Ein neuer Datensatz soll die Klimaanpassung revolutionieren

 Fluss Shabelle, Stadt Gode, Somali-Region, Äthiopien: Nach dem Wasserholen hilft ein Junge seinem Esel die Sandbank hinauf. 11. Februar 2014. Foto des Flickr-Accounts von UNICEF Äthiopien. CC-BY-NC-SA 2.0

Fluss Shabelle, Stadt Gode, Somali-Region, Äthiopien: Nach dem Wasserholen hilft ein Junge seinem Esel die Sandbank hinauf. 11. Februar 2014. Foto des Flickr-Accounts von UNICEF Äthiopien. CC-BY-NC-SA 2.0

Dieser Beitrag von Eric Holthaus erschien ursprünglich auf der Webseite von Ensia.com, einem Magazin, das über Lösungsmöglichkeiten für Umweltprobleme weltweit berichtet. Auf Global Voices wurde er im Rahmen einer Content-Sharing-Vereinbarung erneut veröffentlicht.

Menschen in Industrieländern denken beim Thema Wetter selten an etwas Lebensbedrohliches; Millionen Menschen in Entwicklungsländern sind allerdings dazu gezwungen. Reiche Staaten haben stabile Regierungen, Ersparnisse, Versicherungen und weitere Sicherheiten für den Unglücksfall. Die Einwohner ärmerer Länder haben all dies nicht und stehen z. B. angesichts einer Dürreperiode häufig vor schwierigen Entscheidungen: den Ochsen verkaufen, um Geld für Lebensmittel zu haben und dafür nächstes Jahr von Hand pflügen? Die Kinder aus der Schule nehmen, damit sie Feuerholz hacken und dieses dann für ein Zubrot verkaufen können? Hof und Familie verlassen, um Arbeit in der Stadt zu suchen?

Ein neuer Niederschlagsdatensatz soll dies alles jetzt ändern.

Der Datensatz namens CHIRPS (Abkürzung für „Climate Hazards Group InfraRed Precipitation With Station data – Niederschlagsmessungen von Satelliten und Wetterstationen am Boden der Climate Hazards Group“) kombiniert Daten von Wetterstationen und -satelliten mit außergewöhnlicher Genauigkeit und dokumentiert so den globalen Niederschlag von vor mehr als drei Jahrzehnten bis zum heutigen Tag. CHIRPS ermöglicht es also, weltweit aktuelle Niederschlagsmuster mit historischen Durchschnittswerten der eigenen Umgebung zu vergleichen und ist somit ein Frühwarnsystem für Dürre. Auf diese Weise können z. B. Entwicklungshilfeorganisationen und Versicherungsunternehmen ihre Anpassungsstrategien, wie Nahrungsmittelhilfe und Versicherungen, effektiver umsetzen.

Ein Phänomen wie beispielsweise El Niño, eine wiederkehrende Erwärmung des tropischen Pazifischen Ozeans, die Wettermuster auf der ganzen Welt durcheinanderbringt und durch den Klimawandel möglicherweise stärker wird, kann vor allem für die Einwohner abgelegener, landwirtschaftlich geprägter Ortschaften, die von regelmäßigen Niederschlägen abhängig sind, verheerende Folgen haben.

„Jetzt können wir das Ausmaß der Katastrophe genau bemessen und gezielt helfen“, erklärt Pete Peterson, Leiter der Entwicklung des neuen Datensatzes, der im Februar 2015 von der Climate Hazards Group der University of California, Santa Barbara, veröffentlicht wurde.

