Coronavirus und Überwachungstechnologie: Wie weit werden die Regierungen gehen?

Ein elektronisches Trackingarmband am Arm eines Passagiers am internationalen Flughafen Hongkong. Foto: Rachel Wong/HKFP.

Der folgende Artikel wurde von Shui-Yin Sharon Yam, einer Assistenzprofessorin für Schreiben, Rhetorik und digitale Studien an der Universität Kentucky, verfasst und am 24. März 2020 erstmals in der Hongkong Free Press veröffentlicht. Die folgende Version wird im Rahmen einer Partnerschaftsvereinbarung über Global Voices veröffentlicht.

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Nach dem rasanten Ausbruch von COVID-19, haben Regierungen aus aller Welt begonnen, neue Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Einige Länder haben nicht nur ihre Grenzen für Nicht-Staatsbürger*innen geschlossen, sondern auch digitale Tracking-Technologien eingesetzt, um sowohl die Einreisenden als auch die eigenen Staatsbürger*innen unter Kontrolle zu halten.

Am 18. März kündigte die Regierung von Hongkong an, dass sich jede Person, die die Stadt betritt, für zwei Wochen in Selbstquarantäne begeben und ein elektronisches Armband tragen muss. Das Armband wird mit einer Tracking-App verbunden, die auf die Smartphones der Einreisenden installiert wird.

Falls diese Tracking-App Änderungen am Standort der Person feststellt, werden die Gesundheitsbehörde und die Polizei darüber in Kenntnis gesetzt. Vor dieser Maßnahme mussten nur Personen, die kurze Zeit zuvor die Provinz Hubei in China besucht hatten, während der Quarantänezeit ein solches elektronisches Tracking-Armband tragen.

Wenngleich derartige Überwachungstechnologien und -maßnahmen der Gesellschaft ein Gefühl der Sicherheit bei der Kontrolle der Ausbreitung des Virus geben können, müssen wir stets wachsam und umsichtig  sein, sollten diese über das Ende der Pandemie hinaus beansprucht werden.

Einige europäische und nordamerikanische Länder wie Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten sind gegenwärtig stark vom Coronavirus betroffen. Indes wurden asiatische Länder von den internationalen Medien für ihre schnelle Reaktion und den Einsatz von Überwachungstechnologie zur Kontrolle des Ausbruchs gelobt.

Die Regierung von Singapur hat beispielsweise Richtlinien eingeführt, mit welchen sich eine verflochtene Kette von Kontakten effektiv und rigoros zurückverfolgen lässt. Seit Februar muss jede Person, die ein Regierungs- oder Geschäftsgebäude  in Singapur betritt, ihre Kontaktdaten bekannt geben.

Darüber hinaus hat die Regierung nicht nur zu jedem bekannten Infektionsfall, sondern auch zum Wohn- und Arbeitsort der infizierten Person und zum Netzwerk der Personen, mit denen sie in Kontakt steht, umfangreiche Daten erhoben.

Wiewohl diese Maßnahmen bisher zu positiven Ergebnissen führten, haben sie auch die technologische Kapazität und Macht der Regierung vor Augen geführt, die Bewegungen und das Leben jedes bzw. jeder Einzelnen zu überwachen.

In China, wo Covid-19 zum ersten Mal nachgewiesen wurde, verhängte der Staat nicht nur einen drastischen Lockdown, sondern aktivierte auch verschiedene Trackingsysteme, um sicherzustellen, dass Selbstquarantäne und Isolationsregelungen befolgt würden.

Neben dem Einsatz von Drohnen, um Bewegungen der Menschen zu erfassen und sicherzustellen, dass sie zu Hause bleiben, hat die Polizei in fünf chinesischen Städten damit begonnen, die Straßen zu patrouillieren und dabei mit einer Wärmebildtechnologie ausgestattete intelligente Helme zu tragen, die Alarm schlagen, wenn die Temperatur eines Bürgers bzw. einer Bürgerin über dem Schwellenwert liegt.

Die chinesische Regierung hat sich außerdem mit Hanwang Tecnology Limited zusammengetan, um die derzeit eingesetzte Gesichtserkennungstechnologie so zu perfektionieren, dass sie auch beim Tragen einer Gesichtsmaske funktioniert.

