Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.
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Kurz nachdem der Vorschlag zur Privatisierung des Portugiesischen Öffentlichen Fernsehens (RTP) vom Privatisierungsberater der Regierung, António Borges, in einem Interview mit TVI am 23. August 2012 bekanntgegeben wurde, kam es zu den ersten Kritikäußerungen.
Der Schauspieler Nuno Lopes war einer der Schnellsten, der auf Twitter seine Empörung kundtat:
Portugal vai ser o único país da Europa sem um serviço público de rádio e televisão. Hoje acordei com vergonha de ser Português.
Es wurde eine öffentliche Petition ins Leben gerufen und eine Seite auf Facebook erstellt – zur Zeit der Veröffentlichung der Übersetzung ins Englische zählte sie 22.393 „Gefällt mir“ -, um gegen das Ende von RTP2 zu kämpfen. RTP2 ist der zweite öffentliche Fernsehkanal, der abwechslungsreicheres Programm zeigt und laut Borges abgeschafft werden soll.
Außerdem wurde ein Event erstellt, in dem aufgerufen wird, die Fernseher am 6. September auf der zweiten öffentlichen Station einzuschalten, damit er an diesem Tag zum quotenstärksten Sender wird. Zur Zeit der Veröffentlichung der Übersetzung ins Englische wollen 16.615 Personen an dem Event teilnehmen.
Obwohl es sich bei António Borges Plan nicht um eine offizielle Verkündung der Regierung handelt, wurde ein Protest organisiert, um für das Fortbestehen von RTP2 einzutreten und sich gegen die Übergabe der übriggebliebenen öffentlichen Fernsehsendern an private Unternehmen auszusprechen. Der Protest fand am 2. September statt.
Arons de Carvalho, Vizepräsident des Amtes für Medienregulierung, präsentierte auf der Seite Clique zehn Argumenten gegen eine Privatisierung von RTP und begründet diese damit, dass eine Übergabe an private Unternehmen verfassungswidrig wäre:
O serviço público não pode ser exercido por empresas cujo capital seja total ou maioritariamente privado, mesmo que através de uma concessão. No seu artigo 38.º, nºs 5 e 6, a Constituição prevê a existência de um sector público da comunicação social. Acresce que no artigo 82º, n.º 2 se estipula que “o sector público é constituído pelos meios de produção cujas propriedade e gestão pertencem ao Estado ou a outras entidades públicas”, o que torna inconstitucional a sua concessão a entidades privadas.”
Estrela Serrano, Forscherin und Präsidentin des Forschungszentrums für Medien und Journalismus (CIMJ), ist die aktivste Stimme der Blogosphäre, die sich gegen die Privatisierung von RTP ausspricht. Auf dem Blog Vai e Vem werden einige Argumente aufgelistet, die berücksichtigt werden müssen. Im ersten Artikel, der am 25. August veröffentlicht wurde, präsentierten die Forscher interessante Daten zur Frage, „welchen Stellenwert RTP2 im Bezug auf Vielfalt und Komplementarität hat“. Dazu gaben sie zum Beispiel an, dass die Betriebskosten pro Kopf im europäischen Vergleich an zweitniedrigsten sind.
In einem anderen Bericht, der am darauffolgenden Tag erschien, wies Estrela Serrano darauf hin, dass „im öffentlichen Dienst Regelungen bestehen“ und zählte einige der Grundkonzepte auf:
a) ser detido por uma empresa de capitais públicos; b) ser independente do poder político e do poder económico; c) ser total ou parcialmente financiado pelos cidadãos aos quais se destina, mediante o pagamento de uma taxa (garantia dessa independência); d) ser dotado de um órgão onde têm assento representantes dos cidadãos escolhidos pelos diversos sectores da sociedade – Assembleia ou Conselho – com funções de acompanhamento, supervisão, emissão de pareceres sobre planos de actividades e orçamentos, contratos de concessão e relatórios de actividades e contas.
Die Verkündung von António Borges führte zu einer Stärkung der „Deklaration gegen die Privatisierung von RTP“, die unter anderem von Regisseur António Pedro Vasconcelos, José Jorge Letria, dem Präsidenten der portugiesischen Schriftstellervereinigung (APE), und Bischof Januário Torgal Ferreira geleitet wird. Das Dokument wurde am 7. Juli in der Zeitung Expresso gedruckt und von Joana Lopes auf dem Blog Entre as Brumas da Memória vollständig wiedergegeben:
os signatários apelam ao bom senso dos partidos do governo e da oposição para que travem uma medida que carece de clareza e de racionalidade e que não pode em caso nenhum ser enquadrada no plano de privatizações, até porque a sua dimensão financeira seria despicienda e totalmente desproporcionada relativamente aos efeitos brutais sobre a indústria dos média e a qualidade e a isenção da informação, da formação e do entretenimento a que os portugueses têm direito.
Maria João Fialho Gouveia, Tochter von zwei historischen Persönlichkeiten auf RTP — Maria Helena Varela Santos, die am 7. März 1957 die erste regelmäßige TV-Sendung begann, und José Fialho Gouveia, der am 25. April 1974 [de] die Erklärung der Bewegung der Streitkräfte (MFA) verlas, in der die Befreiung des Landes von der Diktatur verkündet wurde — resümiert auf ihrer persönlichen Facebook-Seite die Ansichten der Gegner der Privatisierung von RTP:
De ora em diante a televisão em Portugal viverá somente para o lucro, seguindo uma espécie de doutrina do neoliberalismo mediático, reflectindo a ideologia política que hoje rege os nossos destinos. Vence o capital; perde qualidade; perde o país.
Von nun an wird das portugiesische Fernsehen nur zum Zweck der finanziellen Bereicherung existieren und einer neoliberalen Mediendoktrine folgen, die die politischen Ideologien widerspiegelt, von denen nun unser Schicksal kontrolliert wird. Geld siegt; Qualität verliert; das Land verliert.
Die Privatisierung von RTP ist lange nicht abgeschlossen, es besteht noch nicht einmal ein offizieller Plan. Und schon erweist sie sich als eine komplizierte Aufgabe für das Ministerium unter Miguel Relvas [en], dessen Ansehen in der Bevölkerung aufgrund der jüngsten Kontroversen [en] bezüglich der Frage, wie er seinen Bachelorabschluss in nur einem Jahr erhalten konnte, wesentlich gesunken ist. Ein weiterer Grund dafür ist die mutmaßliche Verwicklung in Drohungen gegenüber einem Journalisten der Zeitung Público.
Dieser Bericht ist Teil unseres Dossiers über Europa in der Krise.