- Global Voices auf Deutsch - https://de.globalvoices.org -

Chinas Verfolgung muslimischer Minderheiten: Eine in der Türkei lebende uigurische Studentin erzählt ihre Geschichte

Kategorien: Ostasien, China, Bürgermedien, Censorship, Ethnie & Rasse, Flüchtlinge, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Migration & Immigration, Religion

Bildschirmaufnahme eines YouTube video [1] in einem der Miraj Restaurants in Urumqi.

Aus Sicherheitsgründen wird die Identität der Autorin anonym gehalten.

Seit 2017 [2] ist in Chinas nordwestlicher Region Xinjiang [3] zu bemerken, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger ethnischer Minderheiten, darunter Uiguren, Kasachen, Kirgisen und Hui, verhaftet werden.

Die Vereinten Nationen sowie internationale Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass über 1 Millionen  [4]ethnische Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Internierungslagern, die die chinesische Regierung als „Berufsausbildungszentren“ bezeichnet, festgehalten werden.

Weil die chinesische Regierung diese Lager geheim hält, sind Zahlen schwer zu schätzen, aber Quellen gehen davon aus, dass Hunderte während der Haft gestorben sind [5].

Auch über andere Formen der Verfolgung in der Region wurde weithin berichtet [6], wie z. B. Verbote religiöser Rituale und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder die Benutzung von Minderheitensprachen.

Diese Situation hat viele junge Uiguren dazu veranlasst, China in Richtung vor allem Europa und des Nahen Osten zu verlassen.

Global Voices sprach mit Fazilat Abdureshit, eine 23-Jährige aus Atush im Westen Xinjiangs, die ihren ersten Studienzyklus 2015 beendete und sich im selben Jahr um ein Stipendium in der Türkei bewarb. Sie studiert jetzt Islamische Theologie an der Universität Bursa Uludağ im Westen der Türkei.

Dieses Interview wurde telefonisch auf Englisch geführt und der Kürze halber überarbeitet.

Global Voices (GV): Als Sie 2015 in die Türkei gingen, war mit Ihrer Familie alles in Ordnung. Was ist seitdem geschehen? 

Foto von Fazilat Abdureshit, mit Erlaubnis verwandt

Fazilat Abdureshit (FA): I went home once a year to visit, the last time was in January 2017 when I spent two weeks with my family, before returning to Turkey. My aunt joined me as she had planned to spend some time with me before going back to Xinjiang. But in May 2017 my father called and told us not to come back to Xinjiang, without giving any clear explanation. We got scared, so my aunt just stayed with me in Turkey.

In August of that year, my brother sent us some money from Xinjiang to provide for my aunt's living expenses. After that, I lost contact with him. Finally, in October 2017 I got a message from my grandmother, telling me that my brother, Rezaidin Abdureshit, had been arrested and sentenced to 20 years in prison for sending us money. My brother is 32 years old and has two children, a 5-year-old daughter and a 7-year-old son.

We were so shocked by the news. By this time I was also unable to contact my other siblings, who had deleted me from their social media, and didn't answer my calls.

 

Fazilat Abdureshit (FA): Ich bin einmal im Jahr zu Besuch nach Hause gefahren, das letzte Mal im Januar 2017. Ich verbrachte zwei Wochen bei meiner Familie und kehrte danach in die Türkei zurück. Meine Tante fuhr mit mir mit, weil sie gerne eine Zeit mit mir verbringen wollte, bevor sie nach Xinjiang zurückfahren wollte. Aber im Mai 2017 rief mein Vater an und sagte uns, wir sollten nicht nach Xinjiang zurückkehren, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Wir bekamen Angst, also blieb meine Tante einfach bei mir in der Türkei.

