
Screenshot eines YouTube-Videos, das die Gewalt in Goyah, Guinea, festhält.
Die COVID-19-Pandemie verstärkt soziale Gewalt in Guinea.
Laut des „Fragile State Index“ (auf Deutsch etwa „Index fragiler Staaten“), der anhand von zwölf sozioökonomischen Indikatoren die Stabilität eines Landes bestimmt, besteht für Guinea bereits eine Alarmstufe. Durch erste Corona-Fälle im März 2020 verkomplizierte sich die Lage noch weiter. Bis zum 8. Juni 2020 stieg die Anzahl der positiv getesteten Einwohner*innen Guineas auf 4.117 an, und das bei einer Gesamtbevölkerung von rund 12 Millionen.
Zur Bekämpfung der Pandemie richteten die guineischen Behörden Straßensperren zur Durchführung von Gesundheitskontrollen zwischen der Hauptstadt Conakry und den benachbarten Städten Coyah und Dubréka ein. Die einzigen Verbindungen aus Conakry ins restliche Land führen allerdings durch diese beiden Städte.
Coyah und Dubréka sind zwar nach wie vor verwaltungstechnisch unabhängige Städte, bilden allerdings de facto Vorstädte der Hauptstadt. Daher pendeln unzählige Einwohner*innen täglich nach Conakry. Präsident Alpha Condé bezeichnete den Ballungsraum am 15. Mai bei einer französischsprachigen Rede im öffentlichen Fernsehen als „Grand Conakry“ (Groß-Conakry).
Als die Maßnahmen zur Isolierung Conakrys am 27. und 30. März 2020 verkündet wurden, kam es zu einem Missverständnis, das die Spannungen intensivierte. Es wurde nicht erwähnt, dass sich die getroffenen Entscheidungen ebenfalls auf Coyah und Dubréka bezogen. Erst in einer Rede am 15. Mai stellte der Präsident klar, dass die Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr ebenfalls Coyah und Dubréka betraf.
Als die Einwohner*innen der beiden Städte am 12. Mai auf einmal Straßenblockaden erblickten, die ihnen den täglichen Weg zur Arbeit versperrten, begannen die Aufstände.
Der Journalist Mamadou Kouyaté beschreibt die Gewaltausbrüche wie folgt:
Roads were barricaded everywhere on Tuesday, following the violent protest that took place from Friguiadi to the center of Coyah. Everywhere people were seen attacking the forces of order. The police station and the gendarmerie brigade were devastated. The police station under construction in the center of Coyah was vandalized. We also observed that the route to Forekariah and the police station’s large roundabout were blocked off, so I was forced to go back and protect our building. Their slogans demanded that the Friguiadi roadblock be moved, saying it prevents them from returning to Coyah, where they live; that some of them work in Conakry and that they have to go home in the evening.
Unterbrechungen der Stromversorgung
Zusätzlich fanden in Kamsar – einem Hafen im Norden Conakrys, der hauptsächlich dem Bauxit-Abbau der umliegenden Bergbauunternehmen dient – ebenfalls gewalttätige Proteste statt. Schätzungen zufolge befinden sich zwei Drittel der weltweiten Bauxit-Reserven, die zur Extraktion von Aluminium benötigt werden, in Guinea.
Trotz der dort angesiedelten Bergbauunternehmen und des bedeutenden Hafens haben die Bewohner*innen des Stadtteils weder eine zuverlässige Stromversorgung noch fließendes Wasser. Zudem ist in Guinea momentan Trockenzeit, wodurch die Bevölkerung ohnehin schon angespannt ist.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Menschen in Guinea gegen Unternehmen, die ihnen ihre Rechte verweigern, auflehnen. Im März 2019 verklagten 540 Personen aus 13 Dörfern im Westen des Landes den Mediator der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), einer Zweigstelle der Weltbank, für die Finanzierung der „Compagnie des Bauxites de Guinée“ (CBG; auf Deutsch etwa staatliches Bauxit-Unternehmen Guineas), da diese im Rahmen ihrer Bergbauaktivitäten sowohl gegen nationales als auch internationales Recht verstößt.
Die Webseite agricaguinee.com beschreibt die Vorfälle des 12. Mai folgendermaßen:
Riots shook the city of Kamsar in reaction to selective power cuts, causing one death and some property damage today, Tuesday, 12 May 2020. There was significant turmoil. In addition to the barricades erected throughout the suburbs of this industrial city, some facilities of the Guinea Bauxite Company (CBG) were vandalized by protesters, which deprived the site and some neighborhoods of drinking water. A number of sources also reported that the mayor’s home was set on fire.
In einer gemeinsamen Erklärung auf der Webseite der „International Federation for Human Rights“ (FIDH) verurteilen 14 guineische Organisationen der Zivilgesellschaft die gewalttätigen Ausschreitungen und forderten die Entlassung aller Gefangenen sowie die Einleitung von Ermittlungen:
Our organizations demand a stop to police violence leading to the loss of human life, physical injury, and damage to property. We condemn the violence that occurred in Coyah, Dubréka, and Kamsar, and we call for the immediate opening of a judicial investigation in order to shed light on the violence committed in these places
Mehr dazu: Security forces in Guinea now have the right to use deadly force
Bisher gab es in Guinea nur wenige Demonstrationen, denen nicht mit unverhältnismäßiger Gewalt, dem Verlust von Menschenleben, schwerwiegender Verletzung von Menschenrechten sowie Sachschäden begegnet wurden, wie die FNDC (Front national pour la défense de la constitution, auf Deutsch etwa Nationalfront für die Verteidigung der Verfassung) in einer Mitteilung vom 15. Mai 2020 in Erinnerung rief:
Guinea has been subject to various regimes since it achieved independence in 1958, from Sékou Touré to Alpha Condé. Each of them chose its own method to repress the population and employed nearly the same instrument: armed militias, true killing machines, in place of the police, the gendarmerie, and the regular army which are normally responsible for the security of people and their property, as well as for the country’s defense.
Zahlreiche Bürger*innen Guineas teilten ihre Gedanken auf Twitter. Thierno Maadjou Bah, Journalist und Koordinator des Programms #Africa2015 für den Radiosender @africa nostalgi schrieb:
I am one of those who believe that every Guinean who loves his country beyond political considerations must show his outrage when citizens all over the nation are victims of the exactions of security forces with these killings. Compassion cannot be selective.— Thierno Maadjou Bah?? (@MaadjouDT) May 15, 2020
Ich gehöre zu jenen Menschen, die glauben, dass alle Bürger*innen Guineas, die ihr Land über politische Überlegungen hinaus lieben, ihrer Empörung Ausdruck verleihen müssen, wenn Bürger*innen im ganzen Land dem Machtmissbrauch der Sicherheitskräfte mit den einhergehenden Morden zum Opfer fallen. Anteilnahme darf nicht selektiv sein.
Abdoulaye Keita, Geschäftsführer des guineischen Infrastruktur- und Dienstleistungsunternehmens (GuINAPRES), der 64 Handhygiene-Sets an öffentliche Einrichtungen und Privathaushalte der Stadt Boké gespendet hat, schrieb:
Lack of drinking water in the CBG district in Kamsar. It’s one of the consequences of the vandalism of facilities that occurred during the demonstration demanding electricity! What a shame! pic.twitter.com/4hboF0BnQH— Abdoulaye KEITA (@keitus14) May 15, 2020
Im Stadtteil CBG in Kamsar fehlt es an Trinkwasser. Das ist eine direkte Folge des Vandalismus während der Demonstrationen für bessere Stromversorgung! Sehr schade!