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Hongkonger Behörden nehmen Klassenzimmer ins Visier, weshalb sich die Lehrer*innen selbst zensieren

Kategorien: Ostasien, China, Hong Kong (China), Bildung, Bürgermedien, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Politik, Recht
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Bild von Stand News. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Dies ist der dritte Teil eines Berichtes, der ursprünglich [1] in chinesischer Sprache in The Stand News veröffentlicht wurde. Er wurde von Global Voices ins Englische übersetzt und wird hier mit Genehmigung in fünf Teilen veröffentlicht. Lesen Sie die Teile eins [2], zwei [3], und drei  [4]hier.

Artikel 9 des Gesetzes über die nationale Sicherheit Hongkongs  [5](ational Security Law, kurz NSL) verpflichtet die Regierung, notwendige Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Kommunikation, Führung, Überwachung und Verwaltung in Schulen, sozialen Organisationen, den Medien und im Internet zu ergreifen.

Da die schulpflichtige Jugend bei den Protesten des vergangenen Jahres gegen die Auslieferung eine der aktivsten gesellschaftlichen Gruppen war, halten es die Behörden für entscheidend, die Klassenzimmer zu kontrollieren.

Kurz nachdem das NSL im Juli in Kraft trat, überarbeitete [6] das Hongkonger Bildungsbüro die Schulbücher der Grundschulen, um die Begriffe „ziviler Ungehorsam“ und „Gewaltenteilung“ zu entfernen. Es wurden auch Richtlinien [7] für die Schulverwaltungen zur Aufklärung der Schülerinnen und Schüler über die nationale Sicherheit herausgegeben und betont, dass es Aufgabe der Schule ist, das „nationale Identitätsgefühl“ der Schülerschaft zu stärken.

Zusätzlich zu den institutionellen Maßnahmen mobilisierte Peking auch seine Loyalistinnen und Loyalisten [8], um die schwarzen Schafe auszusortieren. Der ehemalige Regierungschef Leung Chun-Ying drängte [8] die Öffentlichkeit dazu, Beschwerden über Lehrerinnen und Lehrer mit Hilfe des von ihm gegründeten 803 Action Fund zu melden, eine von ihm eingerichtete Online-Plattform, die Belohnungen für diejenigen Informantinnen und Informanten bietet, welche die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung gezielter pro-demokratischer Persönlichkeiten erleichtern. Seit August 2019 erklärte der Fonds, dass er eine Belohnung in Höhe von 100.000 Hongkong-Dollar (ca. 110.000 Euro) für diejenigen vorsieht, die Informationen über das Fehlverhalten von Lehrerinnen und Lehrern liefern.

Auf Facebook veröffentlichte Leung kürzlich eine Liste von 18 Lehrerinnen und Lehrern, die wegen Protestaktivitäten verhaftet und wegen Randalieren, Brandstiftung, Angriff auf Polizeibeamte, Waffenbesitz, krimineller Beschädigung, illegaler Versammlung und mehr angeklagt wurden. Die Informationen auf der Liste umfassen ihre Namen, ihr Alter, ihre Berufsbezeichnung, die Schulen, an denen sie unterrichten, und die gegen sie erhobenen Anklagen. Er betont, er werde weitere Namen und Einzelheiten von regierungsfeindlichen Lehrerinnen und Lehrern über den 803-Aktionsfonds veröffentlichen.

Im Mai startete [9] der pekingfreundliche Abgeordnete Julius Ho eine ähnliche Initiative mit dem Namen Save the Children (Rettet die Kinder). Er behauptete, dass die Gruppe 300 Freiwillige rekrutiert habe, um „unprofessionelle“ Praktiken im Bildungssektor aufzudecken, und dass ihre Ermittlenden Arbeitsblätter sammeln und den Unterricht aufzeichnen würden. Bis Juni, so Ho, habe die Gruppe mehr als 20 Fälle innerhalb eines einzigen Monats gefunden.

