Die Nachricht des heimlichen Besuches des US-Konsulats durch den ehemaligen Polizeichef von Chongqing, Wang Lijun [en], wird zur Zeit von chinesischen Bloggern mit Aufmerksamkeit verfolgt. Viele glauben, dass Wang versuchte, sich durch sein Gesuch nach Asyl in den USA selbst zu schützen, um nicht im Machtkampf [en], den der Parteisekretär von Chongqing Bo Xilai in Peking führt, als Sündenbock dazustehen.
Wang Lijung wurde nach einer im Jahre 1999 durchgeführten erfolgreichen Razzia bei einer Triade in der Provinz Liaoning seit 2000 als Vorbild für die chinesische Polizei gesehen. Im Juni 2008 wurde der Anti-Triaden-Held zum Polizeichef der Stadt Chongqing ernannt. In Zusammenarbeit mit Bo Xilai verhaftete er eine große Anzahl von ehemaligen Regierungsbeamten von Chongqing, unter ihnen auch den ehemaligen Chef des Justizbüros Wen Qiang und den stellvertretenden Polizeichef Pang Changjian, aufgrund von Korruptionsverdacht. Im Mai 2011 wurde Wang zum stellvertretenden Oberbürgermeister von Chongqing gewählt.
Zu einer dramatischen Wende kam es am 2. Februar 2012, als das Informationsbüro der Stadtregierung Chongqing über Weibo folgende Nachricht [zh] verbreitete:
据悉,近日市委决定,王立军同志不再兼任市公安局局长、党委书记,以副市长身份分管联系经济领域工作。
Wir müssen mitteilen, dass die Stadtregierung kürzlich entschieden hat, dass Wang Lijung nicht länger als Polizeichef und als Sekretär des Parteikomitees von Chongqing zur Verfügung steht. Er wird als stellvertretender Oberbürgermeister für wirtschaftliche Angelegenheiten im Amt bleiben.
Während Wang am 6. Februar noch eine öffentliche Funktion inne hatte, verkündete [zh] das Informationsbüro zwei Tage später am 8. Februar auf Sina Weibo allerdings:
据悉,王立军副市长因长期超负荷工作,精神高度紧张,身体严重不适,经同意,现正在接受休假式的治疗。
Wir müssen mitteilen, dass der stellvertretende Oberbürgermeister Wang Lijun aufgrund der Arbeitsbelastung an Bluthochdruck leidet. Er ist sehr krank und es wurde entschieden, dass er eine “Urlaubsbehandlung“ erhalten soll.
Am selben Tag bestätigte das US-Außenministerium, dass Wang ein Treffen im Konsulat von Chendu hatte, zu dem er aus „eigenen Willen“ anreiste.
Politikwissenschaftler und die Massenmedien [zh] glauben, dass dieser Vorfall als eine Folge eines Machtkampfes innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas zu sehen ist. Präsident Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao wollen Bo Xilai gemeinsam kaltstellen, bevor sie sich am kommenden 18. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas [en] aus ihren Ämtern zurückziehen. Nach Meinungen aus Chongqing scheint es, dass Wangs Machtdemonstration erfolgreich war und er nun unter dem Schutz der Parteizentrale [en] steht. Gleichzeitig zeigt sich auf Twitter, dass Netizens ihre eigenen Spekulationen über den Ablauf der Geschehnisse anstellen.
Bo Xilai am Schlingern: Korruptionsbekämpfer Wang springt weg und lässt den Oberbürgermeister und stellvertretenden Parteisekretär von Chongqing Huang Qifen („rote Schriftzeichen“) zurück; Karikatur von Rebel Pepper.
Zum einen glaubt [zh] Tufuwugan, dass Wang Lijung zum Sündenbock Bo Xilais gemacht wurde:
Ich glaube jemand wollte Bo an seinem Einzug in den ständigen Ausschuss des Politbüros hindern und sie taten es, indem sie ihm seine Arme wegnahmen. Bo wird Wang Lijun opfern, um sich selbst zu schützen. In der Kulturrevolution brach er sogar ein paar Rippen seines eigenen Vaters. Dagegen ist der Verrat an Wang Lijun eine Nichtigkeit. Wang Lijun ahnte wahrscheinlich, dass Bo ihn fallen lassen würde und floh deshalb in das US-Konsulat. Was für eine interessante Seifenoper.