Daten zusammenführen

CHIRPS wurde von Chris Funk, einem Kollegen von Peterson, konzipiert, der sich in den frühen 2000er Jahren in Äthiopien aufhielt. Dort arbeitete er für das Famine Early Warning System Network, oder FEWS NET (Hunger-Frühwarnsystem-Netzwerk), ein Projekt der U.S. Agency for International Development (Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung). Als Forscher der britischen University of Reading eine Technik entwickelten, mit der satellitenbasierte Niederschlagsschätzungen für Afrika mit einzelnen Niederschlagsbeobachtungen von Wetterstationen am Boden kombiniert werden können, erkannte Funk schnell, welche Bedeutung ein solcher Ansatz für die Fähigkeit von FEWS NET haben würde: Man könnte entstehende Hungersnöte früher erkennen und es Hilfsorganisationen somit ermöglichen, schneller zu handeln. CHIRPS nutzt nun diesen Ansatz mit signifikanten Verbesserungen und weitet ihn weltweit aus.

Das Santa-Barbara-Team entwickelte den CHIRPS-Datensatz in minutiöser Zusammenarbeit mit Meteorologen von Wetterstationen überall auf der Welt, die alte Wetterdaten, manchmal noch in Form von alten Akten, zur Verfügung stellten. Nachdem sie die Daten der lokalen Wetterstationen digitalisiert hatten, nutzten sie diese, um weltweite Niederschlagsschätzungen auf Basis von Satellitendaten anzupassen. Anschließend kombinierten sie die Niederschlagsdaten mit einer detaillierten Karte, die zeigt, wie Niederschlagsmengen üblicherweise je nach Ort und Höhenlage schwanken können, um die Schätzungen noch genauer zu machen.

Etwas wie CHIRPS hat es bisher noch nie gegeben. Der neue Datensatz ist etwa hundertmal genauer als frühere Versuche, Niederschlagsdaten von Satelliten und Wetterstationen am Boden zu kombinieren und deckt in einer noch nie dagewesenen Form Jahre und Kontinente ab.

Das Beste: Dank einer Zuschussfinanzierung sind die Daten kostenlos verfügbar — eine unschätzbare Hilfe für klamme Hilfsorganisationen. Für einige abgelegene Orte in Lateinamerika oder Südostasien können Klimatrends nun zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum verfolgt werden. Die größte Veränderung bedeuten die Daten allerdings für Regionen wie Zentralamerika oder den Pazifik. „Vor CHIRPS gab es dort einfach keine gute Wetterüberwachung“, sagt Funk.

Dürre im Fokus

Wenn wir an die direkten Auswirkungen des Klimawandels denken, dann denken wir meistens auch an Tragödien wie diejenige, die sich dieses Jahr in Äthiopien abspielt: Nach einer großen Dürre sind die Lebensmittelvorräte dort knapp.

Spärliche Regenfälle während Äthiopiens Hauptanbausaison sind auf El Niño zurückzuführen. Während der letzten großen äthiopischen Dürrekatastrophe im Jahr 1984, die auf den starken El Niño von 1982-1983 folgte, starben hunderttausende Menschen, da die Regierung den Hunger mitten im Bürgerkrieg noch verschlimmerte und internationale Hilfe politisiert wurde.

Zu wissen, wie viel Regen gefallen ist, erscheint Einwohnern aus Ländern wie beispielsweise den USA, in denen Daten leicht verfügbar sind, als selbstverständlich. Aber für Länder wie Äthiopien sind verlässliche Daten von Wetterstationen ein knappes Gut. In einer Zeit, in der in Entwicklungsländern fossile Brennstoffe und Festnetztelefone teilweise einfach übersprungen und gleich erneuerbare Energien und Mobiltelefone genutzt werden, erübrigt die Niederschlagsüberwachung mithilfe von Satelliten Investitionen in tausende abgelegene Regenmesser sowie deren Wartung und Instandhaltung und hilft Behörden und Regierungen dabei, extreme Wetterphänomene zu verfolgen.

