Tiananmen Gedenkfeier: unangenehme Wahrheit für Peking, unheilvolle Warnung für Hongkong und Taiwan

Vor dem Beginn der Kundgebung zum 30. Jahrestag in Hongkong macht ein junger Mann ein Selfie vor der Plakatwand, auf der die Ereignisse von Juni 1989 dargestellt sind. Foto von Georgia Popplewell (CC BY SA).

Es gibt Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis einbrennen: Eines davon ist der Film von einem Mann, der im Juni 1989, nur mit seinem Mut und zwei Einkaufstaschen bewaffnet, eine ganze Panzerkolonne auf dem Tiananmen-Platz in Peking stoppte.

Heute lebt diese Erinnerung nur außerhalb von China weiter, denn Peking scheut keine Mühen, jede Erwähnung der pro-demokratischen Bewegung auszumerzen, die von Studenten und Arbeitern angeführt wurde und die in der Nacht vom 03. auf den 04. Juni 1989 zu einem Blutbad führte. Jeder Hinweis auf diese Ereignisse, direkt oder indirekt, offline oder online wird streng bestraft und führt zu Verhören, Verhaftungen, zum Löschen von Online-Mitteilungen und dem Sperren von Konten in sozialen Medien.

Außerhalb Chinas jedoch und besonders in Hongkong und dem benachbarten Taiwan bleiben die Erinnerungen an diese Ereignisse lebendig. Und die diesjährigen Gedenkfeiern zum 30. Jahrestag von Liu Si’ – oder „6.4” wie es allgemein in China genannt wird – finden zu einer Zeit vermehrter polititscher Sensivität in diesen beiden chinesischen Gesellschaften statt, in denen die Bürger immer noch teilweise oder volle Demokratie genießen.

In Hongkong, das seit der Übergabe im Jahr 1997 der Rechtsprechung der Volksrepublik China und dem ‘Ein Land, Zwei Systeme’-Prinzip unterliegt, diskutiert die dortige Regierung ein Gesetz über das Auslieferungsrecht an China, welches die Sicherheit von Aktivist*innen oder Politiker*innen, die Peking kritisch gegenüber stehen, noch mehr gefährdet. In Taiwan besteht im Schatten der wichtigen Präsidentschaftswahl 2020 eine zunehmende Besorgnis über die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Festland. Umfragen zufolge scheint die oppositionelle Partei Kuomintang, welche die verbesserte, wirtschaftliche und möglicherweise auch politische Verbindungen mit Peking befürwortet, gegen die gegenwärtige Präsidentin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) Boden gutzumachen.

Das könnte erklären, warum sowohl Hongkong als auch Taiwan bei den jährlichen Gedenkfeiern zum 04. Juni Teilnehmerrekorde verzeichnen – in anderen Städten auf der ganzen Welt wird ebenfalls an dieses Ereignis erinnert.

Hongkong: “Die von euch bewachte Wahrheit wurde. . . in dreißig Jahren in unsere Beharrlichkeit verwandelt”

Kerzenmahnwache am 04. Juni im Victoria Park, Hongkong, zum Gedenken des 30. Jahrestages des Tiananmen-Massakers. Bild via inmediahk CC: AT-NC.

Oiwan Lam merkt auf Global Voices an: „Innerhalb des chinesischen Regimes war Hongkong schon immer der bedeutendste Ort, an dem das Gedenken zum 04. Juni aufrecht erhalten wurde.”  Die Zahl der gestern im Viktoria Park für die jährliche Gedenkfeier versammelten Menschen, die seit 30 Jahren jährlich abgehalten wird, lag zwischen 100.000 bis 180.000 Menschen. Darunter befanden sich auch viele politische Parteien und Aktivisten-Gruppen, die diese Gelegenheit nutzten, um ihren Widerstand gegen das geplante Auslieferungsgesetz zu demonstrieren.

Hongkongs Aktivist*innen nutzten diese Gelegenheit, um ihre Opposition gegen das geplante Auslieferungsgesetz zu demonstrieren und, um Aufmerksamkeit für die für den 09. Juni vorgesehene Massenkundgebung zu erzeugen. Foto von Georgia Popplewell (CC BY SA)

Das Programm umfasste Musik einer lokalen Rockband, Video-Vorführungen, Reden und das zeremonielle Anzünden der Kerzen, Niederlegen von Blumen sowie das Verbrennen von Kondolenzbüchern. Der von den Organisatoren, der Hong Kong Alliance in Support of Patriotic Democratic Movement in China (etwa: Hongkonger Bündnis für die Unterstützung der Patriotischen Demokratiebewegung in China)gelieferte Text besagte: „Euer Widerstand hat 30 Jahre lang den Widerstand zu Hause und in Übersee inspiriert. Der von euch 30 Jahre lang gezeigte Wille zu Liebe und Frieden hat darauffolgende Bewegungen hervorgerufen. Die Wahrheit, die ihr 30 Jahre lang um jeden Preis bewahrt habt, wurde in unsere Beharrlichkeit verwandelt. Das ist es, was ihr jetzt seht: Die Kerzenlichter im Victoria Park bedrohen die Machthabenden.” 

