Wie Kino und neue Gesetze für mehr Akzeptanz und Sichtbarkeit der Transgender-Gemeinschaft im Vietnam sorgen

Le Anh Phong, Protagonistin des Films „Finding Phong“. Foto mit Erlaubnis

Als Mitglied der LGBTQ+-Gemeinschaft in einer kommunistischen Gesellschaft zu leben, bedeutet, dass der Staat darüber bestimmt, wie sehr man in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Während LGBTQ-Menschen in Nordkorea ihre Identität vollständig verwehrt oder sie ihnen in China nur im privaten Raum zugestanden wird, ist Vietnam ein positives Beispiel für zunehmende Toleranz und die steigende Sichtbarkeit der LGBTQ+-Gemeinschaft des Landes. Diese Entwicklung umfasst auch die mediale Präsenz der Gemeinschaft. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ist der im Jahr 2015 erschienene Dokumentarfilm „Finding Phong“, der den Alltag einer vietnamesischen Transfrau porträtiert. Als Le Anh Phong, die Protagonistin des Films, und Gerry Herman, der Produzent, im Juli 2019 nach Prag reisten, um ihren Film einem tschechischen und tschechisch-vietnamesischen Publikum vorzuführen und zu diskutieren (über 800.000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln leben dauerhaft in der Tschechischen Republik; das entspricht ungefähr einem Prozent der Gesamtbevölkerung), konnte ich mit den beiden in einem Interview über die sich verändernde Einstellung gegenüber der LGBTQ+-Gemeinschaft im heutigen Vietnam sprechen. Das Interview wurde mit Unterstützung eines Dolmetschers geführt.

Filip Noubel (FN): Wie würden Sie die Situation der LGBTQ+-Gemeinschaft im heutigen Vietnam beschreiben?

Le Anh Phong: There is undoubtedly a growing emergence of this community. The first reason is due to the role played by the media that now openly covers LGBTQI+ issues, including inside the country. The second reason is that the Vietnamese National Assembly will review a draft law that would guarantee medical support to citizens requesting sex reassignment. This has created a flow of public and online discussions. 

Gerry Herman: The LGBTQI+ rights movement has also been actively supported by international organizations and several embassies, including those from the United States,  the Netherlands, Germany and Canada. A number of trainings, campaigns, study tours have been organized, and this has changed the general atmosphere. My impression is that Vietnamese authorities do not view LGBTQI+ issues as particularly sensitive or overly political. 

Le Anh Phong: Die Sichtbarkeit der Gemeinschaft nimmt zweifelsohne zu. Als ersten Grund hierfür können die Medien genannt werden, die jetzt offen über die Probleme der LGBTQ+-Angehörigen berichten, sogar über die landesinternen. Der zweite Grund ist der Beschluss der vietnamesischen Nationalversammlung, einen Gesetztesentwurf zu prüfen, der eine medizinische Versorgung für Bürgerinnen und Bürger garantieren würde, die eine Geschlechtsangleichung durchführen wollen. All das schuf eine Basis für öffentlich und online geführte Debatten.

Gerry Herman: Die Bewegung für die Rechte der LGBTQ+-Gemeinschaft wurde außerdem aktiv von internationalen Organisationen und verschiedenen Botschaften unterstützt, darunter jene der USA, der Niederlande, Deutschlands und Kanadas. Es wurden einige Schulungen, Kampagnen und Studienreisen organisiert, die zu einer Veränderung der allgemeinen Stimmung beitrugen. Ich habe den Eindruck, dass die vietnamesischen Behörden die Probleme der LGBTQ+-Menschen nicht als besonders heikel oder allzu politisch motiviert wahrnehmen.

FN: Wie gestaltet sich die Situation für Transmenschen, die schlussendlich mit ganz anderen Schwierigkeiten im Alltag zu kämpfen haben?

Le Anh Phong: In Vietnam, there is a lot of confusion within the public opinion about a set of different laws that affect the transgender community. First, in November 2015, a law was passed that changed provisions in the Civil Code allowing people who had a sex change to register legal documents under their new gender. This became effective as of January 2017. Now we are waiting for the next step: a law guaranteeing access to health care, such as hormonal therapy and psychological support. There is a draft of this law, and the National Assembly has announced it would review it by 2020.

Personally, I haven’t experienced much challenges: I still haven’t changed my legal documents, so very often officials at the bank or at the airport asked me why I still don't have new documents [reflecting my current gender]. In the end, they do provide the services I require from them. 

