Wer gilt in Frankreich als Elternteil?

Graffiti, das PMA-Zugang für alle fordert („procréation médicalement assistée“ oder „medizinisch assistierte Fortpflanzung“ auf Deutsch). Paris, 2018. Foto von Ittmostt auf Flickr (CC BY 2.0)

Jene Familien, die nicht den „traditionellen“ heterosexuellen, cisgender Normen entsprechen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Sie haben in der französischen Gesellschaft auch stetig an Akzeptanz gewonnen. Dennoch sind die Anerkennung von Partnerschaften und der Zugang zu Fruchtbarkeitsbehandlungen noch nicht gesetzlich garantiert. Dies zeigt die Ungleichheiten auf, die bei der Gründung einer Familie noch bestehen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron drängt auf die Durchsetzung eines Gesetzes „bis zum Sommer 2021“, womit er sein Wahlversprechen von 2017 einzuhalten versucht. Wichtige Punkte dieses Gesetzes sind der Zugang zu In-vitro-Fertilisation (IVF) und künstlicher Befruchtung für Singlefrauen und lesbische Paare. Diese Reform wurde jedoch kürzlich vom Senat des französischen Parlaments abgelehnt – eine Entscheidung, die viele Aktivistinnen und Aktivisten, die schon lange für diese Rechte kämpfen, enttäuscht hat. Einige haben noch die Hoffnung, dass der Gesetzesentwurf letztendlich von der Nationalversammlung verabschiedet wird.

Im Mittelpunkt der Diskussion steht jedoch nicht nur die Geschichte eines monolithischen Staates, der sich gegen fortschrittliche Kräfte stemmt.

Klar ist: Vor den französischen Behörden hat nicht jede*r dasselbe Recht, Mutter oder Vater zu werden. Singlefrauen wurden sogar von manchen Abgeordneten im Senat als „verletzlich“ bezeichnet und Menschen mit Transidentität werden im nationalen Plan gegen LGBTI+-Diskriminierung fast gänzlich außer Acht gelassen. Es scheint fast so, als würde das Bedürfnis der Fortpflanzung für manche Personen in Frankreich immer noch als unrechtmäßig und nicht normal angesehen werden. Viele Singlefrauen und Menschen der LGBTQI-Community müssen weiterhin ins Ausland reisen, bis das Land entscheidet, ihnen offenen Zugang zu medizinisch assistierten Fortpflanzungstechnologien zu gewähren.

Ein wunder Punkt für Gruppen wie La Manif Pour Tous, die sich dem Gesetzesentwurf widersetzen, ist, dass lesbische Paare oder Singlefrauen ein Kind ohne den Vater bekommen könnten und somit „verhindert wird, dass das Kind seine echten Wurzeln kennenlernt“. Diese Sorge um das Wohl der Kinder könnte durch halbanonyme Spenden adressiert werden, bei denen Informationen über den Spender unter bestimmten Bedingungen zur Verfügung gestellt werden können, anstatt den Zugang zu Fortpflanzungstechnologien für Frauen gänzlich zu untersagen.

Der größte Widerstand scheint jedoch in der Besorgnis begründet zu sein, dass Männer ihren Platz in der Gesellschaft verlieren könnten. Gegner*innen des Gesetzesentwurfs bezeichnen den Zugang für Frauen zur Fortpflanzung, bei der die Samenspende die einzige Beteiligung des Mannes ist, oft als Zeichen dafür, dass „Väter unbedeutend werden“. Dies scheint für eine Gesellschaft, die sich an der Binarität der Geschlechter orientiert, eine existenzielle Bedrohung darzustellen.

Die Perspektive der La Manif Pour Tous ignoriert dabei die mentale Last, mit der Frauen bereits konfrontiert sind, wenn es um Themen wie Fortpflanzung oder Kindererziehung geht. Baptiste Beaulieu, ein französischer Arzt, betont in einem Tweet, dass Frauen in vielen Fällen die Mehrheit der Kindererziehung übernehmen, obwohl „bei der bloßen Erwähnung von Fortpflanzungsmedizin hier (auf Twitter) eine Gruppe von Männern zu Wort kommt, die das Recht auf ihre Vaterrolle, die sie in Wirklichkeit so oft an andere angeben, verteidigen“. Man ist versucht, etwas ironisch zu entgegnen: Ist es für heterosexuelle Paare überhaupt gesund, Kinder zu bekommen? Es ist ganz sicher nicht unsere Entscheidung, und genau das ist der Punkt.

