Vermeintlicher Financier des Völkermords an den Tutsis in Ruanda festgenommen

Völkermord-Denkmal in Ruanda. Foto von „The Advocacy Project“, Verwendung unter Lizenz CC BY-NC-SA 2.0

Am 16. Mai wurde der des Völkermordes in Ruanda angeklagte Félicien Kabuga nach 26 Jahren auf der Flucht in einem Pariser Vorort festgenommen und dem internationalen Strafgerichtshof für Ruanda überstellt.

26 Jahre im Untergrund

Lange Zeit zählte der 84-jährige zu den weltweit meist gesuchten Flüchtigen. Das Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika setzte sogar eine Belohnung in Höhe von 5 Mio. Dollar für zu seiner Verhaftung führende Hinweise aus. Nachdem er die Polizeibehörden mehrerer Länder jahrelang an der Nase herumgeführt hatte, um den zahlreichen Anklagepunkten zu entgehen, wurde er nach 26 Jahren auf der Flucht schließlich in Asnières-sur-Seine, einem Pariser Vorort, festgenommen.

Wäre es nach ihm gegangen, hätte sein Prozess in Frankreich stattgefunden. Die französische Justiz machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung und entschied am 03. Juni, ihn nach Tansania an den Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (International Residual Mechanism for Criminal Tribunals, kurz: IRMCT) zu überstellen. Félicien Kabuga wird beschuldigt, der „Financier des Völkermordes an den Tutsis gewesen zu sein. Im Zuge dieses Genozides wurden in Ruanda im Jahre 1994 fast eine Million Menschen ermordet.

Seit 1997 wird Félicien Kabuga vom Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, kurz: ICTR) in sieben Punkten angeklagt – darunter Völkermord, Mittäterschaft am Völkermord, direkte und öffentliche Anstiftung zum Völkermord und Verbrechen, die zwischen dem 06. April und dem 17. Juli 1994 in Ruanda begangen wurden.

Moutiou Adjibi Nourou, Journalist für die afrikanische Wirtschaftsnachrichten-Webseite „agenceecofin.com”, fasst die Anklagepunkte gegen Félicien Kabuga in einem auf Französisch verfassten Artikel folgendermaßen zusammen:

Il est accusé d’avoir créé les Interahamwe (“ceux qui combattent ensemble”), des milices hutu considérés par l’ONU comme les principaux bras armés du génocide de 1994 qui fit 800 000 morts.

Visé par un mandat d’arrêt international, Félicien Kabuga présidait la Radio-télévision libre des mille collines (RTLM), qui diffusa des appels aux meurtres des Tutsi après l’assassinat de l’ancien président Juvénal Habyarimana. Il dirigeait également le Fonds de défense nationale (FDN) qui collectait « des fonds » destinés à financer la logistique et les armes des miliciens et aurait « ordonné aux employés de sa société (…) d’importer un nombre impressionnant de machettes au Rwanda en 1993 », avant de les faire distribuer en avril 1994 aux Interahamwe.

Er wird beschuldigt, die Interahamwe („die zusammen Kämpfenden“) organisiert zu haben – jene Hutu-Milizen, welche die Vereinten Nationen im Völkermord von 1994 als hauptverantwortlich für die 800.000 Todesopfer ansehen. Der per internationalem Haftbefehl gesuchte Félicien Kabuga leitete die „Radio-Télévision Libre des Mille Collines“ (RTLM) [dt.: freie Radio-Television der tausend Hügel], die nach dem Mord an Juvénal Habyarimana zur Ermordung der Tutsi aufrief. Als Leiter des „Fonds de défense nationale“ (FDN) [dt.: nationaler Verteidigungsfonds], der „Mittel” zur Finanzierung von Waffen sowie Milizen aufbrachte, habe er „ Mitarbeitenden seines Unternehmens (…) im Jahre 1993 angeordnet, eine stattliche Anzahl Macheten nach Ruanda zu importieren“, um sie im April 1994 an die Interahamwe verteilen zu lassen.