In diesem Monat richtete der pekingfreundliche Hongkonger Gewerkschaftsbund eine Hotline [10] für Eltern ein, über die sie Beschwerden gegen das „Fehlverhalten“ von Lehrerinnen und Lehrern einreichen können. Die Definition von unprofessioneller Praxis oder Fehlverhalten reicht nach Angaben des Gewerkschaftsbundes von der Unterschrift einer regierungsfeindlichen Petition [11]über Arbeitsblätter, die als unangemessen gelten, bis hin zu Social-Media-Beiträgen, die persönliche Ansichten zu aktuellen Angelegenheiten zum Ausdruck bringen.

Brian (falscher Name) ist ein Chinesischlehrer an einer Mittelschule. In der Vergangenheit stellte er Artikel unter seinem richtigen Namen auf Online-Plattformen ein, löschte aber kürzlich einen veröffentlichten Beitrag. In den vergangenen zwei Jahren hatte er drei bis vier Beschwerden wegen seiner Online-Aktivitäten erhalten. „Die bloße Erwähnung der ‚Polizei‘ ohne die Absicht, sie zu beleidigen, bringt Beschwerden ein“, sagte er gegenüber The Stand News.

Eine der Beschwerden, die anonym in der Schule gegen ihn eingereicht wurden, betraf laut Brian die Tatsache, dass er einem Schüler sagte: „Schön, dass du wieder sicher nach Hause gekommen bist“ (返屋企,冇事就好), nachdem dieser einer Demonstration verlassen hatte. Das Bildungsbüro, fügte er hinzu, verlangte eine schriftliche Erklärung dafür, dass es angeblich meinte „es ist gut, nach der Teilnahme an einer von der Regierung verbotenen Protestveranstaltung nach Hause zurückzukehren“.

Die Beschwerde hat bisher drei Runden schriftlichen Austauschs durchlaufen. Brian musste seine Erklärung durch Zeugenaussagen von Kolleginnen bzw. Kollegen, Studierenden und deren Eltern untermauern. „Der ganze Prozess besteht darin, dem Bildungssektor mitzuteilen, dass Sie zur Zielscheibe geworden sind und Ihnen Angst zu machen“, sagte er.

Im Januar begann das Hongkonger Bildungsbüro damit, Druck auf die Schulverwaltungen auszuüben [12], damit diese die Politik von den Universitäten fernhält. Mit der Verkündung des Gesetzes zur nationalen Sicherheit im Mai eskalierte der Druck.

Dies wurde durch einen richtungsweisenden Fall im Juni belegt, in dem ein Mittelschullehrer entlassen [13] wurde, weil er Schülerinnen und Schülern erlaubt hatte, bei einer Musikprüfung das beliebte Protestlied „Glory to Hong Kong“ (etwa: Ehre für Hongkong) zu spielen.

Im selben Monat ergab eine von der Hong Kong Professional Teachers’ Union (etwa: Hongkonger Gewerkschaft für Lehrerinnen und Lehrer) durchgeführte Umfrage [14] das Ausmaß der politischen Kontrolle: Von den 1.185 Befragten, die alle im Bildungssektor tätig sind, gaben 84,1 Prozent an, dass die Regierung „großen Druck“ auf den Sektor ausgeübt habe, während 91,8 Prozent der Ansicht waren, dass sich die aktuellen Entwicklungen negativ auf die Zukunft des Bildungswesens auswirken würden.

Obwohl 91,1 Prozent der Befragten angaben, nicht damit einverstanden zu sein, dass Lehrerinnen und Lehrer keine politischen Ansichten über die sozialen Medien äußern sollten, gaben 64,6 Prozent auch an, dass sie ihre Social-Media-Aktivitäten reduziert hätten, wobei einige beschlossen, ihre Konten ganz zu schließen. Unterdessen begannen 59,1 Prozent, die Teilnahme an genehmigten Protesten und Versammlungen zu vermeiden.

Darüber hinaus waren 78,8 Prozent der Befragten besorgt, dass sie aufgrund ihrer politischen Ansichten Beschwerden erhalten würden. Ein Befragter schrieb in der Umfrage, dass die Eltern eines Schülers eine Beschwerde einreichten, nur weil er im Unterricht eine schwarze Maske trug. (Anmerkung des Übersetzers: schwarz ist die Farbe der pro-demokratischen Bewegung).

Der pro-demokratische Sektor vergleicht [15] eine solche Jagd nach “schwarzen Schafen” mit den politischen Säuberungen im Stil der Kulturrevolution [16].