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Festnahme chinesisch-australischer Fernsehmoderatorin Cheng Lei durch China als „Geiseldiplomatie“ bezeichnet

Kategorien: Ostasien, Ozeanien, Australien, China, Bürgermedien, Internationale Beziehungen, Medien & Journalismus, Menschenrechte, Politik
Cheng Lei in Lisbon, Portugal at Web Summit 2019 [1]

Cheng Lei in Lissabon, Portugal, beim Web Summit 2019 – Foto von Piaras Ó Mídheach. Verwendung mit freundlicher Genehmigung. Web Summit Flickr-Konto (CC BY 2.0) [2]

Die Festnahme der Journalistin und Fernsehmoderatorin Cheng Lei in China hat die Angst vor einem weiteren Fall von sogenannter „Geiseldiplomatie“ geschürt. Sie ist australische Staatsbürgerin.

Nach Angaben der australischen Regierung wird sie offenbar seit mehr als zwei Wochen in Wohnhaft gehalten. Australische Diplomat*innen konnten mit ihr am 27. August per Videolink [3] Kontakt aufnehmen. Da Cheng nicht formell verhaftet wurde, sondern unter „Überwachung in einer Wohnung an einem bestimmten Ort“ (Residential Surveillance at a designated Location) steht, verfolgen die australischen Behörden derzeit eine Art sanfter Diplomatie, indem sie Cheng und ihrer Familie Hilfe und Unterstützung gewähren.

Cheng ist die Moderatorin einer Wirtschaftssendung im China Global Television Network (CGTN [4]) des Staatsfernsehens und gilt als jemand, die in ihrer Berichterstattung keine politischen Grenzen überschritten hat. Für ihre Verhaftung wurden keine Gründe angegeben. Sie hatte im März auf ihrer Facebook-Seite [5] über Vertuschungen von COVID-19 in Wuhan geschrieben, aber angesichts des Zeitrahmens ist dies möglicherweise nicht der Grund für ihre Verhaftung.

Der Geschäftsführer von Human Right Watch, Kenneth Roth, kommentierte auf Twitter:

Die chinesische Regierung will nicht einmal erklären, warum sie diese australische Fernsehmoderatorin festhält, sodass wir zu dem Schluss kommen müssen, dass die Festnahme von Cheng Lei einfach das jüngste Beispiel der „Geiseldiplomatie“ Pekings ist.

Der australische Journalist Peter Greste [9], der im Zusammenhang mit seiner Arbeit bei Al Jazeera 440 Tage in Ägypten im Gefängnis verbrachte, glaubt, sie könnte ein politischer Spielball sein:

Dies ist zutiefst beunruhigend. Wenn @ChengLeiCGTN [10] ein Verbrechen begangen hat, sollte #China [11] sie anklagen und sich schnell und transparent damit befassen. Wenn nicht, sollten man sie gehen lassen. Alles andere lässt darauf schließen, dass sie als politische oder diplomatische Geisel benutzt wird.

Tweet von Stefan Armbruster:

@StefArmbruster
Die australische Staatsbürgerin und #Journalistin @ChengLeiCGTN [10] ist seit zwei Wochen in #China [11] inhaftiert, bestätigt das Büro von @MarisePayne. Link zu ihrer Seite auf @CGTN jetzt 404. #Medien #auspol

Medienkolleg*innen aus der ganzen Welt haben die sozialen Medien und andere Online-Plattformen genutzt, um auf Chengs Notlage hinzuweisen. Der Journalist und Akademiker Tony Walker [16] hat bei The Conversation [17] zu dringendem Handeln aufgerufen:

When it seemed relations between Australia and China could not get much worse, the detention of an Australian citizen [18] working for Chinese state television risks a further deterioration.

…Canberra should be doing all it can to ensure she is released from “residential surveillance” as soon as possible.

Als es so schien, als könnten die Beziehungen zwischen Australien und China nicht viel schlechter werden, riskiert die Inhaftierung einer australischen Staatsbürgerin [18], die für das chinesische Staatsfernsehen arbeitet, eine weitere Verschlechterung.

… Canberra sollte alles in seiner Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass sie so bald wie möglich aus der „Wohnraumüberwachung“ entlassen wird.

Dies folgt auf die erfolglose stille Diplomatie, um die Freilassung von Yang Hengjun [19] in China oder Kylie Moore-Gilbert [20] im Iran zu erreichen.

Diese jüngste Entwicklung findet in einer Zeit der sich verschlechternden Beziehungen [21] zwischen der australischen und der chinesischen Regierung statt, in der die Importbeschränkungen Chinas zunehmen. Der Grund dafür sind die australischen Forderungen [22] nach einer unabhängigen Untersuchung der Herkunft des Coronavirus.