Le Anh Phong: In der vietnamesischen Öffentlichkeit herrscht große Verwirrung über eine Reihe von Gesetzen, welche die Transgender-Gemeinschaft betreffen. So wurde im November 2015 zunächst ein Gesetz verabschiedet, das die Bestimmungen des vietnamesischen „Civil Codes“ (in Deutschland vergleichbar mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch) veränderte und den Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen hatten, gestattete, ihre offiziellen Dokumente mit ihrem neuen Geschlecht zu registrieren. Es trat mit Januar 2017 in Kraft. Jetzt warten wir auf den nächsten Schritt – ein Gesetz, das den Zugang zu medizinischer Versorgung, wie zum Beispiel einer Hormontherapie und psychologischer Betreuung, ermöglicht. Es gibt so einen Gesetzesentwurf bereits und die Nationalversammlung kündigte an, ihn bis 2020 zu prüfen.

Ich persönlich bin bis jetzt noch auf keine Schwierigkeiten gestoßen. Ich habe meine offiziellen Dokumente immer noch nicht geändert; ich werde deshalb sehr oft von Beamten in Banken oder am Flughafen gefragt, warum ich noch keine neuen Dokumente [die meinem Geschlecht entsprechen] habe. Schlussendlich erbringen sie aber die Dienstleistungen, die ich von ihnen benötige.

FN: Was bewog Sie dazu, ihre persönliche Geschichte auf so öffentliche Weise – in einem Dokumentarfilm – zu erzählen?

Le Anh Phong: When I started my transition, I had almost no information about the process. I did this movie so that others [the transgender community in Vietnam is estimated to reach nearly 300,000 people] would find out about the issues, the challenges, the solutions. The second reason is that I wanted to have memories of my own journey. 

The most difficult part for me in the making of the movie was to introduce the camera in the privacy of my family, and have my family members get used to this intrusion. I wanted the whole thing to be humorous, so people would take it lightly. When we shoot the movie, I was working, so usually the filming happened after work, sometimes as late as 3 a.m. I was very tired, but I wanted the film to capture the authenticity of the moment.   

Le Anh Phong: Als ich mit meiner Geschlechtsangleichung begann, hatte ich so gut wie keine Informationen über den damit verbundenen Prozess. Ich machte diesen Film, damit sich andere [Schätzungen zufolge umfasst die vietnamesische Transgender-Gemeinschaft fast 300.000 Menschen] über Probleme, Herausforderungen und Lösungen informieren können. Der zweite Grund ist, dass ich Erinnerungen an meine Reise haben wollte.

Der schwierigste Teil des Filmdrehs war für mich, eine Kamera in die Privatsphäre meiner Familie einzuführen und die Mitglieder meiner Familie an diesen Eindringling zu gewöhnen. Ich wollte alles humorvoll gestalten, damit die Menschen es leichter aufnehmen konnten. Als wir den Film drehten, arbeitete ich; deshalb wurde normalerweise nach der Arbeit gedreht, das bedeutete manchmal sogar sehr spät um drei Uhr in der Früh. Ich war sehr müde, aber ich wollte, dass der Film authentische Momente festhalten konnte.

FN: Wie wurde im Vietnam auf den Film reagiert?

Le Anh Phong: Initially, the movie was shown only in international documentary film festivals outside abroad. But in 2018, it was shown for the first time in commercial cinema theatres in Vietnam. The reception was so positive and got such good reviews in the media and from government officials that the screening was prolonged for a second week. For me, the most positive aspect is that the audience is no longer not limited to LGBTQI+ community. In fact, parents came and stayed during the entire film, which I did not expect.

Gerry Herman: It was also the first documentary movie played in commercial cinema theaters in Vietnam. Amazingly, the censorship allowed nude scenes which are always taken out in films shown in cinemas in Vietnam. Perhaps because of the topic of the movie, the censors did not intervene, which is a rare precedent. 

Le Anh Phong: Ursprünglich wurde der Film nur im Zuge internationaler Dokumentarfilm-Festivals im Ausland gezeigt. Doch im Jahr 2018 wurde er zum ersten Mal in einem öffentlichen Kino im Vietnam vorgeführt. Die Reaktionen waren so positiv und er bekam so gute Kritiken von den Medien und von Regierungsvertretern, dass der Film noch eine weitere Woche gezeigt wurde. Das Schönste für mich ist, dass die Zuschauer nicht nur aus den Reihen der LGBTQ+-Gemeinschaft stammen. Es kamen sogar Eltern und schauten sich den ganzen Film an; das habe ich nicht erwartet.

Gery Herman: Es war außerdem der erste Dokumentarfilm, der in öffentlichen Kinos im Vietnam gezeigt wurde. Überraschenderweise erlaubte die Zensurbehörde Nacktszenen, die normalerweise aus allen Filmen, die in vietnamesischen Kinos vorgeführt werden, gestrichen werden. Vielleicht griff die Zensurbehörde auch aufgrund des Filmthemas nicht ein – das kommt nur äußerst selten vor.