Die RTLM spielte eine wesentliche Rolle im Völkermord. Sandra Ngoga, Analytikerin in Ausbildung an der Universität Sherbrooke, explizierte in einem französischen Essay:

Ensuite, durant les 100 jours qui suivirent, elle [RTLM] incitera quotidiennement la population hutu à faire son travail, terme qui faisait référence au massacre des Tutsis. Par ailleurs, les animateurs de cette Radio ont joué un grand rôle dans le déroulement du génocide, car ces derniers signalaient aux citoyens le nom et la localisation des victimes tutsi et incitaient la population à effectuer rapidement son travail (7). On estime que la RTLM a contribué à la mort d'un grand nombre de personnes.

Während des 100 Tage andauernden Genozides rief sie [RTLM] die Hutu-Bevölkerung regelmäßig dazu auf, „ihre Arbeit zu tun“. Dieser Ausdruck wurde als Code für das Massaker an den Tutsis verwendet. Darüber hinaus spielten die jeweiligen Moderierenden der Radio-Television eine zentrale Rolle im Genozid, indem sie den Bürger*innen die Namen sowie die Aufenthaltsorte der Tutsi verrieten und sie dazu aufforderten, ihre Arbeit schnell zu verrichten (7). Es wird davon ausgegangen, dass die RTLM zur Ermordung unzähliger Menschen beitrug.

Kurz nach dem Genozid wurden mehrere für die Radio-Television tätige Journalist*innen der Mittäterschaft am Genozid und Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt.

Inmitten der Ausgangssperren als Reaktion auf die COVID-19-Pademie nahm die Flucht von Félicien Kabuga ein jähes Ende. Laut Eric Emeraux, Vorsitzendem des „Office central de lutte contre les crimes contre l'humanité” (OCLCH, dt.: Zentrales Büro für die Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschheit), der auf der Schweizer Nachrichten-Webseite „hirondelle.org“ zitiert wurde:

La traque a commencé depuis un an lors d’une réunion à La Haye sous l’égide du Mécanisme. Les membres de sa famille sont alors placés sous surveillance par les polices belge, britannique et française, selon les pays où ils résident. L’attention des services français se porte sur un appartement où se rendent souvent des membres de la famille de Kabuga. La surveillance électronique leur permet de constater que, sur 365 jours, il y a toujours un enfant de Kabuga (il en a eu onze) présent dans cet appartement. On avait de bonnes raisons et de gros faisceaux d’indices qui nous permettaient de penser qu’il était derrière, mais jusqu’à ce qu’on ait poussé la porte de sa chambre, on n’était pas sûr. On aurait eu des certitudes si on l’avait vu sortir. Il était très discret. Et il était confiné. Il vivait sous une fausse identité avec un passeport d’un pays africain… Il a eu 28 alias quand même, en 26 ans.

Die Aufspürjagd begann vor einem Jahr bei einem Treffen in Den Haag, das unter der Schirmherrschaft des Mechanismus stattfand. Seine Familie wurde im Anschluss – deren Wohnorten entsprechend – von der belgischen, britischen sowie französischen Polizei unter Überwachung gestellt. Eine Wohnung, in die sich die Familienmitglieder Kabugas oft begaben, geriet ins Visier der französischen Polizeibehörden. Dank elektronischer Überwachungsmaßnahmen konnte festgestellt werden, dass sich über einen Zeitraum von 365 Tagen stets eines der Kinder Kabugas (Er hat insgesamt elf) in dieser Wohnung aufhielt. Wir hatten eine große Fülle an Beweismaterial und guten Grund anzunehmen, dass er sich dort aufhielt. Allerdings waren wir bis zu dem Moment, in dem wir die Tür zu seinem Schlafzimmer aufstießen, nicht zu 100 % sicher. Hätten wir ihn die Wohnung verlassen sehen, wären wir komplett sicher gewesen, aber er war sehr diskret und befand sich in Selbstisolation. Er verwendete eine falsche Identität und besaß einen afrikanischen Pass… In 26 Jahren verwendete er immerhin insgesamt 28 Pseudonyme.

Profitiert Kabuga von Schutzmaßnahmen?

