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Paraguays Weg zur Demokratie ist voller Geister der Vergangenheit

Kategorien: Lateinamerika, Paraguay, Bürgermedien, Geschichte, Menschenrechte, Politik
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Illustration von Kurtural. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Dieser Bericht von Jazmín Acuña [1] erschien ursprünglich bei Kurtural als Teil einer ausführlicheren Reihe von Berichten [2] über die Stroessner-Diktatur (1954-1989) in Paraguay. Der vorliegende Artikel wurde von Global Voices in Bezug auf Länge und Kontext bearbeitet und mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.

Seit dem Ende der Diktatur in Paraguay wurden nur einige wenige Polizisten und Zivilisten [3] für die Menschenrechtsverletzungen während des Regimes von Alfredo Stroessner [4] bestraft. Ein Schleier der Straflosigkeit hängt nach wie vor über den berüchtigtsten Personen aus dieser Zeit, die nicht ins Gefängnis kamen, sondern nach wie vor mächtige Posten in der Regierung Paraguays bekleiden. Die bekanntesten davon sind der ehemalige Verteidigungsminister, der Außenminister Paraguays und der Berater des Präsidenten.

Geister aus der Zeit der Diktatur spuken noch immer in Paraguays Kreisen der Macht herum

Alfredo Stroessner übernahm 1954 nach einem Militärputsch die Präsidentschaft in Paraguay. Dem gingen eine Zeit der tiefen wirtschaftlichen Instabilität und Konflikte innerhalb der Regierungspartei voraus. Stroessner trat sein Amt nach einer besonderen Wahl an, bei der er der einzige Kandidat war, und wurde in den folgenden Jahren sieben Mal mit fragwürdig hohem Abstand zu seinen Gegenkandidaten wiedergewählt. Seine 35 Jahre andauernde Herrschaft über Paraguay wurde stark von der Regierung der Vereinigten Staaten unterstützt. Während dieser Zeit war Paraguay auch Mitglied der Operation Condor [5].

Obwohl das Land nach dem Ende der Diktatur zu einer Demokratie umgewandelt wurde, blieben bei den folgenden Wahlen Stroessner nahestehende Kreise [6] weiterhin an der Macht. Dies galt für die Regierung von Horacio Cartes [7] von 2013 bis 2018 und trifft auch auf die aktuelle Regierung von Präsident Mario Abdo Benítez [8] zu, dessen Familie der Ära Stroessner weiterhin nahesteht.

Laut Mario Melanio Medina, dem Vorsitzenden der paraguayischen Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit [9], haben die Regierungen, die nach der Diktatur ins Amt kamen, Angst, mit den während dieser Zeit begangenen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht oder dafür verantwortlich gemacht [3] zu werden. Somit haben sie nur wenig Interesse daran, Untersuchungen oder Gerichtsverfahren für die mehr als 400 gewaltsam verschwundenen Personen [10] und mehr als 20.000 Folteropfer zu unterstützen.  

„Die ranghöchsten Amtsträger, die politischen Hauptakteure dieser in großem Umfang begangenen Gräueltaten, wurden nie strafrechtlich verfolgt“, sagt Hugo Valiente, Anwalt und Autor [11] verschiedender Untersuchungen zum Thema Menschenrechte. Valiente bezieht sich dabei auf die Behörden, Staatsoberhäupter und deren Kumpanen bei all diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die, so sagt er, vor Gericht gestellt werden sollten, egal wie viel Zeit seither vergangen ist.

Drei dieser politischen Hauptakteure – nämlich Diógenes Martinez, Eladio Loizaga und Dario Filartiga – hatten und haben großen Einfluss in der Regierung Paraguays.

Diógenes Martínez: Ein Richter nach den Wünschen eines Diktators

Das Rechtssystem Paraguays konnte sich dem wachsenden Netzwerk der Korruption nicht entziehen. Richter wie Diógenes Martinez stellten sich auf die Seite von Tyrannen der Ära Stroessner [2] und sahen bei Vergewaltigungen, erzwungenem Verschwinden und willkürlichen Verhaftungen weg.

„Sie hatten Anteil an falschen Gerichtsurteilen. Sie erklärten durch Folter erzwungene Aussagen für gültig“, sagt Valiente.

Für Rogelio Goiburu, den Leiter der Dirección de Memoria Histórica y Reparación (DMHR), einer staatlichen Abteilung für Wiedergutmachung und Erinnerung, dessen Vater während der Stroessner Diktatur verschwand [12], besteht kein Zweifel, dass solche Menschen unbedingt vor Gericht gestellt werden müssen.

