Könnte Misstrauen der Bevölkerung die Erklärung für Hongkongs schleppende Impfkampagne sein?

Bild vom Flickr-Konto: Alachua County. Öffentlich zugänglich.

Hongkong ist einer der wenigen Orte auf der Welt, wo es COVID-19-Impfstoff in Hülle und Fülle gibt. Sowohl der chinesische CoronaVac als auch der deutsch-amerikanische Impfstoff BioNTech/Pfizer steht allen über Sechzehnjährigen in der Stadt kostenlos zur Verfügung.

Und doch zögert die Mehrheit immer noch, sich impfen zu lassen. Nur etwa 20 Prozent der rund 7,5 Millionen Menschen in Hongkong haben die erste Dosis erhalten, seit die Stadtregierung am 26. Februar ihren Impfaufruf gestartet hat.

Da nun das Gültigkeitsdatum von mehr als einer Million Dosen des Pfizer-Impfstoffs abzulaufen droht, denkt die Stadt darüber nach, diese an andere Länder zu spenden, wo sie gebraucht werden.

Besonders die Impfrate der Älteren ist weit niedriger als erwartet – nur 14,8 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 5,1 Prozent der 70- bis 79-Jährigen haben ihre Erstimpfung wahrgenommen.

Um Herdenimmunität zu erreichen, müssten medizinischen Untersuchungen vor Ort zufolge zwischen 56,1 und 66,9 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft werden. Derzeit werden durchschnittlich nur etwa 25.000 Impfdosen pro Tag verabreicht. In diesem Tempo würde es sechs bis zehn Monate dauern, um das Ziel der Herdenimmunität zu erreichen.

Die Impfskepsis nahm Anfang März nach Medienberichten über drei ältere Einwohner*innen Hongkongs, die nach der ersten Dosis mit dem CoronaVac-Impfstoff verstorben waren, stark zu. CoronaVac war der erste Impfstoff, der während der Anfangsphase des Hongkonger Impfprogramms verwendet wurde. Laut Einschätzungen des Expertenkomitees für klinische Ereignisse der Stadt gab es keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den Impfungen und den Todesfällen.

Die Bedenken der Öffentlichkeit wurden zusätzlich dadurch verstärkt, dass in China zur gleichen Zeit ältere Menschen noch nicht geimpft wurden und dass das Chinesische Zentrum  für Krankheitskontrolle und -präventation (China CDC) Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Schilddrüsenerkrankungen davor warnte, sich einen COVID-19-Impfstoff geben zu lassen, ohne diese unter Kontrolle zu haben. Erst Ende März wurden in China ältere Menschen in das Impfprogramm mit aufgenommen.

CoronaVac wird laut einer laufend aktualisierten Liste auf Wikipedia im Rahmen einer Notzulassung in mittlerweile 40 Ländern verwendet. Auch derzeitige Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die darüber entscheiden sollen, ob die Aufnahme von CoronaVac in die Covax-Initiative – dem Verfahren der WHO zum Kauf von Impfstoffen für ärmere Länder – bewilligt wird, befinden sich kurz vor Abschluss. Wenn CoronaVac grünes Licht bekommt, ist er der zweite chinesische Impfstoff nach der Zulassung von Sinopharm Anfang Mai, der in das Programm mit aufgenommen wird.

Trügerisches Gefühl von Sicherheit

Die Angst vor der Erkrankung hat in vielen westlichen Ländern, die von COVID-19 schwer betroffen waren, wesentlich zum Erfolg der Impfkampagne beigetragen. Dagegen gab es in Hongkong seit Ausbruch der Pandemie insgesamt gerade mal 210 durch COVID-19 bedingte Todesfälle – das sind sogar weniger als die 299 Todesfälle, die durch den Ausbruch der SARS-Pandemie von 2003 verursacht wurden.

Jüngste Studien deuten darauf hin, dass die Bereitschaft der Anwohner und Anwohnerinnen Hongkongs, sich den COVID-19-Impfstoff verabreichen zu lassen, deutlich abnahm, nachdem die Stadt die zweite Welle im Juli 2020 erfolgreich durch Social-Distancing-Maßnahmen in den Griff bekommen hatte. Forscher gehen davon aus, dass ein „trügerisches Gefühl der Sicherheit“ in der Stadt zu einem Hauptgrund für die Impfskepsis wurde, da die Krankheit nicht als hohes Risiko und die Impfung dementsprechend nicht als notwendig eingeschätzt wurde.