Viele Aktivist*innen zeigen sich erfreut über seine Verhaftung. Dennoch hinterfragen zahlreiche Stimmen seine bereits über ein Vierteljahrhundert andauernde Straflosigkeit. Beispielsweise stellt Alain Gauthier, Vorsitzender des „Collective of Civil Parties for Rwanda“ (dt.: Kollektiv der Zivilparteien für Ruanda), in einer französischsprachigen Publikation die offene Frage, von welchen Kompliz*innen Félicien Kabuga in Frankreich wohl profitiert hatte.

Einer von der Nachrichten-Webseite „afriquinfos.com“ publizierten Meldung der Nachrichtenagentur „Agence France-Presse“ (AFP) zufolge rief die „Communauté rwandaise de France“ (CRF, dt.: ruandische Gemeinschaft in Frankreich) bereits das Gericht in Nanterre an, um Ermittlungen über die Hilfestellungen, die Kabuga seine 25 Jahre andauernde Flucht womöglich erst ermöglichten, einzuleiten.

Auf Twitter teilen zahlreiche Menschenrechtsaktivist*innen bei NGOs sowie Journalistinnen und Journalisten dieselben Anliegen.

Ida Sawyer, stellvertretende Leiterin für die Region Afrika bei Human Rights Watch, erinnert daran:

#Rwanda: Der Tod von Augustin Bizimana, einem der mutmaßlichen Drahtzieher des Völkermordes, wurde nur wenige Tage nach der Verhaftung von Félicien Kabuga in #Frankreich bestätigt. Vor diesem Hintergrund müssen die Bemühungen, Protais Mpiranya, den letzten zentralen Flüchtigen, vor Gericht zu stellen, erheblich intensiviert werden. https://t.co/ikh0535cZw pic.twitter.com/nc9WUKFIIT

— Ida Sawyer (@ida_sawyer) 28. Mai 2020

Nadia Kabalira (@NadiaKabalira), die sich als „the proud Rwandan” (dt.: die stolze Ruanderin) bezeichnet, schreibt:
Das Berufungsgericht Paris veranlasst die Überstellung von #FélicienKabuga an @unirmct. Jedem ist klar, dass er das Verfahren manipulieren und in Berufung gehen wird.
Ironie des Schicksals: Das Berufungsgericht ist die höchste rechtliche & moralische Instanz und ausgerechnet hier wird Kabuga seine immoralische Berufung einlegen.
— Nadia Kabalira (@NadiaKabalira) 3. Juni 2020

LUCHA ist eine zivilgesellschaftliche Organisation in der Demokratischen Republik Kongo, die sich dem gewaltfreien Kampf für die Rechte sowie die Würde von Bürger*innen verschreibt. Sie bedauert:

Der des Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschheit beschuldigte Ruander Félicien Kabuga lebte in Frankreich mit einem kongolesischen Pass!

— LUCHA ?? (@luchaRDC) 29. Mai 2020

Nicolas Berrod, Jungjournalist bei der Tageszeitung „Le Parisien“ schreibt:

Ein Nachbar des „Financiers des Völkermordes in Ruanda“, Félicien Kabuga, in Asnières-sur-Seine: „Das ist doch verrückt. Ich kann es immer noch nicht glauben. Es ist fast so, als hätte ich erfahren, dass Hitler oder Klaus Barbie meine Nachbarn seien.“…@le_Parisien https://t.co/xx3ADFr26a

— Nicolas Berrod (@nicolasberrod) 17. Mai 2020

Allerdings wird die Gerechtigkeit siegen. Zu diesem Schluss kommt Laurent Larcher, Journalist bei der Tageszeitung „La Croix“, für die er über Afrika berichtet, und Autor des Buches „Rwanda, ils parlent – Témoignages pour l‘histoire“ (dt.: Ruanda, Gespräche – Zeitzeugen). Er schreibt:

Die Gerechtigkeit wird ihren Lauf nehmen, das Verbrechen wird nicht siegen und es ist nie zu spät, einen Menschen für seine Entscheidungen, seine Handlungen und seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Und Félicien Kabuga wird dies vor den Augen seiner Kinder widerfahren https://t.co/rmzQMIjfMp

— Laurent Larcher (@LaurentLarcher) 3. Juni 2020

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