähnt, bestätigt Aly, dass “man in einem Krieg angreift und selbst angegriffen wird” und er gibt zu, dass was die Leute normalerweise über ihn schreiben so deprimierend ist, dass es ihn zum lachen bringt. Nichtsdestotrotz, meint er, dass er “mehr gegeben als genommen hat”; er unterstützt immer die Idee, dass “die Würde eines Menschen angegriffen, mutwillig zerstört, grausam verspottet werden kann, man sie ihm oder ihr aber nicht entziehen kann, außer wenn dieser Mensch aufgibt”.
Global Voices versucht zu verstehen, wie es ist, ein subversiver Blogger in Guinea-Bissau zu sein.
Global Voices Online: Der Blog Ditadura do Consenso ist zweifellos eine Protestwaffe. Wogegen soll sie kämpfen? Wie effektiv oder gefährlich ist diese Waffe?
António Aly Silva: Ich sage immer zum Spaß, dass mein Blog eine Massenvernichtungswaffe ist! Und ich sage auch, dass das Intenet “schlimmer als K0mmunisten” ist… In Wahrheit ist mein Blog dazu da, gegen alles, was sich bewegt – wenn es sich nicht richtig bewegt – zu protestieren. Ich kam einfach so auf den Titel, ich glaube ich war gerade dabei, eine Zeitung zu lesen. Guinea-Bissau befindet sich nicht unter einer Diktatur – stellen Sie sich nur vor, wenn es so wäre! –, aber es scheint so, als gäbe es einen Konsens in der Weise, wie die Guinea-Bissauer die Regierenden betrachten. Zu regieren – wie sie es sehen – bedeutet Macht, nicht Autorität. Einer der regiert hat Macht und viele, die Autorität haben, regieren über nichts. Das ist komisch, aber so laufen die Dinge hier. Und auch deshalb – oder vielleicht deshalb – wurde der Blog zu einer sehr effektiven Waffe. Natürlich ersetzt er nicht die Gerechtigkeit, aber er hat viele dazu beigetragen, die Gerechtigkeit zu untersuchen. Nach einem Fall über den ich berichtete, wurden ungefähr 25 Menschen auf einmal verhaftet, für relativ lange Zeit.
GVO: Laut einem Post, der im September veröffentlicht wurde, gibt es Tage, an denen der Blog über 3000 Besucher hat. Wo kommen diese Besucher her? Welche Themen suchen sie?
AAS: Ja. Komischerweise schaute ich letzte Woche zum ersten Mal auf die Statistiken. Und ich tat es, weil ein Freund mich fragte “Hey, haben viele Leute deinen Blog besucht?”. Zum ersten Mal seit 2004(!) schaute ich auf die Statistiken: täglich besuchen mindestens 2500 Menschen meinen Blog. Die Leute hier sind neugierig und die Szene ist begrenzt. Morgens in einem Café gibt es kein anderes Thema als Politik, Politik und nochmals Politik. Nachmittags, genau das gleiche. “Dieser ist auf dem absteigenden Ast, der hier wurde eingeliefert, der andere wurde verhaftet”, und so weiter und so fort. Nichtsdestotrotz gab es Posts, die mehr Publikum anzogen als andere. Zum Beispiel, während den Morden des Stabschefs der Armee, Tagmé Na Waié und des Präsidenten ‘Nino’ Vieira, als man 8000 Besuche auf dem Blog erreichte. In Bissau waren alle auf der Straße und sie hatten die Posts ausgedruckt. Ich wurde von Hand zu Hand “durchgereicht”. Es war etwas angsteinflößend, “mich” in jeder Ecke zu sehen. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Bescheidenheit beseite; ich gebe zu, dass mein Blog der meist besuchte in dieser Region ist. Ich bin mir da sehr sicher.
GVO: Die Leser werden oft selbst zu Schriftstellern für Ditadura do Consenso, mittels Posts von Gästen, die du dann veröffentlichst. Wie wird diese Verbindung hergestellt?
