Erst das Erdbeben, nun die von Menschen ausgelöste Katastrophe: Nepal kommt nicht zur Ruhe

Earthquake hits Kathmandu, Nepal. April 2015, © Jean Paul Delain/MSF An year in Picture. Used with permission

Als das Erdbeben Kathmandu, Nepal erschütterte. April 2015. © Jean Paul Delain/MSF. Aus “A Year in Pictures”. Mit Nutzungserlaubnis

Es war ein hartes Jahr für Nepal, dem Binnenland mit 27 Millionen Einwohnern. Es teilt sich die Grenzen mit den beiden mächtigen Riesen China und Indien.

Erdrutsche, verursacht durch das verheerende Erdbeben im April, haben die Lieferwege über China zerstört. Somit ist Nepal nun total von der 1.751 km langen offenen Grenze zu Indien abhängig.

Die Beziehungen zum Nachbarn Indien fingen an schlechter zu werden, als Nepal im September endlich eine neue Staatsverfassung in Kraft setzte. Gerade als das Land anfing sich vom Erdbeben zu erholen, stauten sich Lastwagen, die lebensnotwendige Lieferungen und Benzin im Wert von 277.7 Millionen Euro ins Land bringen wollten, an der indischen Seite der Sunauli Grenze bis auf 14 Kilometer auf.

Die indische Regierung beharrt darauf, dass sie keinerlei Blockaden über Nepal verhängt hat. Sie behauptet lediglich, dass sie wegen der Proteste nahe der Grenze vorsichtig ist mit dem Lastwagenverkehr. Proteste, die als Folge der Verfassungs-Neueinführung entstanden sind. Aber Ortsansässige berichten, dass auch ohne jegliche Protestbewegungen in diesem Gebiet nur eine gewisse Anzahl von Lastwagen alle zwei bis drei Tage durchgelassen wird.

Die neue Verfassung

Nepals lang ersehnte neue Verfassung trat im September in Kraft. Indien plädierte dafür, dass sieben Zusatzartikel der neuen Verfassung angefügt werden, um sicher zu gehen, dass die Madhesi und Tharu Gemeinden, die ungefähr 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung Nepals ausmachen, gesetzlich gut vertreten sind. Die Verfassung sollte den Streit schlichten zwischen den Leuten von den Bergen, die den größten Anteil an der politischen Macht Nepals haben und den Leuten der Ebene, den Madhesis, die ethnische und kulturelle Gemeinsamkeiten mit Indien haben. Die Madhesis ringen um mehr Würde und Eingliederung und sie bemühen sich darum gleichberechtigte Bürger Nepals zu werden. Seit Jahren misstraut Nepals politisch mächtiges „Berg”- Establishment den Madhesis. Sie betrachten sie als subversive Kräfte, die sich mit Indien gegen nepalesische Interessen verbünden.

Warum sich Indien Sorgen macht

Die neue Verfassung, an der länger als zehn Jahre gearbeitet wurde, erklärt die Nation als eine säkulare Republik, die in sieben Bundesprovinzen aufgeteilt wurde. Die ethnischen Minderheiten der Madhesis und der Tharu protestierten, weil die vorgegebenen Grenzen der neuen Provinzen sie politisch ausgrenzen könnten. Und Indien seinerseits ist besorgt, dass diese Proteste in Gewalt umschlagen und auf Indien übergreifen könnten.

Prashant Jha von der Hindustan Times, erklärt warum für Indien so viel auf dem Spiel steht:

A peace process was conceived and signed in New Delhi exactly ten years ago, at the end of 2005. India has been an actor through much of the process in Nepal – from encouraging Constituent Assembly elections, mediating between the government and Madhesi protestors in the past to come to pacts, getting involved in government formation exercises and more. Some of this was legitimate, some of it was excessive. But given India’s deep engagement in the process, it cannot wash its hands off at this moment of climax, when the process itself is about to crumble.

