Der Kampf für Tierrechte und Demokratie in Aserbaidschan

Foto: Ulviyya Ali. Mit Erlaubnis verwendet.

Kamran Mammadli, 27, ist veganer Aktivist und Teil der Tierrechtsbewegung in Aserbaidschan, seit diese 2018 an Dynamik gewann. Seitdem wurde er mehrmals bei Tierrechtsprotesten festgenommen, zuletzt am 4. Oktober 2022 bei einem Protest gegen die Tötung von streunenden Hunden.
Die Aktivist*innen forderten ein Ende der systemischen Gewalt gegen Straßenhunde und die Schließung des Tierheims Toplan. Die staatliche Einrichtung wurde zur Betreuung von Straßenhunden geschaffen. Laut Aktivist*innen werden die Tiere dort jedoch brutal getötet. Mindestens sechs weitere Tierrechtsaktvist*innen wurden während der Demonstration am 4. Oktober 2022 von der Polizei festgenommen. Alle wurden inzwischen wieder freigelassen.
Zweimal sorgte das Thema Straßenhunde in Aserbaidschan bereits für Schlagzeilen: 2015, als das Land Gastgeber der Europaspiele war und Berichte über Massentötungen streunender Hunde Aserbaidschan ins Rampenlicht rückten, und 2019, als während der Vorbereitungen für die Austragung des Formel-1-Rennens Straßenhunde erneut große Aufmerksamkeit erhielten und Berichten zufolge ein Abgeordneter unter Berufung auf sowjetische Praktiken die Tötung aller streunenden Hunde forderte.
Die Stadt Baku und die Heydar-Aliyev-Stiftung haben das Tierheim Toplan ins Leben gerufen. Straßenhunde sollten dort sterilisiert und schließlich adoptiert werden. Leyla Aliyeva, Vizepräsidentin der Heydar-Aliyev-Stiftung und Tochter von Präsident Ilham Aliyev, nahm an der offiziellen Eröffnungszeremonie im Jahr 2019 teil. Wenige Monate nach der Eröffnung kursierte im Internet ein Video, auf dem zu sehen war, wie ein Mitarbeitender des Tierheims einen der gefangenen Hunde misshandelt. Das Tierheim gab daraufhin an, dass der Mitarbeitende entlassen worden sei. Laut Tierrechtsaktivist*innen kam es jedoch weiterhin zu Misshandlungen.
Trotz wiederholter Forderungen der Aktivist*innen an das Tierheim, seine Türen für Freiwillige zu öffnen und Daten über seine Aktivitäten zur Verfügung zu stellen, bleibt die Arbeit der Einrichtung weiterhin intransparent. 2021 fanden vor dem Tierheim mindestens drei verschiedene Proteste statt, die alle von der Polizei aufgelöst wurden. Einige der Aktivist*innen erhielten hohe Geld- und Haftstrafen. Im Gespräch mit Jam-News sagte Mammadli damals, die mangelnde Transparenz der Arbeit des Tierheims Toplan bereite den Aktivist*innen Sorge. Mammadli sagte außerdem, die Einrichtung erlaube es nicht, dass Freiwillige sich um die Streuner kümmern. „Wir fordern Transparenz über die Aktivitäten von Toplan, die Öffnung ihrer Aktivitäten für die Öffentlichkeit und die Rückkehr der sterilisierten und geimpften Hunde in die Gebiete, in denen sie eingefangen wurden.“
Während des Protests am 4. Oktober 2022 wiederholten die Tierrechtsaktivist*innen noch einmal ihre Forderungen an die Einrichtung.

Eine grausame Tötungsmethode

Laut Aktivist*innen fängt das Tierheim Toplan jeden Tag Hunde im Zentrum von Baku ein. Sie werden aus der Hauptstadt weggebracht und dann häufig erschossen.
In einem Interview mit OC Media sagte Mammadli, Anwohnende würden es filmen und die Videos veröffentlichen, fänden diese Erschießungen von Hunden im Zentrum von Baku Hunde statt. Das Erschießen von Hunden in weniger besiedelten Gebieten ermöglicht es den Behörden, dies vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
Diese Praxis ist laut Mammadli nicht nur grausam, sondern auch illegal, sowohl nach der aserbaidschanischen Gesetzgebung als auch gemäß dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren, das Aserbaidschan unterzeichnet hat.
Weder die Heydar-Aliyev-Stiftung noch die Leitung ihrer PR-Abteilung reagierten auf die Anfrage von OC Media bezüglich eines Kommentars.

