Dieser Artikel wurde von Katrin Denger, Désirée Münch, Julia Szemerits, Katharina vom Endt, Eugenia Wiese, Laura Wimmer und Angelika Zennegg, Studierende des FTSK Germersheim, unter der Leitung von Dipl.-Übers. Nadine Scherr im Rahmen des Projektes „Global Voices“ übersetzt.
Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.
Die vielen Protestbewegungen, die der Umsetzung von Sparmaßnahmen in einigen europäischen Ländern, die mit der Staatsschuldenkrise [en] zu kämpfen hatten, folgten, hätten uns lehren sollen, dass man früher oder später damit rechnen muss, dass die Menschen ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen werden, wenn ihre Volkswirtschaft den Zinssätzen und Finanzmärkten ausgeliefert ist. Dies trifft besonders auf ein Land wie Italien zu, das aufgrund jahrelanger Misswirtschaft der Regierung ohnehin schon überstrapaziert ist und neben einem Haushalts- und Demokratiedefizit außerdem mit einem Informationsdefizit zu kämpfen hat.
Seit Mitte Januar wird Italien nun schon von Protestwellen erfasst. Die Proteste begannen in Sizilien mit der Mobilisierung der Landwirte, Fernfahrer und Fischer, größtenteils Kleinunternehmer, denen sich später die gesamte sizilianische Bevölkerung anschloss, darunter Angestellte, Studenten und Arbeitslose. Die Bewegung trägt den Namen Forza d'Urto [it] („Stoßkraft“), besser bekannt als die „Heugabel-Bewegung“.
Vom 16. Januar an brachten Fernfahrer die Straßen und Autobahnen auf der Insel durch mindestens 26 Blockaden sechs Tage lang zum Stillstand [en], unterbrachen den Warenverkehr und brachten den Geschäftsbetrieb zum Erliegen, was zu langen Schlangen an Tankstellen und zu leeren Supermarktregalen führte.
Später erfasste die Protestwelle auch andere Regionen [it], in ganz Italien kam es zu Streiks und Blockaden. In Rom wurden während einer Demonstration von Fischern vor der Abgeordnetenkammer mehrere Demonstranten verletzt [en]. Eine Massenbewegung gegen das Sparpaket, das von Ministerpräsident Mario Monti und seinem Kabinett [en] beschlossen wurde, klagte vor allem über den steilen Anstieg der Benzinpreise. In den ersten Tagen des Protests schwiegen die italienischen Medien, außer ein paar lokalen Zeitungen, jedoch weitgehend zu den Ereignissen, wie Marco Cedolin in seinem Blog Il Corrosivo [it] ausführt:
I media mainstream in queste stesse ore tacciono, reputando (e lasciando intendere) che in Sicilia non stia accadendo nulla che meriti attenzione, tutto tranquillo e nessun problema.
Davvero la protesta in questione è una vicenda d’importanza ed incidenza così minimale da non meritare neppure un servizietto di 50 secondi, di quelli che comunemente vengono dedicati perfino al nuovo tatuaggio sfoggiato dal vip di turno?
Ist der Protest von so untergeordneter Bedeutung, dass er nicht einmal einen 50-Sekunden-Bericht verdient, wie er normalerweise zur Diskussion des neuesten Tattoos eines beliebigen Prominenten erfolgt?
Vereint auch durch das Gefühl, von den Politikern beider Lager entrechtet worden zu sein, protestieren die Streikenden der unterschiedlichen Berufsgruppen gegen das Liberalisierungspaket der Regierung. Zu den Streikenden zählen Fischer, die angeben, die laufenden Kosten für ihre Unternehmen aufgrund von Verbrauchssteuern nicht mehr tragen zu können, und Fernfahrer, die es sich aufgrund stark steigender Benzinpreise nicht mehr leisten können, zu den niedrigen Preisen zu liefern, die vom Wettbewerb diktiert werden. Daher wird die Bewegung oft skeptisch betrachtet und mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würde nur eigennützige Interessen vertreten.