Dank CHIRPS und anderer Technologien können Dürrenotfälle nun vorhergesehen und ihre Entwicklung unvergleichlich besser verfolgt werden als im Jahr 1984. Letzten Juli bemerkte das CHIRPS-Team, dass ihr Datensatz für Teile Äthiopiens ein fast vollständiges Fehlen von Regen zeigte und zwar in einer Zeit, die normalerweise die niederschlagsreichste des Jahres ist. Funk kontaktierte daraufhin den äthiopischen Wetterdienst, um zu überprüfen, ob das, was er daraus geschlossen hatte, ein Fehler sein könnte.

„Dieser Prozess ist ziemlich neu und wir wollen sichergehen, dass wir nichts falsch machen“, erklärt Funk. „Wenn wir also solche starken Abweichungen bemerken, versuchen wir, diesen genau auf den Grund zu gehen.“ Es gelang ihm, die auffälligen CHIRPS-Daten in Kontext zu setzen und eine Vorhersage über die Auswirkungen der Dürre auf die Vegetation zu treffen, die, in Verbindung mit Berichten über totes Vieh und Missernten, auf eine drohende Katastrophe hindeutete.

Natürlich reicht allein das Wissen darüber, sich in einer Dürreperiode zu befinden, nicht aus, um ihre Auswirkungen abzuschwächen. FEWS NET nutzt aber diese Information, um den Fokus auf die sich verschlechternden Zustände in den von der Dürre betroffenen Gebieten zu lenken und um herauszufinden, welche Dörfer in welchem Ausmaß betroffen sind. Letzen Mai ließen saisonale Wettervorhersagen vermuten, dass der bevorstehende El Niño stark werden würde und dass es anstelle von Regenfällen zur Jahresmitte in Äthiopien eine Dürre geben würde. Letzten Oktober, nachdem die Hauptregensaison zu Ende gegangen war, bewiesen die CHIRPS-Daten, dass die Befürchtungen berechtigt waren und dass die Äthiopier in den kommenden Monaten schwer unter der Dürre leiden würden. Im Januar 2016 besuchte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Äthiopien, um Aufmerksamkeit auf die Dürrekrise zu lenken. Organisationen wie Oxfam machten daraufhin Mittel frei, um das, was in Äthiopien und dutzenden anderen Länder auf der ganzen Welt durch das von El Niño verursachte extreme Wetter passierte, öffentlich zu machen.

Funk bezeichnet das frühere Erkennen der äthiopischen Dürre als den bislang „größten Beitrag“ seines Teams.

„Es gibt Katastrophenbewältigung und es gibt eine verbesserte Anpassung. Letztere wollen wir erreichen“, sagt Funk. „Manchmal leisten wir zwar gute Arbeit, aber die Hilfe kommt dann nicht rechtzeitig. […] Dieses Jahr konkurrieren so viele Katastrophen miteinander. Es könnte kaum schlimmer sein.“

Daten für Versicherungen

CHIRPS hilft außerdem dabei, zum ersten Mal Versicherungen in Regionen anbieten zu können, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Seit zehn Jahren werden in Äthiopien jetzt bereits neuartige Klimaversicherungen getestet, die auf Niederschlagsdaten basieren. Diese Versicherungen, auch indexbasierte Versicherungen genannt, können der Landwirtschaft möglicherweise helfen, im Katastrophenfall widerstandsfähiger zu sein. Die Idee hinter dem Konzept ist, dass Bauern, die für den Eigenbedarf produzieren, das Recht auf eine finanzielle Entschädigung in wenig regenreichen Jahren erwerben können. Dies geschieht im Rahmen der Versicherungen, die von Regierungen und Klima-Hilfsorganisationen finanziert werden. Bis vor kurzem war es allerdings schwierig, verlässliche Niederschlagsaufzeichnungen zur Bestimmung der Schwellenwerte und der Entschädigungssummen für entlegene Dörfer zu finden. Dank CHIRPS könnte diese Art Versicherung bald für ländliche Gebiete überall auf der Welt verfügbar sein.