Ende 2005, also vor fast genau zehn Jahren, wurde in Neu Delhi ein Friedensprozess konzipiert und unterschrieben. Hierbei hatte Indien während fast der gesamten Durchführung eine führende Rolle in Nepal. Indien ermutigte dazu, Wahlen für verfassungsgebende Versammlungen durchzuführen, es vermittelte damals zwischen der Regierung und den Madhesi-Protestern, um zu einer Einigung zu kommen, und es beteiligte sich an Regierungsbildungs-Workshops und mehr. Manchmal war es legitim, manchmal aber auch etwas übertrieben. Aber nachdem sich Indien so sehr am Prozess beteiligt hat, muss es sich im Moment des Höhepunkts seiner Verantwortung stellen, dann wenn der Prozess selbst dabei ist, sich aufzulösen.

Wird Nepal bestraft?

Doch gab es bei Nepals Einwohnern heftige Reaktionen gegen Indiens Einmischung in die Verfassung. So mancher Nepali vertritt die Theorie, dass Indien das Binnenland deswegen bestrafen will. Der Blogger Shiromani Dhungana schreibt:

Being landlocked, most of Nepal’s imports come via India. Although international laws provide landlocked countries the right to unrestricted passage to the sea, India has been unquestioned by the international community on the way it is putting an entire country of about 28 million in “ventilator support”.

By blockading Nepal, India is supporting a group of protesters in Central Terai of Nepal. The blockade has caused massive suffering to people all over the country. Economy has been destroyed and might take years to recover. Jobs have been lost, investors have pulled out, major infrastructure and development projects have been badly affected and put out-of-schedule, and education of millions of kids has been disrupted. Industries have closed because of lack of security and raw material supply. Vaccination programs have also been disrupted. This shows the scale of suffering Nepal is facing because of the inhumane blockade by India.

Da Nepal ein Binnenland ist, kommen die meisten seiner Importe aus Indien. Obwohl das internationale Recht Binnenländern das Recht auf uneingeschränkten Durchgang zum Meer einräumt, wurde Indien von der Weltengemeinschaft nicht zur Rede gestellt bezüglich seiner Praktiken ein ganzes Land mit 28 Millionen Einwohnern, sozusagen auf „künstliche Beatmung” umzustellen.

Durch die Blockade Nepals, unterstützt Indien eine Gruppe von Protestern aus Zentral Terai in Nepal. Die Blockade verursachte unglaubliches Leid unter der Bevölkerung des gesamten Landes. Die Wirtschaft wurde zerstört und braucht wahrscheinlich Jahre um sich wieder zu erholen. Arbeitsplätze gingen verloren, Investoren zogen sich zurück, auch sind davon großangelegte Infrastruktur und Bebauungspläne schwer betroffen. Hinzu kommt noch, dass die schulische Erziehung vieler Millionen Kinder unterbrochen wurde. Ganze Wirtschaftszweige mussten schließen, wegen der fehlenden Sicherheitslage und Rohmaterialieferungen. Impfprogramme wurden auch unterbrochen. Das zeigt das Ausmaß an Leid dem Nepal gegenüber steht, alles wegen der unmenschlichen Blockade durch Indien.

In BhatBatheni, Kathmandu, people queue for Kerasine. Two months after the gas, petrol and medicine shortages started people are still queuing for Kerasine and other fuels necessary for daily life in Kathmandu. Image by Samuel Duggan. Copyright Demotix (29/11/2015)

In BhatBatheni, Kathmandu, stehen die Leute für Benzin an. Bild von Samuel Duggan. Copyright Demotix (29/11/2015)

Das Erdbeben

Das Land erholt sich gerade eben von dem verheerenden Erdbeben, bei dem im April 9.000 Menschen getötet und 23.000 Menschen verletzt wurden. In vielen Gegenden, wurden Menschen zu Obdachlosen, da manchmal ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden. Das Erdbeben wirkte wie eine Kettenreaktion auf eine Unzahl nur scheinbar nicht damit verbundener Aspekte: Menschenhandel, Arbeitskosten, Arbeitskräftepotenzial, Miet- und Grundstückskosten, Verstädterung, private und öffentliche Schulden, die psychische Verfassung der Gesamtbevölkerung, Politik, Tourismus, genauso wie die Infrastruktur des Gesundheitswesens. Vom Erdbeben verursachte Erdrutsche haben die von China kommenden Ersatzlieferwege zerstört, somit ist Nepal nun von indischen Importen abhängig.