Auf Fuori Onda Blog [it] prangert David Incamicia an, die Protestbewegung mache die jetzige Regierung für alles verantwortlich, und betont, sie habe im vergangenen November ein Land von Berlusconi übernommen, dessen Wirtschaft am Boden lag und dessen internationales Ansehen zerstört war:
Le piazze in rivolta avevano certamente motivo d'essere fino a qualche settimana fa, quando l'irresponsabilità di “un sol uomo al comando” e la sua ostinata resistenza al potere hanno finito per rendere ancor più dura e di difficile risoluzione la pesante situazione sociale del Paese (…)
Ma oggi, proprio per evitare il tracollo definitivo, occorre che tutti giochino nella stessa squadra (…) Gli egoismi vanno rimossi senza se e senza ma. Così come l'ancora poderosa demagogia che arringa a destra e a manca.
Bis vor wenigen Wochen hatten die Menschen, die auf die Straße gingen, auch jeden Grund dazu, da die Verantwortungslosigkeit eines Mannes, der alle Stränge in der Hand hielt und dessen hartnäckige Weigerung, die Macht abzugeben, es für das bereits angespannte soziale Gefüge des Landes nur noch schwerer machten, eine Einigung zu erzielen.
Um einen unwiderruflichen Zusammenbruch zu vermeiden, sollten jetzt allerdings alle an einem Strang ziehen. (…) Eigennützige Interessen sollten ohne Wenn und Aber beseitigt werden. Dasselbe gilt auch für den starken demagogischen Diskurs, der von rechts und links kommt.
Diejenigen, die begierig die Gelegenheit ergreifen, lautstark Kritik an der aktuellen Regierung zu äußern (wie etwa die stark rechts orientierte Partei Lega Nord, die jetzt in der Opposition ist), scheinen die Tatsache außer Acht zu lassen, dass die Bauern-Bewegung (oder Heugabel-Bewegung) eigentlich letzten Sommer entstanden ist [it], und dass Fischer schon seit 2008 Arbeitsstreiks organisieren. Währenddessen besteht weiterhin ein Unvermögen (oder vielleicht sogar mangelnde Willensstärke?), die Art der Bewegung genau zu definieren. Dies führt zu erheblicher Verwirrung, die für verschiedene politische Ziele ausgenutzt wird.
Während der Streiks richteten die Mainstream-Medien ihr Hauptaugenmerk auf vermeintliche Infiltrationen der Mafia [it] und den Tod eines Fernfahrers in Asti [it]. Bei Facebook hingegen wurde auf Seiten, die mit der Bewegung sympathisieren oder in Verbindung stehen, unter anderem eine ständig zunehmende Anzahl an Links [it] zu der neofaschistischen Bewegung Forza Nuova [de] verbreitet, welche die Heugabel-Bewegung unterstützt. Häufig verwendete Hashtags bei Twitter waren #fermosicilia, #forzadurto und #forconi.
Der folgende Kommentar von Veneti stufi [it] über die selbsternannte offizielle Facebook-Seite der Bewegung [it], zeigt diese Verwirrung sehr deutlich:
Non capisco più nulla, pagine colme di rabbia e non di vera indignazione/protesta, ma quali sono i VERI FORCONI? Il sito non è attivo, ognuno in rete dice tutto ed il contrario di tutto, USATE la rete e coinvolgete le persone, non date modo di strumentalizzarvi.