In Verbindung mit einem Temperatursensor, der Datenbank der chinesischen Regierung und den verfügbaren Informationen auf Landesebene, ermöglicht diese Technologie den Behörden, sofort den Namen derjenigen Personen zu identifizieren, deren Körpertemperatur 38 Grad Celsius übersteigt.

Laut Hanwang Technology ist diese Gesichtserkennungstechnologie dazu im Stande, bis zu 30 Personen „in einer Sekunde“ zu identifizieren.

Die Verwendung solcher Überwachungstechnologien war der Reduzierung von positiven Covid-19 Fällen zwar zweckdienlich, dennoch ist ihr Einsatz nicht frei von Risiken.

Von der Pandemie abgesehen, sind Staatsmacht und Technologiekonzern gleichsam daran interessiert, diese Technologie weiter zu entwickeln und einzusetzen: die Regierung kann letztere beispielsweise zur Verfolgung und Unterdrückung politischer Dissident*innen verwenden, während Hanwang Technology finanziell beträchtlich daran verdient.

Fernerhin kann diese Technologie von den chinesischen Terrorismusbekämpfungseinheiten eingesetzt werden, um die Bewegungsströme der Uiguren, die von der chinesischen Regierung als Terrorist*innen eingestuft und derzeit in Massenhaftlager und zur Zwangsarbeit deportiert werden, noch stärker zu überwachen und zu kontrollieren.

Fernab Ostasiens setzen auch einige Länder des Nahen Ostens, wie Israel und der Iran, ähnliche Überwachungstechnologien ein und behaupten, sie seien notwendig, um die Verbreitung des Coronavirus zu kontrollieren.

Die israelische Regierung bedient sich Technologien, die im Kampf gegen den Terrorismus entwickelt wurden, um Daten von Mobiltelefonen zu erfassen, damit die Kontakte von Personen nachverfolgt und jene identifiziert werden, die in Quarantäne zu bringen sind.

Die über die Telefone ermittelten Geolokalisierungsdaten werden dann verwendet, um die Bürger*innen auf Grundlage der Infektionsgeschehensausbreitung davon abzubringen, sich an bestimmten Orten aufzuhalten.

Es ist nicht nur ein Novum, dass Israel Daten zur Terrorismusbekämpfung einsetzt, um eine öffentliche Gesundheitskrise zu bekämpfen, sondern wurde auch bisher laut der New York Times von der Existenz dieses Datenschatzes noch nicht berichtet.

Am 06. März deckte der Forscher Nariman Gharib auf, dass die iranische Regierung die Mobiltelefondaten ihrer Bürger*innen über eine als Coronavirus-Diagnosetool getarnte App aufgezeichnet hat.

Der Sicherheitsexperte Nikolaos Chrysaidos bestätigte, dass die App sensible persönliche Daten erhob, die nichts mit dem Ausbruch der Pandemie zu tun hatten – so zeichnete erstere zum Beispiel die Körperbewegungen der Benutzer*innen auf, als sei sie ein Fitness-Tracker.

Google hat die App inzwischen aus dem Google Play Store entfernt, dennoch zeigt dieser Fall auf, dass die Öffentlichkeit gegenüber der staatlichen Nutzung von Überwachungstechnologien im Namen der öffentlichen Gesundheit stets wachsam sein muss.

Der Schutz der öffentlichen Gesundheit wurde in der Vergangenheit als Rechtfertigung für öffentliche Einrichtungen  und Regierungsbehörden herangezogen, das Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft zu stigmatisieren, zu überwachen und zu regulieren – wie z. B. jenes der Immigrant*innen, der ethnischen Minderheiten, Personen, die sich als LGBTQ+ bezeichnen und jener, die in Armut leben.

Wenn wir unseren Staat nicht für dessen Einsatz von Überwachungstechnologien während der derzeitigen Pandemie und darüber hinaus zur Rechenschaft ziehen, setzen wir diejenigen, die bereits marginalisiert sind, einem weiteren Risiko der erneuten Reglementierung, Unterdrückung und Verfolgung aus.

Der Artikel wurde von Nagehan Yilmaz und Martin Wachter, Studierenden des FTSK in Germersheim, im Rahmen einer Lehrveranstaltung von Dr. Anastasia Kalpakidou übersetzt.

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