Gefährdete Sprachen in Nepal: Der Kampf um den Erhalt eines linguistischen Erbes

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Bild von Monika Deupala aus der Nepali Times. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Dieser Artikel von Alisha Sijapati wurde ursprünglich in der Nepali Times veröffentlicht. Eine bearbeitete Version wird im Rahmen einer Vereinbarung zur gemeinsamen Nutzung von Inhalten auf Global Voices erneut veröffentlicht.

Bei der letzten Zählung 2019 gab es in Nepal 129 gesprochene Sprachen. Während neue Sprachen identifiziert werden, sterben andere jedoch bereits aus.

Mindestens 24 nepalesische Sprachen und Dialekte sind „gefährdet“. Die drei Sprachen, die vermutlich als Nächstes verschwinden werden, sind Dura, Kusunda und Thulung, mit jeweils nur einem Menschen, der sie beherrscht.

„Ich wäre nicht überrascht, wenn diese drei Sprachen als Nächstes aussterben würden. Wenn niemand sie spricht, kann man sie nicht retten“, sagt Lok Bahadur Lopchan, Mitglied der Language Commission von Nepal (Sprachkommission) und zuständig für die Bewahrung der linguistischen Diversität.

Eine Sprache wird als „gefährdet“ eingestuft, wenn sie von weniger als 1.000 Menschen gesprochen wird. Mehr als 37 andere gesprochene Sprachen gehören dieser Kategorie an und könnten im Laufe des nächsten Jahrzehnts aussterben.

Laut des Jahresberichts von 2019 der Language Commission sind die meistgesprochenen Sprachen Nepali, Maithili, Bhojpuri, Tharu, Tamang, Nepal Bhasa (auch als Newari bezeichnet), Bajjika, Magar, Doteli und Urdu – in dieser Reihenfolge.

Während einige Sprachen bereits aussterben, werden in entlegenen Regionen neue entdeckt, die vorher nie identifiziert wurden, wie zum Beispiel Rana Tharu im Westen von Terai, Nar Phu im entlegenen Manang-Tal, Tsum im Tsum-Tal im Norden der Provinz Gorkha, Nubri Larke in der Region Manaslu, Poike und Syarke.

Child reading Newa folk story, Dhaplaan Khyaa, by Durgalal Shrestha. Photo: Ashish Shakya via Nepali Times. Used with permission.

Ein Kind liest Dhaplaan Khyaa, eine Volksgeschichte der Newar, geschrieben von Durgalal Shrestsha. Foto: Ashish Shakya, Nepali Times. Mit freundlicher Genehmigung.

„Zum Glück wurden diese Sprachen identifiziert. Es ist allerdings bedauerlich, dass sie nur von so wenigen Menschen gesprochen werden und darum schon bald aussterben könnten“, sagt Lopchan und fügt hinzu, dass alle zwei Wochen eine indigene Sprache auf der Erde ausstirbt.

Sogar die zehn meistgesprochenen Sprachen in Nepal verlieren allmählich ihren Status als Muttersprache. Die Eltern bestehen auf das Erlernen von Nepali und Englisch in der Schule, um ihren Kindern gute Berufsperspektiven zu ermöglichen. Und seit der Herrschaft von König Mahendra hat der Staat Nepali zur Lingua franca erhoben –auf Kosten der anderen nationalen Sprachen.

Der 29-jährige Synchronsprecher Supral Raj Joshi ist mit Nepal Bhasa (Newari) zu Hause aufgewachsen. Doch ab der Grundschule wurde nur noch auf Nepali und Englisch unterrichtet und er vergaß seine Muttersprache schnell. Als er dann mit seiner Familie wieder Nepali sprach, wurde ihm schlagartig bewusst, wie sehr er mit dem Verlust seiner Sprache auch seine Kultur verloren hatte.

„Der Verlust der nepalesischen Sprachen ist das Ergebnis einer gezielten Regierungspolitik; unser linguistisches Erbe wurde einfach weggefegt, um die nationale Identität zu fördern.“

König Mahendra ergriff Maßnahmen, die darauf abzielten, eine einheitliche Identität durch Kleidung und Sprache zu schaffen, demontierte sogar die Demokratie und führte das parteilose System Panchayati Raj ein, das seiner Meinung nach „zu nepalesischem Boden passt“.

Experten zufolge hindert die Entscheidung, Nationalismus durch eine einheitliche Sprache durchzusetzen, die einheimischen Gemeinschaften daran, die Sprache ihrer Vorfahren zu sprechen.

Maithili script. Image via nepali Times.

Maithili-Schrift: Bild aus der Nepali Times. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

„Die vorherrschende Klasse hat ihre Sprache zur nationalen Sprache gemacht, wodurch die anderen Sprachen Kollateralschäden erlitten haben“, erklärt Rajendra Dahal, Redakteur des Magazins Shikshak. „Das Aussterben einer Sprache ist nicht nur ein Verlust für eine Gemeinschaft, sondern für das Land und die ganze Welt.“

Die Sprachkommission in Nepal ist sich der Dringlichkeit bewusst und setzt alles daran, die drei Sprachen zu retten, von denen es jeweils nur noch einen einzigen Sprecher gibt. Deshalb hat sie sich mit Kamala Kusunda zusammengeschlossen, der einzigen Frau, die Kusunda spricht. Die 45-Jährige betreibt nun eine kleine Privatschule in Dang, wo mehr als 20 Schüler diese Sprache lernen.