Alan Huang glaubt [zh], dass Wang in seiner politischen Karriere zu naiv war:
Der Mongole Wang Lijung lernt seit seiner Kindheit Kampfsport. Er könnte die Unabhängigkeitsbewegung der Inneren Mongolei führen und dadurch ein nationaler Held werden. Aber er kehrte seinen Leuten den Rücken zu und lebt in Schande. In einer Gesellschaft, in der der Status einer Person durch den Status des Vaters definiert wird, ist es nicht möglich, dass ein Sohn eines Eisenbahnarbeiters gegen den Anführer der Kronprinzen [en] Bo Xilai kämpfen kann. Er hat keine Ahnung, wer die Kontrolle hat. So blauäugig.
Andererseits glaubt [zh] Quimazha, dass Wang einen guten Zug gemacht hat:
Auf einmal glaube ich, dass Wang Lijun doch nicht so dumm ist. Er floh in das US-Konsulat um öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, damit er nicht ausgelöscht wird. Zusätzlich kann er geltend machen, dass alle Beweise [über Bo] an einem sicheren Ort versteckt sind. Falls er getötet wird, werden die Geheimnisse offengelegt. Dieser sichere Ort könnte das US-Konsulat sein. Mit seiner Erfahrung in Ermittlungen sollte er einfallsreicher sein als jeder Hollywood-Regisseur. Die Personen, die über Wang Lijing lachen sind zu unwissend.
Da Wang Lijun sehr heftig bei der Unterdrückung von politischen Aktivisten vorging, sind Dissidenten auf Twitter über sein Hilfsgesuch bei den „feindlichen Kräften“ sehr erfreut.
Ich sagte schon immer, dass unsere Offiziellen der US-Regierung mehr als allen anderen trauen. Die Menschen glauben einfach nicht, dass die chinesisch-amerikanischen Beziehungen so gut sind. Ist das durch Wangs Verhalten nicht noch mal bewiesen worden? Wir, die als US-Dollar-Gang [im Gegensatz zur 50 Cent-Partei] tituliert werden, wir schätzen das amerikanische System und wollen von ihm lernen. Aber sie [die Offiziellen] lassen ihre Familien und ihren Reichtum in den USA. Bitte wacht auf 50 Cents!
Shang Guangluan berichtet [zh] von dem, was sie auf der Straße hört:
Oh mein Gott … Ich war gerade in einem kleinen Restaurant Nudeln essen, als ich eine Gruppe Wanderarbeiter über Wang Lijun sprechen hörte. Der Vorfall ist zu einer Volksbelustigung geworden. Ihr Fazit ist: Wang Lijun wird aufgrund von Landesverrat erschossen.
[Beobachtungen online] Alle sprechen im Netz über Wang Lijun. Dieser Vorfall zeigt, dass in einer Gesellschaft, in der alle, sogar Angehörige des Establishments, sich gegenseitig schaden, keine Sicherheit existiert. Heute schadest du jemandem, morgen wirst du leiden, sei es aufgrund deiner Gruppenzugehörigkeit oder weil du die Interessen eines anderen verletzt. Das ist der Grund, warum wir sagen, dass Demokratie der Ausweg aus so einer gegenseitig zugefügten Angst und Verletzung ist.
Der Autor Ye Kuangzheng glaubt [zh], dass Wang Lijuns Schritt eine Wende in der Geschichte Chinas anzeigt:
Es wurde bewiesen, dass Wang Lijun das US-Konsulat betreten hat. Das ist das erste Mal seit 1949, seit der misslungenen Flucht von Lin Biao, dass ein hochrangiges Regierungsmitglied so einen gewaltigen Schritt unternommen hat. Die Angst, mit der Wang konfrontiert war, muss enorm gewesen sein. Ansonsten würde er nicht so einen Schritt machen. Wang Lijun´s Taten und seine Zukunft wird einen großen Einfluss auf die zukünftige politische Landschaft und den psychologischen Zustand von Regierungsmitgliedern in China haben. Das politische Erdbeben hat erst begonnen.