Gemäß einer aktuellen Studie über die Praktiken bei Adoptionen in Frankreich ist es wichtig, finanziell in einer guten Situation, in einer stabilen Beziehung und bevorzugt ein heterosexuelles Paar zu sein, um als „guter Kandidat“ für die Adoption eines Kindes angesehen zu werden. Zudem hilft es, weiß und nicht in irgendeiner Weise eingeschränkt zu sein. Sozialarbeiter*innen basieren ihre Entscheidungen dabei darauf, was allgemein als „das Beste“ für das Kind angesehen wird. Das Gesetz wird so durch diskrete Akteur*innen umgesetzt, deren Entscheidungen die privaten Leben der Bürger und Bürgerinnen beeinflussen.

Es bleibt die Frage, was eine „gute Familie“ ist und die noch fundamentalere Frage danach, was in den Augen der französischen Regierung, die zum großen Teil aus Repräsentant*innen besteht, die nicht durch die hier diskutierten Themen betroffen sind, als Familie angesehen wird.

Was ist eine „Familie“?

Das französische Gesetz ist hinsichtlich dieser Frage noch recht konservativ, denn es wird weiterhin der Biologie Vorrang gegeben. Das Gesetz sieht als Eltern jene Menschen an, deren genetisches Material zur Zeugung des Kindes beigetragen hat, d. h. die Person, die das Kind geboren hat und der Mann, der mit dieser Person verheiratet ist oder der sich als registrierter Vater meldet. Alle anderen Fälle – Co-Parenting, Patchwork-Familien, LGBTQI+-Familien – müssen derzeit juristisch kreativ gelöst werden, meist mittels Adoptionsprozess.

Das bedeutet, wenn drei oder vier Personen sich gemeinsam für Co-Parenting entscheiden, können anfangs lediglich zwei rechtlich als die Eltern eingetragen werden. Die restlichen Personen sind rechtlich gesehen nicht involviert, bis Adoptionsanträge eingereicht werden. Lesbische Paare haben mit einer ähnlichen Schwierigkeit zu kämpfen, da lediglich die Mutter, die das Kind geboren hat, auf der Geburtsurkunde angegeben werden kann. In solchen Situationen kann es passieren, dass ein Elternteil gänzlich aus dem Leben des Kindes ausgeschlossen wird, sollte es zu einer Trennung kommen, bevor der Adoptionsprozess abgeschlossen ist.

Das Konzept der Familie ist jedoch derzeit im Wandel, da viele bestehende „untypische“ Familien immer sichtbarer und lauter werden. In der Gesellschaft wird das Konzept der Familie dehnbarer. Richter*innen und Gesetzgeber*innen sind jedoch in der Lage, diesen Wandel zu bremsen oder gar rückgängig zu machen, indem sie die Grenzen definieren, wer rechtlich als anerkannter Elternteil gilt. Hierbei geht es nicht nur um juristische Formalitäten: Auch wenn der Gesetzesentwurf den langsamen Weg bis zur Verabschiedung eines Gesetzes schafft, bleibt noch viel zu tun, bis alle die Vielfalt akzeptieren und annehmen, die die französischen Familien derzeit ausmacht.

Es ist also noch ein langer Weg, bis Elternschaft außerhalb der strengen Norm, wie sie derzeit im Gesetz verankert ist, normalisiert wird. Es zeigt sich, dass alle mitreden möchten, wenn für die Erfüllung eines Kinderwunsches medizinische Hilfe, oder zumindest ein Spender, zwingend notwendig ist. Diese tatsächlichen und mentalen Hürden, die durch diese Diskussionen errichtet werden, führen dann dazu, dass es sich viele oft zweimal überlegen, ob sie ihre Kinderwünsche wirklich umsetzen möchten. Jene, die die belastenden, administrativen Prozesse doch durchlaufen, tun dies jedenfalls nach sorgfältiger Überlegung und Planung und mit dem Wissen, dass sie das Gesetz umgehen.

Es ist nicht vorhersehbar, welche Richtung das Parlament in dieser Diskussion letzten Endes einschlagen wird, jedoch ist eine Sache sicher: Aktivistinnen und Aktivisten beider Seiten werden nicht lockerlassen.

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