Die unfassbare Tragödie der 28 mauretanischen Soldaten, die am Tag der Unabhängigkeit hingerichtet wurden

Screenshot der 28 Soldaten, die am Tag der Unabhängigkeit hingerichtet wurden. Video veröffentlicht von Ibrahima Sow.

Am 28. November 1990 wurden 28 Männer in Inal, Mauretanien, mitten in der Nacht von ihren Kameraden in einem Gefängnis erhängt. Sie wurden gezielt ausgesucht und nacheinander getötet, nachdem sie beschuldigt worden waren, einen Putsch gegen die Regierung geplant zu haben.

Dieser Tag, der gleichzeitig auch für die Unabhängigkeit Mauretaniens von Frankreich im Jahr 1960 steht, lässt heute noch vielen Mauretaniern keine Ruhe, die Gerechtigkeit für die gewaltsame Tötung der 28 Männer, alle Schwarzafrikaner, suchen.

Die Bevölkerung des westafrikanischen Landes Mauretanien setzt sich zusammen aus arabisch-berberischen und schwarzen Afrikanern. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Schwarzafrikaner seit langer Zeit unter Diskriminierung und Ausbeutung leiden.

Der Vorsitzende der Kommission Inal-France, Youba Dianka, erklärt:

Je tiens à préciser qu’Inal n’est qu’un exemple; il y a eu plusieurs Inal en Mauritanie. Des horreurs ont eu lieu à Azlatt, à Sory Malé, à Wothie, à Walata, à Jreida et dans toute la vallée. A l’intérieur de la caserne militaire d’Inal et environs, il y a eu des militaires écartelés, enterrés vifs, tués à bout portant, et pendus pour célébrer la fête de l’indépendance du pays en 1990.

Ich möchte darauf hinweisen, dass Inal nur ein Einzelbeispiel ist. Es gab viele Inals in Mauretanien. Gräueltaten wurden auch in Azlatt, in Sory Malé, in Wothie, in Walata, in Jreida und im ganzen Tal begangen. In den Kasernen in Inal und Umgebung wurden gefangengenommene Soldaten gevierteilt, lebendig begraben, aus nächster Nähe erschossen und gehängt, um im Jahre 1990 die Unabhängigkeit des Landes zu feiern.

Im Jahre 2018 schrieb Kaaw Elimane Bilbassi Touré, Redakteur der mauretanischen Nachrichtenwebseite Le Flambeau, dass sich die Mauretanier am Tag der Unabhängigkeit mehr für die Qualifikation ihrer Fußballnationalmannschaft im Afrika-Cup interessiert haben als für die vergessenen „Soldaten, die einsam und anonym in Gruben liegen… und immer noch auf eine würdevolle Bestattung warten“.

Im selben Jahr hat Kiné-Fatim Diop, Kampagnenleiterin für Westafrika bei Amnesty International, auf die Diskrepanz zwischen dem vermeintlichen Freudentag und den Gefühlen der Angehörigen hingewiesen:

Chaque année, pendant que les officiels célèbrent dans la joie l’accession à la souveraineté du pays, les familles des victimes pleurent et manifestent dans la tristesse pour demander justice et réparation. Face à elles, les autorités mauritaniennes s’efforcent d’ensevelir cette face hideuse de l’histoire, comme lorsqu’elles faisaient voter, en catimini en 1993, une loi d’amnistie confirmant l’amnésie de l’État sur les tueries des militaires il y a 30 ans.

Jedes Jahr feiern Amtsträger die Erlangung der Souveränität des Landes, während die Familien der Opfer weinen und voller Trauer demonstrieren, um Gerechtigkeit und Entschädigung zu fordern. Den Familien der Opfer gegenüber versuchen die mauretanischen Behörden, diese hässliche Seite der Geschichte zu vertuschen, wie im Jahr 1993, als sie heimlich ein Amnestiegesetz verabschiedeten, welches das vom Staat „verordnete“ Vergessen der vor 30 Jahren ermordeten Soldaten ermöglichte.