Die Methoden aus der Vergangenheit scheinen für Martínez nicht völlig vergessen zu sein. Genau das macht Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten Sorgen. Im März 2017, während der letzten Amtszeit des damaligen Präsidenten Horacio Cartes, warnte Martínez Demonstrierende, dass die Armee bereit sei, auf die Straße zu gehen, [13] um Demonstrierende aufzuhalten, die den Kongress gestürmt [14] hatten, nachdem Cartes versucht hatte, die Verfassung zu ändern, um wiedergewählt zu werden. Martínez räumte zwar ein, ein innenpolitisches Eingreifen des Militärs wäre unrechtmäßig, versicherte aber gleichzeitig, die Armee sollte ‚vorbeugend‘ eingreifen [15].

Eladio Loizaga: Der Außeniminister aus der Zeit des Kalten Krieges

Eladio Loizaga begann seine Laufbahn als Diplomat während der Amtszeit von Alfredo Stroessner. Im August 1981 wurde er zum Leiter der Abteilung für internationale Organisationen, Verträge und Gesetze des Außenministeriums ernannt. 1983 wurde er zum Generaldirektor dieser Abteilung befördert. Während seiner Amtszeit war die Operation Condor [5] in vollem Gange. Dabei handelte es sich um einen Geheimplan zwischen Argentinien, Chile, Brasilien, Uruguay, Bolivien und Paraguay, der für Entführungen, Verschwindenlassen und Ermordung politischer Gegnerinnen und Gegner verantwortlich war. Die Operation wurde von der Regierung der USA unterstützt, die für Planung, Koordination und Training sowie für technische, finanzielle und militärische Unterstützung sorgte.

Es gibt kein Verbrechen ohne ein sorgfältig verfasstes Drehbuch, das den Terror rechtfertigt. In Lateinamerika war die Bedrohung durch den Kommunismus der Vorwand für die Unterdrückung. Diese Ideen wurden auf Tagungen und Konferenzen durch Organisationen wie die World Anti-Communist League beworben und verteidigt.

Stroessner war Mitglied dieser Organisation und Paraguay richtete eine der vorbereitenden Konferenzen vor dem Weltkongress aus. Eladio Loizaga wiederum war damals einer der Verantwortlichen für die Koordination.

„Loizaga war auch ein Partner bei der staatlichen Korruption. Er lenkte, arrangierte und unterstützte die Pläne für umfangreiche Hinrichtungen finanziell“, erklärt Rogelio Goiburu, dessen Vater von paraguayischen und argentinischen Behörden entführt wurde. Von 2013 bis 2018 war Loizaga Außenminister [16] in der Regierung von Präsident Cartes. Laut Goiburu hätte Loizaga nicht Mitglied in einem Regierungskabninett sein dürfen, das sich als Teil eines demokratischen Staats betrachtet. Dies ist in Paraguay jedoch nicht der Fall.

Darío Filartiga: Loyalität zur Macht

Wie auch schon während der Stroessner-Ära hatten diese Männer die Privilegien der Mächtigen. Filartiga Ruiz Diaz bewies seine Loyalität zu Stroessner, als er 2006 nach Brasilien reiste, um dem Diktator bei dessen Beisetzung die letzte Ehre zu erweisen. Stroessner starb in Brasilia, wo er seit dem Putsch und seinem Machtverlust 1989 im Exil lebte.

Unter dem damaligen Präsidenten Cartes führte er denselben politischen Kurs der unaufhörlichen Lobhudelei und Unterstützung fort. Als der Kongress beispielsweise die Notwendigkeit einer Erhöhung der Tabaksteuer [17] abwog, zeigte sich Filartiga Ruiz Diaz als eifriger Verfechter der Interessen von Cartes, der einer der Hauptaktuere dieser Industrie [18] war.

Wie kann ein Prozess der Rechenschaftspflicht möglich sein, wenn die Lakaien des Diktators noch immer immun gegen das Justizwesen sind?

Je höher das Amt in der staatlichen Hierarchie angesiedelt ist, desto größer die Verantwortung und entsprechend wichtig ist die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Valiente glaubt jedoch, dass dies sehr unwahrscheinlich ist: „Der demokratische Prozess in Paraguay wurde auf einem Pakt der Straffreiheit aufgebaut.“