Tierrechte verteidigen, die eigenen riskieren

Indem sie die Rechte von Tieren verteidigen, setzen sich Aktivist*innen einem erheblichen Risiko aus. Aserbaidschanische Tierrechtsaktivist*innen berichten, dass, obwohl ihr Engagement stets friedlich und mit den Gesetzen des Landes vereinbar sei, sie häufig Druck und Gewalt seitens des Staates ausgesetzt seien. Bisher wurden alle Proteste für Tierrechte von der Polizei verhindert oder aufgelöst. Aktivist*innen werden häufig festgenommen und berichten nach ihrer Freilassung den Medien, Gewalt und Drohungen durch die Polizei ausgesetzt worden zu sein.
„Die Polizei behandelt uns im Allgemeinen als Feinde. Es ist, als ob sie angewiesen würden, Tierrechtsaktivist*innen zuerst anzuschreien und dann ihre Arme zu verdrehen. Als ich auf der Polizeistation ankam, verdrehten sie meinen Arm, mit der Absicht, ihn zu brechen. Plötzlich fiel ich auf die Knie und fing an zu schreien“, so der Tierrechtsaktivist Nijat Ismayil. Ein anderes Mal wurde er auf einer Polizeiwache so sehr gewürgt, dass er drei Tage lang nicht essen konnte.
Mammadli hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Es ist oft vorgekommen, dass ich sowohl beim Transport zur Polizeiwache als auch auf der Wache körperlich angegriffen wurde und Verletzungen davontrug“, sagte er gegenüber OC Media. „Wenn wir protestieren, werden wir gewaltsam festgenommen und auf Polizeiwachen gebracht. Außerdem erhalten wir unbegründete Geldstrafen.“
Im August 2021 reichten zwei Mitarbeitende des Tierheims Toplan Klage gegen vier Demonstrierende ein, die an Protesten gegen das Tierheim teilgenommen hatten. Ismayilov war neben Elkhan Mirzayev, Aynur Babazade und Ilhama Nasirova einer der vier Angeklagten.
Die Mitarbeitenden behaupteten, ihr Ruf in der Öffentlichkeit seie geschädigt und sie seien diffamiert und öffentlich gedemütigt worden. Die Aktivist*innen halten diese Behauptungen für unbegründet und vermuten, die Behörden haben das Verfahren gegen sie eröffnet, um weiter Druck auf sie auszuüben.
„Dieses Gerichtsverfahren zieht sich nun über ein Jahr hin. Die Mitarbeitenden von Toplan verlangen von uns eine Entschädigung in Höhe von 100.000 AZN (ca. 60.400 Euro). Sollte das Gericht gegen uns entscheiden, werden wir den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen“, so Ismayil.

Hoffnung für die Zukunft

Für Aktivist*innen wie Mammadli sind Tierrechte eng mit politischer Repression im Allgemeinen verbunden. In einem antidemokratischen Staat haben die Aktivist*innen nur sehr wenig Einfluss auf die Maßnahmen der Behörden und können nur wenig gegen die Tierrechtsverletzungen durch das Tierheim Toplan unternehmen. „Solange es in Aserbaidschan keinen Übergang zu einer demokratischen Regierungsführung gibt, wird der Prozess der Erfüllung unserer Forderungen langsam sein. Aus diesem Grund fordern wir außerdem demokratische Veränderungen“, so Mammadli gegenüber OC Media. Diese Forderungen sind es, die die Tierrechtsaktivist*innen zur Zielscheibe gemacht haben. „Das Auftauchen einer neuen Protestbewegung, die die Verbrechen des Staates aufdeckt, beunruhigt die Behörden. Das sehen wir deutlich“, so Mammadli.

Für ihn sind Tierrechte und Menschenrechte eng miteinander verbunden. Viele Tierrechtsaktivist*innen setzen sich auch für andere Themen ein, wie etwa die Rechte von queeren Menschen oder politische Unterdrückung.

Mammadli ist immer noch hoffnungsvoll. Gerade arbeitet er am Aufbau eines Teams veganer Aktivist*innen in Aserbaidschan, und seine Mitaktivist*innen führen neben ihrer laufenden Kampagne gegen das Tierheim Toplan auch Tierrechtskampagnen in den sozialen Medien durch. „Ich denke auch, dass Veränderungen in der Einstellung der Menschen gegenüber Tieren die Menschen in Aserbaidschan erheblich verändern werden und, dass wir in der Lage sein werden, jegliche Hindernisse und Herausforderungen zu überwinden“, fügt er hinzu.

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