Das Forum gegen Straflosigkeit und Ungerechtigkeit in Mauretanien äußerte Bedauern über die tragische Erhängung von zwei Brüdern in dieser schrecklichen Nacht:

Absolument, une malédiction gratuite s’était battue sur les 28 officiers noirs ce soir-là. Telle la pendaison de deux frères Diallo Oumar Demba et son frère Diallo Ibrahima qui portaient des numéros successifs écrits par le moyen d’un feutre. Triste mort que celle d’assister placidement à la mort de son frère aîné. Les bourreaux tuaient avec précision, d’ailleurs, ils ne se limitaient pas seulement-là, ils trainaient les pendus et s’asseyaient sur leur cadavre.

Unbestreitbar fiel in dieser Nacht ein Fluch über die 28 Soldaten, darunter die beiden Brüder Diallo Oumar Demba und Diallo Ibrahima, die mit einem Stift mit aufeinanderfolgenden Ziffern markiert wurden, bevor sie gehängt wurden. Wie tragisch ist es, den Tod des älteren Bruders mit ansehen zu müssen. Die Henker erledigten ihre Arbeit mit Präzision und die Gräueltaten hörten nicht mit dem Erhängen auf, sie schleiften die Toten auch noch über den Boden und setzten sich auf die Leichen.

Die Überlebenden äußern sich offen

Aussagen von Überlebenden kommen auch nach 30 Jahren noch ans Licht.

Mamadou Sy war Staffelführer in der mauretanischen Armee, dann stellvertretender Befehlshaber und schließlich Basiskommandant, bevor er in jener Nacht verhaftet wurde.

In seinem Buch „Die Hölle von Inal“ (orig. frz.: „L‘enfer d’Inal“), das im Jahr 2000 veröffentlicht wurde, beschreibt er die erlittene Folter, als die Militärkommandeure ihm die Augen verbanden, ihn fesselten und in schmutziges, stinkendes Wasser warfen.

Ein weiterer Soldat, der diese furchtbare Nacht überlebt hat, konnte nach seiner Zeit im Gefängnis mit Hilfe der Christlichen Vereinigung gegen Folter (ACAT im Französischen) nach Frankreich gehen, um sich behandeln zu lassen. Unter der Bedingung der Anonymität berichtet er über den Rassismus, den er in den 24 Jahren seines Militärdienstes erlebt hat:

Aussi loin que je remonte dans ma vie, depuis que j´ai commencé à comprendre, j´ai toujours constaté que les noirs n´avaient aucun droit, et que les Maures blancs étaient privilégiés. Chez nous, sur vingt ministres au gouvernement il y a un quart seulement pour les noirs, à l´armée, un seul Noir pour dix officiers. Dans un stage, si un Maure a mal travaillé, il l'emporte portant sur n´importe quel Noir. Et pas question de protester…

Wenn ich mich recht erinnere, seit ich angefangen habe zu verstehen, habe ich immer bemerkt, dass Schwarze nie irgendwelche Rechte hatten und dass weiße Mauretanier privilegiert sind. Nur ein Viertel der zwanzig Minister in der Regierung sind Schwarze, und in der Armee gibt es nur einen Schwarzen unter zehn Offizieren. Wenn ein weißer Mauretanier bei einem Praktikum nicht gut abschneiden würde, würde er trotzdem vor jedem anderen Schwarzen gewinnen. Und wehe, man protestiert …

Er schildert die Methoden der Folter, denen er und andere Soldaten ausgesetzt waren:

Par exemple, on creusait des trous dans le sable, on nous enterrait jusqu´au coup, la tête immobilisée, le visage nu tourné vers le soleil. Si on essayait de fermer les yeux, les gardes nous y jetaient du sable. Ensuite on nous remettait nos bandeaux.

Zum Beispiel buddelten sie Löcher in den Sand, vergruben uns darin bis zum Hals, der Kopf bewegungsunfähig, das nackte Gesicht der Sonne zugewandt. Wenn wir versuchten, unsere Augen zu schließen, warfen die Wachen uns Sand ins Gesicht und dann verbanden sie uns wieder die Augen.

Maimouna Alpha Sy, Generalsekretärin der Gesellschaft für Witwen und humanitäre Angelegenheiten, war mit Ba Baïdy Alassane, einem ehemaligen Zollbeamten, verheiratet. Alpha Sy sagt, ihr Ehemann war unter den Opfern, die 1990 ermordet wurden.