Seit dem 1. Mai 2015, konnten internationale Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und das Rote Kreuz die lebensgefährlich Verletzten per Hubschrauber aus den Randbezirken evakuieren, die von der Hauptstadt Kathmandu abgeschnitten waren. Viele andere wurden in mobilen und behelfsmäßig errichteten Einrichtungen versorgt.

A pregnant woman in labour is evacuated by MSF teams conducting medical clinics in the districts of Sindhupalchowk, Dhading, Rasuwa and Dolaka in Nepal. Image by © Emma Pedley/MSF . Used with permission

Eine in den Wehen liegende Frau, wird von einem Ärzte-ohne-Grenzen Team evakuiert. Die Teams leiten medizinische Kliniken in den Gegenden von Sindhupalchowk, Dhading, Rasuwa und Dolaka in Nepal. Foto von©Emma Pedley/MSF. Mit Nutzungserlaubnis

Selbst sieben Monate nachdem das Erdbeben Nepal verwüstete und viele Opfer forderte, arbeiten die Teams von Ärzte ohne Grenzen und dem Roten Kreuz noch im Land, um sich um die Spätfolgen des Desasters zu kümmern. Bei einem Besuch des Rehabilitationszentrums für Rückenmarksverletzungen, das eine Fahrstunde von Kathmandu entfernt ist, schreibt Iris Leung vom Ärzte-ohne-Grenzen Team Hong Kong über ihre Erfahrungen:

When I saw Biraj, he was in his wheelchair, striving to climb to the top of the slope and then race down as if it was a roller coaster. He repeated several times – it was a three-wheeled manual wheelchair, which means he was using his strong biceps to push himself up the gradient.

I began to wonder where Biraj could go after he was discharged. Nepal is not a wheelchair-friendly country, so he will not be able to move around as easily as he used to, not to mention finding a job to make a living. Thinking of how many obstacles he would have to overcome, I was overwhelmed by a sense of hopelessness.

Then he said, “I have negative thoughts. But if everyone gets positive, I will get the energy to stay positive.”

Als ich Biraj sah, war er gerade dabei in seinem Rollstuhl unter großen Mühen, einen Hügel zu erklimmen. Oben angekommen raste er abwärts als wäre es eine Achterbahn. Er wiederholte das einige Male – es war ein manuell betriebener Rollstuhl mit nur drei Rädern, was bedeutet, dass er nur seine starken Oberarme benutzte um sich die Anhöhe hochzuschieben.

Ich fing an mich zu fragen, wohin Biraj hingehen könnte nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen ist. Nepal ist nicht gerade ein Rollstuhlfahrer freundliches Land, dementsprechend wird es schwer für ihn sein sich so einfach fortzubewegen, wie er es nun gewohnt ist, geschweige denn einen Job zu finden von dem er sich ernähren könnte. Als ich über all die Hindernisse nachdachte, die er wohl zu überwinden haben wird, übermannte mich ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

Dann sagte er: „Ich habe negative Gedanken. Aber wenn jeder um mich herum positiv denkt, nehme ich die Energie in mir auf um positiv zu bleiben.”

Medikamente und Nahrungsmittel werden knapp

Ab Dezember übergibt Ärzte ohne Grenzen seine Tätigkeiten an die lokalen Krankenhäuser, aber aufgrund der Blockade besteht eine ernstzunehmende Medizin-und Nahrungsmittelkrise. Millionen von Menschen sind in Nepal dieser Gefahr ausgesetzt, denn die Leute geben hier bis zu 60 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Essen aus, so warnt die UN. Wegen der Lieferengpässe, sind die Lebensmittelpreise nach oben geschossen, es bleibt unklar, wie Patienten wie Biraj wieder zurück in ein normales Leben finden sollen mit solch einer Blockade um sie herum.