Die bereits ein ganzes Jahr geltenden Abstandsregeln haben jedoch Hongkongs Wirtschaft geschädigt und die Stadtregierung hat ein starkes Interesse daran, durch Impfungen so schnell wie möglich Herdenimmunität zu erreichen, damit die Wirtschaft baldmöglichst wieder hochgefahren werden kann.

Um die Impfrate zu steigern, haben die Behörden sogenannte Vaccine-Bubble-Bestimmungen zum Impfnachweis eingeführt, wonach die Impfung von Angestellten die Voraussetzung dafür ist, dass Betriebe wie etwa Restaurants ihre Mindestabstandsregeln lockern können.

Zudem haben die Verantwortlichen eine Travel Bubble (Reisekorridor) mit Singapur eingerichtet, wonach vollständig geimpfte Hongkonger*innen dort hinreisen können, ohne sich nach der Rückkehr einer Quarantäne unterziehen zu müssen. Reisende aus Singapur müssen allerdings nicht vollständig geimpft sein, um Hongkong besuchen zu können.

Hongkong wird wohl bald das Ziel erreichen, 14 Tage keine Neuinfektionen mehr zu verzeichnen, was das Kriterium für quarantänefreies Reisen nach Festlandchina ist. Regierungschefin Carrie Lam hat daher auf ihrer Facebook-Seite verkündet, dass die Impfung Voraussetzung für Reisen nach Festlandchina werde.

Vertrauensverlust der Öffentlichkeit

Die oben beschriebenen Maßnahmen des sanften Drucks haben einen gewissen Effekt: Wie bereits angedeutet ist Hongkongs Impfrate unter den Berufstätigen im Alter von 30 bis 59 Jahren höher als in anderen Altersgruppen. Und dennoch stärken solche Maßnahmen nicht unbedingt das Bewusstsein der Menschen im Hinblick auf ihre soziale Verantwortung, die in Studien als der entscheidende Faktor zum Erreichen der Herdenimmunität beschrieben wurde.

Das politische Misstrauen nach Inkrafttreten des nationalen Sicherheitsgesetzes und dem harten Vorgehen gegen die prodemokratische Bewegung haben zu einem Zusammenbruch des Vertrauens in die Institutionen in Hongkong geführt. Wie von Francesca Chiu in der politisch unabhängigen Zeitung Hong Kong Free Press (in etwa: Hongkongs Freie Presse) dargestellt, beinhalten Argumente von Hongkongs Impfgegner*innen Aussagen wie „die Regierung versucht die Bevölkerung zur Impfung zu zwingen, um Peking zufriedenzustellen“, oder einfach nur „egal, was die Regierung von mir will, ich mache einfach das Gegenteil“.

Es liegt nahe, dass es hier nicht nur um „Impfskepsis“ geht, sondern ebenso um den Ausdruck eines tiefen (und vollkommen nachvollziehbaren) Misstrauens gegenüber der Regierung. Es bleiben eben doch weitreichende Konsequenzen nicht aus, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Regierten und den Regierenden zerstört wird …

Unterdessen werden linientreue Politiker zunehmend ungeduldig und sprechen sich seit ein paar Wochen für mehr Zwang in den Maßnahmen aus. Anfang Mai schlug der Peking-freundliche Abgeordnete Julius Ho vor, die Stadtregierung solle eine Frist zur Impfung setzen, nach deren Ablauf die Impfung 10.000 Hongkong-Dollar (umgerechnet etwa 1.056 Euro) kosten solle. Seine Forderung wurde kürzlich vom früheren Hongkonger Regierungschef Leung Chunying unterstützt, der außerdem die Hongkonger Stadtregierung dringlich dazu aufforderte, für diejenigen „Strafen“ zu verhängen, die sich nicht impfen lassen wollen, indem man sie „den Preis bezahlen“ ließe.

Das Risiko solcher Rhetorik besteht darin, die Gesellschaft weiter zu spalten und das Impfprogramm zu politisieren. Für viele Hongkonger*innen hat die Stadt seit 2019 ohnehin schon viele „Strafen“ hinnehmen müssen; eine Impfstrafe wäre dabei nur eine von vielen.

Während Vertrauen und Solidarität bewährte Gegenmittel im Umgang mit Impfskepsis sind, vertieft sich in Hongkong die soziale und politische Kluft zunehmend:

Das stimmt vor allem, da die Impfskepsis in #HongKong nicht primär vom üblichen Gefasel der wissenschaftsfeindlichen Impfgegner, das man im Westen hört, angefeuert wird, sondern vielmehr auf nicht ganz ungerechtfertigten soziopolitischen Ängsten beruht.

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