AAS: Ich veröffentliche manche Briefe, aber die Leute dürfen keine Kommentare schreiben. Meine Idee war es, nie zu trivialisieren, sondern ein Gleichgewicht zu suchen. Mir ist es lieber, alleine die Verantwortung für alles, was veröffentlicht wird, zu tragen. Es ist einfach, einen Blog zu schaffen, ihn zu leiten kann kompliziert sein. Man kann es kaum glauben, aber, um einen Blog instand zu halten, braucht man Zeit, auch wenn wir hier nicht zu viel Zeit übrig haben. Ich sage es nur zum Spaß: “Europäer haben Uhren, aber wir haben Zeit!”. Ein weiteres Beispiel: Ich bekomme E-Mails von Menschen, die sich darüber beklagen, dass ich “nicht mehr veröffentliche” oder, dass “ich schon seit zwei/drei Tagen kein Post mehr veröffentlicht habe. Du hast dazu kein Recht!” – stellen Sie sich das vor. Einige haben sich Sorgen über meine Sicherheit gemacht, andere schlagen vor, dass ich “das Land verlassen sollte”, weil sie mich jeden Morgen lesen wollen. Für mich ist das sehr ermutigend.
GVO: Also, sind die Bürger von Guinea-Bissau schon Teil der online-“Arena”?
AAS: In Guinea-Bissau haben viele Leute Internetzugang. Mehr als wir glauben. Guinea-Bissau steht stolz an zweiter Stelle in der Liste der Länder, wo mein Blog am meisten gelesen wird. Und das ist eine gute Nachricht für mich. Silber, aber immerhin eine Medaille… Wenn, wie es in Kap Verde der Fall ist, kostenloses Wireless-Intenet in manchen Stadtteilen installieren werden würden, hätten viel mehr Menschen Internetzugang. Die im Ausland lebenden haben wegen den Möglichkeiten außerhalb des Landes mehr Zugang, aber nur ein wenig. Vor allem die Guinea-Bissauer, die im Ausland leben, sind nostalgisch. Diejenigen, die außerhalb leben, bewahren eine Beziehung zu ihrem Land, das ist beeindruckend. Außergewöhnlich, wirklich.
GVO: Denkst du, dass die Tatsache, dass du Portuguiesisch als Sprache für deinen Blog ausgesucht hast, dafür sorgt, einen größere Menschenmenge zu erreichen, oder könnte es ein Hindernis für die Verbreitung der berichteten Anklagen sein?
AAS: Ich habe nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, in einer anderen Sprache als Portuguiesich zu schreiben. Ich bin Journalist und wegen der Fachausdrücke fällt es mir einfacher, mich in der Spache von Camões auszudrücken. Die Wahrheit ist, dass ich viele Menschen erreicht habe; die Zahlen sprechen für sich. Und die Anklagen, die ich äußere, werden normalerweise gut angenommen. Sie wissen schon, vor allem hier in Guinea-Bissau, haben die Leute die Nase voll von Dieben und von Leuten, die ihnen Böses antun. Aber sie lassen es durchgehen. Aber sie sind selbstzufrieden. Sie leiden in der Stille und der Dunkelheit ihrer Häuser.
GVO:Du hast offene Briefe veröffentlicht, die an Regierungsorgane gerichtet waren, um die sozialen und politischen Angelegenheiten des Landes zu schildern, und auch Angelegenheiten von Bürgern, die außerhalb des Landes leben, wie der Fall von den Studenten aus Guinea-Bissau, die in Armut in Russland leben. Also, gibt es einen Dialog?