Nach sechsstündiger Suche in den Apotheken Kathmandus, konnte ich endlich die Medikamente für einen Verwandten auftreiben.

Drucktaktik.Yubhan Tamang kocht täglich im Bir Hospital mit seinem Dampfdrucktopf für 300 Patienten, und das auf Holzfeuer

Die im Ausland lebenden Blogger Daniel und Becky beschreiben, wie sich der Warenmangel auf das Alltagsleben auswirkt:

A lot of people have now run out of cooking gas and so are cooking on wood fires – the air is noticeably smoggier.

Petrol is being sold in very limited amounts. What petrol there is being prioritised to schools, hospitals, buses and government agencies.

Shop shelves are looking sparse as all imported goods start to run out. Electricity is erratic as those who can afford it have bought electric induction plates and other similar things for cooking and are stretching the system. From tomorrow our regularly scheduled power cuts will increase to 8 and 9 hours a day due to the increased electric usage. Although the fuel shortage has meant a number of business have shut down, reducing some power usage, so it could be worse.

Vielen Leuten geht nun das Brenngas aus, deswegen müssen sie nun auf Holzfeuern kochen – man bemerkt es schon, die Luft ist verschmutzter als sonst.

Benzin wird nur in geringen Mengen verkauft. Was an Benzin vorhanden ist wird vorrangig an Schulen, Krankenhäuser, Busse und öffentliche Behörden abgegeben.

Die Supermarktregale sehen spärlich aus, da alle importierten Waren langsam ausgehen. Die Stromversorgung ist unregelmäßig, da diejenigen die es sich leisten können, Induktionskochplatten oder ähnliches gekauft haben und somit das System überlasten. Ab morgen werden die angekündigten Stromausfälle auf 8 bis 9 Stunden, wegen des vermehrten Stromgebrauchs, ausgedehnt werden.

In seinem Blog schreibt Shiromani Dhungana, dass die heimatvertriebenen Erdbebenopfer, sehr harten Zeiten wegen der Blockade ausgesetzt sind:

Several earthquake victims have died this week due to cold. Earthquake victims cannot buy food, fuel, and construction material to build shelters because of the blockade. They are having to sleep outside. A harsh winter in the hills is worsening their condition. [..] Humanitarian organizations cannot operate under such lack of essentials.

Einige Erdbebenopfer sind diese Woche erfroren. Wegen der Blockade können sich die Erdbebenopfer kein Essen und kein Benzin kaufen, geschweige denn Baumaterial, um sich eine Notbehausung zu bauen. Sie müssen draußen übernachten. Hinzu kommt, dass ein strenger Winter in den Bergen ihre Lage noch verschlimmert. Die Hilfsorganisationen können bei solch einem Mangel am Lebensnotwendigstem nicht arbeiten.

Twitter-Nutzer haben schon davor gewarnt, die Menschen von Nepal können einfach nicht mehr:

In Kathmandu sind die Umstände beim Anstehen für Benzin total fürchterlich. So kann das nicht weitergehen.

#IndienBlocktNepal verursacht eine Versorgungskrise in Nepal

Kinda Dixit prangert in einem Blog der Nepali Times das Unvermögen der Regierung an. Er behauptet, die Regierung ignoriert einfach die winterliche Notlage der über 2 Millionen Überlebenden:

The whole country is suffering from the blockade, but the plight of homeless earthquake survivors is doubly perilous. Yet an uncaring state is blissfully unmindful to their predicament.

Das ganze Land leidet unter der Blockade, aber die Notlage der obdachlosen Überlebenden ist  doppelt gefährlich. Dennoch ist unser gefühlloser Staat, glückselig unachtsam gegenüber der Zwangslage, in der sich viele befinden.

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