„Wenn ich sterbe, wird auch meine Muttersprache mit mir sterben. Ich musste diese Sprache wiederbeleben wegen ihrer Bedeutung für unser Volk und in der Hoffnung, sie am Leben zu erhalten“, erklärte Kamal Kusunda der Nepali Times am Telefon.

In Lamjung hat Muktinath Ghimire eine ähnliche Aufgabe zu erfüllen. Als letzter Dura-Sprecher plant er die Gründung einer Schule, um seine Sprache seiner Gemeinschaft beizubringen. „Wir können diese Sprache nicht aussterben lassen“, erklärt er.

Andere Sprachen wie Tsum, die vor Kurzem als eigenständige Dialekte identifiziert wurden, waren bereits gefährdet, als ihre Einzigartigkeit erkannt wurde.

„Ältere Menschen des Tsum-Tals sprechen ausschließlich Tsum, aber diese Sprache wird immer weniger von der jungen Generation gesprochen“, erklärt Wangchuk Rapten Lama, der sie fließend beherrscht und sich bemüht, sie weiter zu verbreiten, indem er sie Kindern durch kulturelle Aktivitäten nahebringt.

Der kanadische Sprachanthropologe Mark Turin hat in den Bezirken von Dolakha und Sindhupalchok mit den Thangmi gearbeitet, um ihre vom Aussterben bedrohte Sprache zu dokumentieren.

„Die Vorstellung, dass Linguisten Sprachen retten, ist genauso lächerlich wie anzunehmen, dass Apps und digitale Technologien die Sprache retten können“, sagt er. „Beides ist falsch. Linguistische Feldforschung ist immer noch von ziemlich kolonialen und extraktivistischen Modellen geprägt, die nur darauf abzielen, Wissen in großen Mengen anzuhäufen.“

Er fügt hinzu, dass die Menschen, die einheimische Sprachen wie Thangmi sprechen, Anerkennung verdienen, da sie unermüdlich daran arbeiten – häufig gegen erheblichen Widerstand – die Sprachen ihrer Vorfahren zurückzugewinnen, zu aktualisieren und wiederzubeleben.

Linguistic map of Nepal

Als Nepal eine föderale Republik geworden ist, wurde erwartet, dass die Schulen landesweit regionale Sprachen anbieten würden. Artikel 31 der Verfassung besagt: „Jede in Nepal lebende nepalesische Gemeinschaft hat das Recht, bis zur Sekundarstufe eine Ausbildung in ihrer Muttersprache zu erhalten sowie Schulen und Lehranstalten gemäß dem Gesetz zu gründen und zu betreiben.“

Das Curriculum Development Centre (etwa: Institut für Entwicklung von Lehrplänen) hat gemeinsam mit ländlichen Gemeinden einen „lokalen Lehrplan“ eingeführt, der 100 Punkte umfasst. Während manche Schulen Muttersprachen als Option anbieten, entscheidet sich die Mehrheit für den „lokalen Lehrplan“.

Im Oktober 2020 machte Bidya Sundar Shakya, der Bürgermeister von Kathmandu, Nepal-Bhasa-Unterricht von der ersten bis zur achten Klasse zur Pflicht. Doch die Reaktionen der Eltern waren gemischt und viele meinten, dass es zu schwer für die Schüler sei und sich negativ auf ihr Nepali und Englisch auswirken würde.

Sprachen entwickeln sich nicht mehr weiter, wenn man sie nicht mehr spricht. Einheimische Sprachen sind notwendig, damit sich Menschen in ihrem kulturellen Erbe verwurzelt fühlen und eine eigene Identität bekommen, was immer schwieriger wird im Zuge der Globalisierung und der weltweiten Verbreitung des Internets.

„Meine Kinder können nur Englisch“, erklärt Saraswati Lama, die mit einem Rai verheiratet ist und in Kathmandu für eine gemeinnützige Organisation arbeitet. „Meine Tochter hat es im Internet gelernt und ihrem kleinen Bruder beigebracht“. Weder Lama noch ihr Mann benutzen ihre eigene Muttersprache, sondern kommunizieren nur auf Nepali.

In der nepalesischen Diaspora scheint das linguistische Erbe des Landes heutzutage mehr geschätzt zu werden. Sujan Schrestha wurde in Kathmandu geboren, zog aber in die USA, als er in der Highschool war. Nun ist er Dozent an der University of Maryland in Baltimore und sagt, dass seine Frau und Kinder nur Englisch und Nepal Bhasa können, aber kein Nepali.

„Nepal Bhasa gibt den Kindern eine Identität und schafft Verbindung zu den Verwandten, vor allem zu den Großeltern. Es geht darum, unseren Kindern eine kulturelle Sensibilität und eine offene Einstellung gegenüber anderen Menschen und ihren Kulturen zu vermitteln.“

Dieser Artikel wurde von Laure Meier des FTSK in Germersheim im Rahmen einer Lehrveranstaltung von Dr. Anastasia Kalpakidou übersetzt.

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