AAS: Ich habe so viele von denen veröffentlicht, dass ich gar nicht mehr weiß, wie viele es sind. Dialog – ein komisches Wort hier… – er kommt manchmal zustande. Der Fall der Studenten in Russland ist ein aktuelles Beispiel. Die Regierung von Guinea-Bissau machte einen Schritt, aber nur einen kleinen… Die normalen Bürger setzten ein gutes Beispiel. Aus der Schweiz bat jemand um Kontakt und versprach, die Guinea-Bissauer zu versammeln, und zu helfen. Sogar in Russland halfen Kommilitonen der Universität aus verschiedenen Ländern, die Rückkehr möglich zu machen. Mein Blog wurde mehrmals im Parlament erwähnt. Der Blog wird offensichtlich in Bereichen, wo man wichtige Entscheidungen trifft, konsultiert, er entscheidet sogar das Thema der Diskussionen, die früh am morgen in Ministerien stattfinden. Jeden Tag. Und die Leute danken mir auf der Straße, wir geben uns die Hand, sie danken mir und geben mir einen Kuss auf die Wange. Manchmal ist es, als wäre ich ein Rockstar! Und da mein Leben etwas einsam ist, ist es schön…
GVO:Wie füllt die Blogosphäre in Guiniea-Bissau eine aktive und relevante Rolle aus, angesichts der aufeinanderfolgenden Coups der letzen Jahre?
AAS: Es gibt wenige Blogs hier, glaube ich. Meiner ist offensichtlich der bekannteste, weil es der erste war, und vor allem wegen der kritischen Sicht des Systems, aller Systeme, die eine negative Haltung haben. Ich habe die Morde des ehemaligen Stabschefs der Armee, Verissímo Seabra und des Oberst Domingos Barros aus der Nähe verfolgt; die ganze Welt hat meinen Blog gelesen als der Präsident ‘Nino’ Vieira ermordet wurde [pt]; ich warnte vor dem Risiko eines militärischen Aufstands – was zu einem “Vorfall” wurde – am ersten April. Alles was in den letzen vier Jahren in diesem Land passiert ist – Siege, Niederlagen und Tragödien wie diese – kamen auf mein Blog. Mit Namen und Gesichtern.
GVO: Die meisten deiner Leser raten dir, bei deinen Äußerungen vorsichtig zu sein. Glaubst du es gibt Meinungsfreiheit in Guinea-Bissau?
AAS: Meine Leser – vor allem meine treuen Anhänger – sind mir lieb. Natürlich machen sie sich Sorgen, und ich danke ihnen dafür. Nichtsdestotrotz muss klar sein: keiner ist hier sicher, in diesem Land. Keiner! Wenn es keine Meinungsfreiheit gibt… müssen wir sie durchsetzen! Sie können uns nicht alle verhaften, weil es dafür nicht genügend Gefängnisse gibt. Es bleibt ihnen nur noch, zu versuchen zu vermeiden, dass ein Dokument nicht an die Öffentlichkeit kommt, was dasselbe ist wie zu sagen, “dass es nicht auf Ditadura do Consenso kommen wird”. Aber es gibt immer ein neues Dokument, das uns irgendwie in die Hände fällt und letztendlich veröffentlicht wird. Manchmal ist es lustig und wir reißen Witze. Ein andermal ist es gar nicht witzig. Wenn du verfolgt wirst oder wenn sie dich früh am morgen “besuchen”, fragst du dich, ob es noch einen Sinn macht, weiterzumachen. Aber, wenn Sie es wirklich wissen wollen, glaube ich, dass es alles Wert ist, wenn wir es versuchen. Es ist kein Zufall, dass ich dises Zitat von Oskar Wild sehr schätze: “Die einzige Weise, einer Versuchung zu entfliehen, ist nachzugeben.”
Biografische Notiz: Während des Bürgerkrieges von 1998/99 in Guinea-Bissau begann António Aly Silva, ein professioneller Journalist, als Berichterstatter für mehrere Zeitungen und Radiosender in Europa zu arbeiten und berichtete über den politischen und militärischen Konflikt, der sich entfaltete. In Portugal arbeitete er für die Wochenzeitung O Independente und Visão [pt], und entwickelte die vierzehntägig erscheinende Zeitung «Lusófono» [“Lusophone”] in Lissabon, die sich an Menschen in PALOP-Ländern richtet. Er ist außerdem Autor mehrerer Berichte aus Simbabwe, Sierra Leone und Guinea-Bissau.