Nous avons fait trois mois et dix jours à la recherche de mon mari sans pouvoir le retrouver … La Douane nous a dit qu’il est mort d’un arrêt cardiaque, ce qui n’est pas vrai. Il y a des témoins qui ont été arrêtés, ligotés et torturés avec lui. Il a été tué devant ces gens-là.

Wir verbrachten drei Monate und zehn Tage mit der Suche nach meinem Mann, aber vergeblich…  Die Zollbehörden sagten uns, er sei an einem Herzstillstand gestorben, was nicht stimmt. Zeugen wurden verhaftet, gefesselt und mit ihm zusammen gefoltert. Er wurde vor ihren Augen getötet.

“Nie wieder”

Am 28. November 2018 versammelten sich mauretanische Immigranten vor der mauretanischen Botschaft in Paris, Frankreich, um gegen die staatliche Ignoranz in Bezug auf diesen tragischen Vorfall zu protestieren.

Um die Menschen daran zu erinnern, hielt die Abgeordnete Kardiata Malick Diallo eine eindrucksvolle Rede im mauretanischen Parlament, in der sie dem Premierminister vorwarf, die Täter zu schützen, die noch immer hohe Ämter im Staat innehaben, während die Rechte der Opfer nicht ausreichend berücksichtigt werden:

Même si votre pouvoir ne peut être tenu comme directement responsable de ces actes qui ont définitivement souillé le 28 novembre, il n’en demeure pas moins qu’il avait la charge de trouver une solution adéquate basée sur le droit des victimes à la vérité et à la justice … Les grandes nations et les grands peuples ne cherchent jamais à gommer un épisode sombre de leur histoire mais le matérialisent par des symboles visibles pour les maintenir dans la mémoire afin de dire « PLUS JAMAIS CA ». M. le Premier ministre, votre pouvoir a préféré poursuivre et parachevé un processus de marginalisation et d’exclusion.

Selbst wenn Ihre Regierung nicht direkt für die Taten verantwortlich ist, die den 28. November definitiv besudelt haben, so waren Sie doch dafür verantwortlich, eine angemessene Lösung für die Opfer und deren Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu finden… Große Nationen und großartige Völker versuchen niemals, eine dunkle Episode aus ihrer Geschichte zu tilgen, sondern zeigen sie der Welt, damit sich alle daran erinnern, und sagen: „NIE WIEDER“. Herr Ministerpräsident, Ihre Regierung hat eine Politik der Marginalisierung und Ausgrenzung betrieben.

Im Oktober 2018 waren von 24 Ministerposten nur fünf mit Schwarzen oder Menschen gemischter Herkunft besetzt, die bis zu 70 Prozent der Gesellschaft ausmachen. Die gleiche Unterrepräsentierung der Mehrheit der Bevölkerung findet sich auch unter den gewählten Volksvertretern, den Sicherheitskräften, den Beamten und in den höheren Ämtern der lokalen Verwaltung.

Mauretanien schaffte 1981 die Sklaverei als letztes Land der Welt offiziell ab, was allerdings erst 2007 umgesetzt wurde. Dennoch leben schätzungsweise noch ca. 20 Prozent in irgendeiner Form von Sklaverei. Die meisten von ihnen sind schwarz oder gemischter Herkunft.

Da dieser geschichtlich verankerte Rassismus auch heute noch in Mauretanien vorherrscht, bleibt Gerechtigkeit für die Überlebenden und deren Familie in weiter Ferne.

Dieser Artikel wurde von Athanasios Breskas des FTSK in Germersheim im Rahmen einer Lehrveranstaltung von Dr. Anastasia Kalpakidou übersetzt.

Unterhaltung beginnen

Für Autoren: Anmelden »

Richtlinien

  • Alle Kommentare werden moderiert. Sende nicht mehrmals den gleichen Kommentar, damit er nicht als Spam gelöscht wird.
  • Bitte geh respektvoll mit anderen um. Hass-Kommentare, Obszönes und persönliche Beleidigungen werden nicht freigeschaltet..