Agrotosh Mookerjee, ein Versicherungsmathematiker, der Regierungen und Hilfsorganisationen zum Thema Klimaversicherungen berät, erwägt, in Zukunft den CHIRPS-Datensatz zu nutzen. Mit dessen Hilfe will er ein Projekt in Sambia ausweiten, das satellitenbasierte Niederschlagsdaten nutzt, um Schwellenwerte und Auszahlungssummen festzulegen und somit 60 000 Bauern und ihre Familien zu versichern. Mookerjee erklärt, dass einige Bauern in Sambia hunderte Kilometer von der nächsten Wetterstation entfernt leben. Die Datensätze weisen Lücken auf und einige alte Wetterstationen funktionieren noch nicht einmal mehr. Um sein Projekt ausweiten zu können, braucht Mookerjee also verlässliche Wetterdaten für ländliche Gebiete und überlegt daher, demnächst CHIRPS einzusetzen.

Versicherungsprojekte wie dieses, die in ihrer Existenz bedrohten Lebensmittelproduzenten helfen sollen, haben auch das Interesse der Vereinten Nationen und anderer Organisationen geweckt, die auf der Suche nach marktwirtschaftlichen Ansätzen zur Anpassung an den Klimawandel sind. Die G7-Staaten haben beispielsweise vor kurzem eine Initiative ins Leben gerufen, die dabei helfen soll, bis zum Jahr 2020 400 Millionen Menschen in Entwicklungsländern durch Klimaversicherungen abzusichern. Einige Versicherungsunternehmen sehen diese Art Versicherungen bereits als große zukünftige Profitcenter an.

Leif Heimfarth arbeitet für Hannover Re und hat sich auf landwirtschaftliche Risiken spezialisiert. Als einer der weltweit führenden Rückversicherer — Versicherungen für Versicherungen — zeigt sich sein Unternehmen sehr besorgt angesichts der Verletzlichkeit der ländlichen Wirtschaft weltweit, da Wetterkatastrophen immer schlimmer zu werden scheinen. Hannover Re plant daher, sein Angebot an Versicherungen mit Wetterbezug auszubauen und sieht in CHIRPS eine Schlüsseltechnologie, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Zeit drängt

Das äthiopische Klima wird immer trockener. Da etwa 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, ist die diesjährige Dürre vielleicht nur ein Vorbote der Probleme, die auf das Land noch zukommen werden. Und natürlich ist Äthiopien nicht der einzige Ort auf der Welt, der sich in einer Krise befindet. El Niño hat Zentralamerika, dem südlichen Afrika und Südostasien Dürre gebracht und gleichzeitig Südamerika Überflutungen beschert. Der brutale syrische Bürgerkrieg, der mittlerweile über fünf Jahre andauert, wurde zum Teil auch durch eine vom Klimawandel verschärfte Dürre ausgelöst und Hilfsorganisationen schaffen es kaum, die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Wo auch immer in der Welt solche Zustände auftreten, kann CHIRPS überlasteten Hilfsorganisationen dabei helfen, auf lokaler Ebene die richtigen Prioritäten zu setzen.

In Santa Barbara arbeiten Funk und seine Kollegen mittlerweile schon an ihrem nächsten Projekt: einem weltweiten CHIRPS-Temperaturdatensatz. Extreme Hitze kann Vieh und Feldfrüchten in Entwicklungsländern nämlich ebenso zusetzten wie zu wenig Regen — und für Temperaturdaten gibt es derzeit sogar noch weniger verlässliche Quellen als für Niederschlagsdaten.

Und die Zeit drängt. Mit El Niño im Nacken arbeitet das Santa-Barbara-Team auf Hochtouren an hilfreichen Lösungen für diejenigen, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind.

Eric Holthaus ist Meteorologe und schreibt über Wetter und Klima. Seine Artikel wurden bereits in Slate, Vice, Quartz, dem Wall Street Journal, FiveThirtyEight und Rolling Stone veröffentlicht. Er lebt in Tuscon, Arizona und twittert als  @EricHolthaus.

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