Die ältere Generation des Shipibo-Stammes lässt im peruanischen Amazonas kraftvolle und bunter Bilder durch die mündliche Weitergabe ihrer Erzählungen entstehen. Ihre fesselnden Sagen und traditionellen Legenden wurden von den Großeltern an ihre Eltern weitergegeben und sie müssen nun dafür sorgen, dass diese wichtigen Elemente der Shipibo-Kultur erhalten bleiben.
Viele Geschichten werden in der Sprache der Shipibo erzählt, die in Teilen des peruanischen Amazonas sowie in einigen Teilen Braziliens gesprochen wird. Solange junge Leute die Geschichten hören möchten, die die Älteren weitergeben, werden viele der Erzählungen die nächste Generation überdauern. Und wenn die jungen Leute ihre seltene Sprache verlieren, besteht die Gefahr für die Kultur, die Erzählungen ebenfalls für immer zu verlieren.
Aus diesem Grund wurde in den Gemeinden der Ucayali-Region des peruanischen Amazonas das Projekt Chariboan Joi ins Leben gerufen. Das Projekt – was übrigens in der Shipibo-Sprache soviel wie „Fliegende Stimmen als Maracana-Papagei“ übersetzt heißt – ermutigt junge Leute, die alten Geschichten wertzuschätzen und ihre Muttersprache somit zu bewahren und durch die digitalen Medien bekannt zu machen. Unterstützt wird das Projekt von der „Rising Voices Amazonias“-Initiative und ist eine Zusammenarbeit zwischen der Organization of Indigenous Youth of the Ucayali Region (OJIRU – dies sind die spanischen Initialien) und der Organisation Arkana Alliance.
Anfang Dezember 2014 reisten Mitglieder der OJIRU mit einem Boot in die Gemeinde Nueva Betania, um dort ein Geschichten-Festival mit der Beteiligung der Ältesten zu organisieren und bei dem es Essen, Musik und kleinere Sport-Wettbewerbe gab.
Vor dem Festival wurde eine Training-Session abgehalten, teilgenommen haben interessierte Jugendliche aus den angrenzenden Gemeinden Betania, Alva Castro, Bethel und Palestina, die dabei lernen wollten, wie sie die Erzählungen der Älteren mit Mobiltelephonen festhalten können. Leider war ein Großteil der Audioaufnahmen nicht von guter Qualität, da viele Geräusche im Hintergrund zu hören sind und ein gutes Soundsystem fehlte. Die Erfahrungen jedoch wurden für die nächste Projektphase als Basis aufgenommen.
Viele junge Leute erhielten so eine Idee hinter der Message des Projekts und den Geschichten der Älteren. Allerdings spürten einige Teilnehmer eine Generationenlücke, die dazu führte die Geschichten mehr wertzuschätzen. Miguel Guimaraes, ein OJIRU-Mitglied, erzählt:
Although I can speak and write in Shipibo, I am not completely able to understand some words or phrases in the mashas (traditional songs) recorded during the festival. There is a generational difference regarding vocabulary, young people have added some words to the language of the “older society”, but at the same time they are losing other words that only the elders know.
Obwohl ich gut Shipibo sprechen und schreiben kann, kann ich nicht alle Wörter oder Phrasen in den traditionellen Liedern, die während des Festivals aufgenommen wurden, verstehen und erfassen. Es gibt eine generationsbedingte Differenz bezüglich des Vokabulars – junge Leute haben einige Wörter der Sprache “der Älteren” hinzugefügt, aber zeitgleich verlieren sie Wörter, die nur die Älteren kennen.
Die auserwählten Jugendlichen mit dem größten Interesse wurden dann schließlich nach Yarinacocha – einer Stadt, die außerhalb von Pucallpa liegt – für einen umfassenden Workshop im Bürgerjournalismus eingeladen, der an zehn Tagen im Februar 2015 stattfand. Dort lernten sie, wie Interviews geführt und wie Mobiltelephone sowie digitale Audiorekorder richtig angewandt werden.
Das Ergebnis war eine Reihe von Audioaufnahmen der traditionellen Shipibo-Geschichten, Witze und Lieder, sogenannte „Mashas“, ebenso wie Interviews mit Bürgern der Stadt. Themen, die die Jugendlichen ausgewählt hatten, waren kulturelle Identität, Ausbildung für Jugendliche in Shipibo, Auswirkungen von Naturkatastrophen und die Bedeutung der Bewahrung von Traditionen.
Auf WordPress wurde eine mehrsprachige Website erstellt, um die Erzählungen dort zu veröffentlichen. Hier finden Sie einige von Projektteilnehmern veröffentlichte Audioaufnahmen in der Shipibo-Sprache:
Dieser traditionelle Masha über die Körperreinigung als zeremonielles Ritual wurde von Demer González und Alipio Vásquez Gordón gesungen.
Auch Witze oder „osanti jaweki“ spielen in der Shipibo-Kultur eine bedeutende Rolle. Diese Aufnahme zwischen Gabriel Sinuiri und Emilio Sinuiri teilen die lustige Geschichte über den „Bürgermeister und dem Papagei“, eine Geschichte über einen Papagei, der aus seinem natürlichen Umfeld rausgerissen wurde und in die Stadt kam. Der Papagei kritisiert dort Behörden und Institutionen. Demer González über die Grundidee:
In the joke, the parrot represents the Shipibo people, its suffering, as well as its cultural resistance as some kind of catharsis, as the parrot ends up making fun of everybody else.
In dem Witz stellt der Papagei das Volk der Shipibo, dessen Leiden sowie ihren kulturellen Widerstand als eine Art Katharsis dar, wo der Papagei sich zum Schluss über alle dann lustig macht.
In diesem Interview in der Shipibo-Sprache spricht Carolina Melisa Brito Valeriano mit Mario Valles über traditionelle Erzählungen aus der Shipibo-Kultur. Er teilt gemeinsam mit ihr die traurige Legende vom „Frosch und seinen zwei Söhnen“. Dies ist eine Geschichte über einen jungen Frosch, der nach einem Unfall mit einem Pferd, während er eine große Ladung trug, getötet wurde. Die Mutter stirbt, nachdem sie versucht, sich genauso groß wie das Pferd zu machen.
Diese Audioaufnahme eines „Masha“ heißt El Masato und ist von Dina Ochavano. Das Lied handelt von der Begegnung mit einer Anakona.
Mehr Geschichten finden sich auf dem Blog des Projekts und auf dessen SoundCloud-Account.
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