Allerdings waren an den zahlreichen Märschen, die in verschiedenen Städten rund um Sizilien organisiert wurden, einschließlich in Gela und Palermo (siehe Video), Studenten, Arbeitslose und junge Leute mit jeglicher politischer Zugehörigkeit beteiligt. Dies belegt folgende Presseerklärung [it] die vom Studentato Autogestito Anomalia [it] und dem Laboratorio Vittorio Arrigoni, [it] zwei der wichtigsten sozialen Zentren der Stadt, unterzeichnet wurde:
La protesta popolare che si sta diffondendo in Sicilia come tutte le proteste di questo tipo sono complesse, di massa e contradditorie, ma di sicuro parlano il linguaggio della lotta contro la globalizzazione, contro equitalia e lo strozzinaggio legalizzato che sta mettendo in miseria larghe fasce della societa’ siciliana , contro la casta politica di destra e di sinistra (…)
Noi, militanti di centri sociali e di spazi occupati della citta’ di Palermo, sosterremo la lotta di “forconi” e autotrasportatori perchè frutto di una giusta battaglia e perchè ricca di positive e “incompatibili” energie; per questo, come sempre, saremo al fianco di chi lotta contro la crisi e questo intollerabile sistema.
Wir, die Vertreter der sozialen Zentren und der besetzten Plätze Palermos, werden die Heugabel-Bewegung und den Fernfahrerstreik unterstützen, da diese das Resultat eines gerechten Kampfes sind, erfüllt von positiven und gegensätzlichen Energien. Daher werden wir, wie immer, zu denjenigen halten, die sich gegen die Krise und das untragbare System auflehnen.
Marco Cedolin zufolge [it] sollte man dem Protest Bedeutung beimessen, da er versucht, sich über die ideologische Trennung hinwegzusetzen.
Non so quanta “fortuna” avrà la protesta dei Forconi che sta paralizzando la Sicilia, così come non conosco le prospettive di una movimentazione che sembra manifestarsi (per la prima volta in Italia) realmente trasversale, abiurando i partiti e tentando di mettere nel cassetto le divisioni settarie fra “rossi e neri” che da sempre minano alla radice qualsiasi battaglia in questo disgraziato paese, conducendola ogni volta sul binario morto della diffidenza e dei distinguo.
Die Öffentlichkeit ist nicht in der Lage, die Art des Protests zu erfassen, was wahrscheinlich vor allem an der Unfähigkeit der Massenmedien liegt, die ganze Wahrheit wiederzugeben. Das ist ein weiteres Vermächtnis der Berlusconi-Regierung (Italien belegt den 61. Platz auf der von der Organisation Reporter ohne Grenzen erstellten Rangliste der Pressefreiheit für 2011-12 [en]), mit dem sich die Politiker immer noch nicht ernsthaft auseinandersetzen wollen [it]. Davide Grasso schreibt im Blog Quiete o Tempesta [it] Folgendes über die Heugabel-Bewegung:
l’ennesimo successo a metà del sistema italiano dell’informazione. Successo nel combattere le aspirazioni dei soggetti sociali che scelgono la strada della protesta ma fallimento (opposto e speculare) nel comprendere e riportare un rilevante fenomeno sociale.
Nicola Spinella schreibt auf Agoravox [it]:
Il celebre motto “divide et impera” rivela ancora oggi, dopo due millenni, la propria immortalità: è bastato agitare davanti al popolo il fantasma della mafia infiltrata nelle fila degli autotrasportatori, assimilarli a sigle dell'estrema destra, per ridurre la protesta ad un fuoco di paglia. Difficile pronosticare uno scenario futuro per tutta un'Italia scossa dal salasso Monti e da un ventennio di malgoverno berlusconiano.
Der Dialog zwischen Regierung und Protestbewegung scheint zum Erliegen gekommen zu sein. Eine neue Welle von Protesten wurde angekündigt und sollte am Montag, den 6. Februar [it] mit Sitzblockaden in mehreren sizilianischen Klein- und Großstädten beginnen. Von einigen dieser Proteste wurde berichtet [it], doch die Besetzung der Häfen und Ölraffinerien scheint verschoben worden zu sein. Es wurde von langen Schlangen an Tankstellenkassen [it] in Messina am Samstag, den 4. Februar berichtet. Die Schlangen werden als Vorbereitung für erneute Streiks gedeutet.
Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.