Taipeh: Kunst im Dienst der Erinnerungen

Die Gedenkfeiern zum 04. Juni fanden auf Taipeh’s Freedom Square vor der Nationalen Chiang Kai-shek Gedächtnishalle statt, der traditionelle Ort für große, öffentliche Veranstaltungen, der zu Ehren von Taiwans Wende zur Demokratie in den 1990er Jahren seinen Namen fand. Ein paar hundert Menschen versammelten sich um eine Bühne und hörten den Rednern zu, darunter Zeugen und Aktivist*innen vom Juni 1989, Regierungssprecher und taiwanesische Pro-Demokratie-Aktivist*innen. Einige Aktivist*innen aus Hongkong warnten die Bürger*innen von Taiwan eindringlich, den Motiven Pekings nicht zu trauen. Sie fügten hinzu: „Wir sprechen aus Erfahrung”, nachdem sie Zeugen der schnellen Aushöhlung von Freiheiten in ihrem eigenen Land wurden. Eine Kopie der Göttin der Demokratie war auf der Bühne in prominenter Position aufgestellt.

Gedenkfeier zum 30. Jahrestag des Tiananmen-Massakers auf Taipehs Freedom Square mit einer Nachstellung der Göttin der Demokratie auf der Bühne. Foto von Filip Noubel, verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Ebenfalls anwesend waren Aktivist*innen, die Tibets Unabhängikeit unterstützen und internationales Handeln in Bezug auf die Gefangenschaft der Uighuren in Westchina verlangten, eine Angelegenheit, welche fast alle Redner thematisierten.

Es wurden mehrere Dokumentarfilme gezeigt, die auf die Ereignisse am 04. Juni hinwiesen, darunter der Kampf der Tiananmen Mütter. Bei den Gedenkfeiern spielte die Kunst generell eine große Rolle und zu Ehren der Tiananmen-Mütter führte das Tsai Jui-yueh Dance Research Institute einen Tanz auf. 

Die Tsai Jui-yueh Tanzgruppe führte eine sehr emotionale Darstellung der Ereignisse vom 04. Juni vor. Foto von Filip Noubel, verwendet mit freundlicher Genehmigung.

In der Nähe der Nationalen Chiang Kai-shek Gedächtnishalle konnte man seit Mitte Mai die aufblasbare Installation der taiwanesischen Künstlerin Shake sehen, welche die berühmt Szene des Panzermanns (Tank Man) darstellt. Die künstlerische Darstellung selbst wurde von dem Karikaturisten Badiucao inspiriert, der sich an diesem 30. Jahrestag entschloss, seine wahre Idendität preiszugeben, trotz der damit verbundenen, enormen Sicherheitsrisiken.

Installation des aufblasbaren Panzermanns (Tank Man) vor der Nationalen Chiang Kai-shek Gedächtnishalle. Foto von Filip Noubel, verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Paris: ein Panzer auf dem Platz der Republik

In Frankreich, das mehreren Anführern der pro-demokratischen Bewegung 1989 Asyl anbot, wurde auf dem Platz der Republik in Paris, einem beliebten Ort für Demonstrationen, eine Gedächtnisfeier abgehalten. Eine 2-D-Abbildung eines Panzers wurde von der französischen Menschenrechtsorganisation ACAT aufgestellt, um die Pariser an die Ereignisse vom 04. Juni 1989 zu erinnern.

Auf dem Place de la République steht ein Panzer. Foto von Jade Dussart, verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Mitglieder der chinesischen Gemeinde in Paris sowie andere Personen hielten eine öffentliche Feier zum Gedenken der Opfer des Tiananmen-Massakers ab und wiederholten ihre Aufrufe für Transparenz und Gerechtigkeit.

Gedächtsnisfeier und Reden von französischen, chinesischen und taiwanesischen Aktivist*innen. Foto von Jade Dussart, verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Viele Zeugen und Aktivist*innen fragten: Wann wird Peking endlich die historischen Fakten eingestehen? Wann wird man die Familien der Opfer um Entschuldigung bitten?

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