FN: Wie haben Sie sich als Produzent dazu entschlossen, diesen Dokumentarfilm zu drehen?

Gerry Herman: I met Phong at a social gathering, and I heard the following story: “everybody thinks I am a gay boy, but in fact I am a straight girl in a boy’s body.” I became fascinated by the story of a young boy who grew up in central rural Vietnam with no exposure to notions of transgender identity. When Phong told me she had contacted other transgender people telling her about the underground hormone market and contacts with cheap doctors in Bangkok, I proposed a deal: we would make a documentary about her journey provided she would agree to do the transition with appropriate medical support. 

I also contacted a transgender filmmaker who alerted me about the pain that most transgender people experience in regard to their past. They usually burn pictures taken before their transition. For Phong, it was the opposite, she wanted the whole story to be captured. In the end, the real challenge was the editing: two years of filming ended with over 250 hours of footage. 

Gerry Herman: Ich traf Phong im Rahmen eines gesellschaftlichen Events und lauschte der folgenden Geschichte: „Jeder denkt, dass ich ein homosexueller Junge bin, doch in Wirklichkeit bin ich ein heterosexuelles Mädchen in dem Körper eines Jungen.“ Die Geschichte dieses kleinen Jungen, der im ländlichen Herzen Vietnams aufwuchs ohne dabei jemals mit dem Begriff der Transgender-Identität in Berührung gekommen zu sein, faszinierte mich. Als mir Phong davon erzählte, dass sie andere Transgender-Menschen kontaktiert hatte, die ihr von einem Hormon-Schwarzmarkt und günstigen Ärzten in Bangkok berichtetet hatten, schlug ich ihr den folgenden Deal vor: Wir würden einen Dokumentarfilm über ihre Reise machen unter der Voraussetzung, dass sie einwilligte, ihre Geschlechtsangleichung mithilfe einer angemessenen medizinischen Versorgung durchzuführen.

Ich kontaktierte auch einen Transgender-Filmemacher, der mich auf den Schmerz, den viele Transmenschen in Bezug auf ihre Vergangenheit empfinden, aufmerksam machte. Sie verbrennen normalerweise Fotos, die vor ihrer Geschlechtsangleichung gemacht wurden. Bei Phong war das Gegenteil der Fall, denn sie wollte ihre ganze Geschichte aufzeichnen. Schlussendlich war das Bearbeiten die größte Herausforderung, denn nach zwei Jahren Dreharbeiten gab es über 250 Stunden Filmmaterial.

 FN: Wie groß ist die Chance, dass Vietnam nach Taiwan das zweite Land Asiens wird, das die Ehe für alle per Gesetz erlaubt?

Le Anh Phong: I was very happy when I saw the news in Taiwan because it is a place not far away from Vietnam. This means our lawmakers know about this law. Now transgender groups are also advocating for a same-sex marriage law, but the priority remains on the sex reassignment support law. People believe once this law has been passed, the same-sex marriage law will be much easier to adopt. The reality in Vietnam is that a lot of same-sex couples live together, but of course they have no legal protection of their rights currently. 

Gerry Herman: There are two stages to a marriage in Vietnam: a ‘family marriage’ and then a civil, government-registered marriage. Until five years ago, it was illegal to have a gay ‘family marriage’, the police would disrupt such ceremonies. Now it is not legal, but also no longer illegal, it is tolerated and we witness many gay and lesbian marriages. This indicates growing acceptance, including from the authorities.

Le Anh Phong: Ich war sehr erfreut, als ich die Neuigkeiten aus Taiwan hörte, denn das Land liegt nicht unweit von Vietnam. Das bedeutet, dass unser Gesetzgeber über dieses Gesetz informiert ist. Transgender-Gruppen setzen sich momentan auch für ein Gesetz zur Ehe für alle ein; das Gesetz über eine Unterstützung der Geschlechtsanglichung bleibt aber die Priorität. Die Menschen gehen davon aus, dass ein Gesetz für die Ehe für alle leichter umzusetzen sein wird, wenn dieses Gesetz erst einmal verabschiedet wurde. Die reale Situation in Vietnam zeigt, dass gleichgeschlechtliche Paare zwar zusammenleben, aber keinen gesetzlich gesicherten Anspruch auf ihre Rechte haben.

Gerry Herman: Es gibt in Vietnam zwei Arten von Ehe: eine „Familien-Ehe“ und eine zivile, staatlich anerkannte Ehe. Bis vor fünf Jahren war es noch illegal, eine homosexuelle „Familien-Ehe“ einzugehen; die Polizei unterbrach solche Zeremonien. Aktuell ist es zwar noch nicht legal, aber auch nicht länger illegal; sie wird wird toleriert und es gibt viele schwule und lesbische Hochzeiten. Das spricht für die steigende Akzeptanz, auch von Seiten der Behörden.

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