Anscheinend ist Chengs Profil von der CGTN-Website entfernt worden. Ein erfahrener BBC-Journalist twitterte eine weit verbreitete Besorgnis über das Vorgehen des chinesischen Staates:

Die australisch-chinesische Nachrichtenmoderatorin Cheng Lei (@ChengLeiCGTN [10]) ist vom Bildschirm des China Global TV verschwunden, & ihr Profil wurde von der Website von CGTN gelöscht. Die australische Regierung sagt, sie sei verhaftet worden. Warum wurde sie verhaftet? Es ist beunruhigend, dass Menschen in China einfach so verschwinden können.

Der indische Journalist Abhijit Majumber äußerte ähnliche Bedenken:

Cheng Lei, australische TV-Moderatorin, in China inhaftiert.
Ich muss zugeben, dass ich Chinas Strategie, es an mehreren Fronten mit jedem aufzunehmen, nicht verstehe. Aber vielleicht ist das Teil eines gut durchdachten Plans.

Die Künstlerin Marionne Van Katwijk hat eine eigenene Ansicht über die Strategie der chinesischen Regierung:

Ehemaliger Botschafter in China sagt, die Situation um die inhaftierte Journalistin Cheng Lei sei „äußerst heikel“.
Ja, China sendet wieder diese Botschaft… die Weltherrschaft im Endspiel?

Global Voices sprach auch mit dem chinesisch-australischen Aktivisten Badiucao [28] und fragte ihn nach seiner Meinung über die Inhaftierung von Cheng Lei:

The arrest of Cheng Lei comes as a surprise, but the message is very clear: if we, the CCP, do not hesitate to arrest journalists who work for our own propaganda news agency, you better be careful when you cover China. There is also another chilling message: regardless of your current citizenship, if you were born in China, you are still property of China.

This is why I am afraid Cheng Lei might not be the last case like that, we already witnessed it with Yang Hengjun. Clearly this is a sign of desperation on the side of Xi Jinping who wants to reign in the media, having in mind the role it played in the fall of the Soviet Union in the late 1980s.

What is interesting is that in this climate of high tension in Sino-Australian relations, the Australian government is reaching a “can’t do this anymore” turning point that is unprecedented. The Australian government is offering special visas to Hong Kong students, it is also commissioning a research on academic freedom in Australia in regard to Chinese pressure. There are also discussions about following the US in the ban of Tik Tok and WeChat social media platforms.

But as of now, the message for us activists born in China and living abroad remains the same: we are potential hostages and each of us is facing the same danger as met by Cheng Lei, even if she was actually working to promote China’s official line.

Die Verhaftung von Cheng Lei kommt überraschend, aber die Botschaft ist ganz klar: Wenn wir, die KPC [29], nicht zögern, Journalist*innen zu verhaften, die für unsere eigene Propaganda-Nachrichtenagentur arbeiten, dann sollten Sie bei Ihrer Berichterstattung über China besser vorsichtig sein. Es gibt noch eine weitere erschreckende Botschaft: Unabhängig von Ihrer derzeitigen Staatsbürgerschaft sind Sie, wenn Sie in China geboren sind, immer noch Eigentum Chinas.

Ich befürchte deshalb, dass Cheng Lei nicht der letzte Fall dieser Art sein könnte. Wir haben ihn bereits mit Yang Hengjun erlebt. Eindeutig ist dies ein Zeichen der Verzweiflung auf der Seite von Xi Jinping, der den Medien die Zügel anlegen will, wenn man bedenkt, welche Rolle sie beim Untergang der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre gespielt hatte.

Interessant ist, dass die australische Regierung in diesem Hochspannungsklima in den chinesisch-australischen Beziehungen einen Wendepunkt erreicht, der beispiellos ist. Die australische Regierung bietet hongkonger Studierenden spezielle Visa an und gibt außerdem eine Untersuchung über die akademische Freiheit in Australien in Bezug auf den chinesischen Druck in Auftrag. Es gibt auch Diskussionen darüber, den USA beim Verbot der Social-Media-Plattformen Tik Tok und WeChat zu folgen.

Aber die Botschaft für uns in China geborene und im Ausland lebende Aktivistinnen und Aktivisten bleibt ab sofort dieselbe: Wir sind potenzielle Geiseln, und jeder von uns ist mit derselben Gefahr konfrontiert wie Cheng Lei, auch wenn sie eigentlich für Chinas offizielle Linie werben wollte.