Im August desselben Jahres schickte uns mein Bruder etwas Geld aus Xinjiang, um für den Lebensunterhalt meiner Tante aufzukommen. Danach verlor ich den Kontakt zu ihm. Im Oktober 2017 erhielt ich endlich eine Nachricht von meiner Großmutter, in der sie mir mitteilte, dass mein Bruder, Rezaidin Abdureshit, verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei, weil er uns Geld geschickt hatte. Mein Bruder ist 32 Jahre alt und hat zwei Kinder, eine 5 Jahre alte Tochter und einen 7 Jahre alten Sohn.

Wir waren so schockiert über die Nachricht. Zu diesem Zeitpunkt war es mir auch nicht mehr möglich, meine anderen Geschwister zu kontaktieren, denn sie hatten mich aus ihren Konten bei den sozialen Medien gelöscht und antworteten nicht auf meine Anrufe.

GV: Ihr Vater, Abdureshit Hoshur Haji, war früher ein erfolgreicher Unternehmer in Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang. Was ist mit ihm geschehen?

FA: Until May 2018 I was able to stay in touch through short messages on WeChat [7], once every three months. But after that, I couldn't reach him at all. I learnt later that he had been sent to an internment camp.

In June 2020 I received news about my father, who is now 64 years old, informing me he had been sentenced to 17 years in prison. Since I learned this through indirect channels, I have no more information about the verdict. I know my father is a law-abiding citizen, so my guess is that he was targeted because I, as well as one of his brothers, live in Turkey.

FA: Bis Mai 2018 konnte ich durch kurze Nachrichten auf WeChat [8] in Kontakt bleiben, einmal alle drei Monate. Aber danach konnte ich ihn überhaupt nicht mehr erreichen. Später erfuhr ich, dass er in ein Internierungslager geschickt worden war.

Im Juni 2020 erhielt ich Nachricht von meinem Vater, der jetzt 64 Jahre alt ist, dass er zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Da ich dies auf indirektem Wege erfuhr, habe ich keine weiteren Informationen über das Urteil. Ich weiß, dass mein Vater ein gesetzestreuer Bürger ist, daher vermute ich, dass er ins Visier genommen wurde, weil ich, wie auch einer seiner Brüder, in der Türkei lebe.

GV: Sind neben Ihrem Vater und Bruder auch andere Mitglieder Ihrer Familie inhaftiert worden?  

FA: Yes. In June 2020 I also learned that my father's brother, Ablimit Hoshur Halis Haji, a businessman and prominent philanthropist, and my aunt's husband Shanshidin Haji, who is an oncologist at the Tumor Hospital in Urumqi, were each sentenced to 20 years in prison.

Shanshidins Hajis’ brother, Imin Haji, who heads a major construction company, has also been sentenced to 20 years. His sister Nurgul Rahmitulla got a 15-year sentence. Imin Hajis’ son Adiljan is in prison too, I don't know for how long.

My father's younger brother, Ahmatjan Haji Muhammad disappeared three years ago. He came to visit us in Turkey in February 2017, and was taken by the authorities on his return to China. I have no further information about him.

My sister's husband, Adiljan Imin, has been detained for three years now. My sister Mukaddas Abdureshit was also taken in 2018, but was later released since she was pregnant.

My father's cousin Amrulla Abdusami, a businessman, was taken three years ago and I have no information about what happened to him. He has four children, his eldest son Elijan Amrulla, who is 23, was also sentenced to eight years, probably for studying the Koran. This happened to the son of another of my father's cousins, Ilham Hayrulla, who was arrested five years ago for studying the Koran.

My family has been doing business in China for a long time. They ran a three-branch restaurant in Urumqi called Miraj [9], which was closed down by the authorities, allegedly for promoting the Uyghur cultural identity. In that process, my father's business partners were also detained.

FA: Ja. Im Juni 2020 erfuhr ich, dass auch der Bruder meines Vaters, Ablimit Hoshur Halis Haji, ein Geschäftsmann und prominenter Philanthrop, und der Ehemann meiner Tante Shanshidin Haji, der Onkologe am Tumorkrankenhaus in Urumqi ist, jeweils zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

Shanshidin Hajis Bruder Imin Haji, der ein großes Bauunternehmen leitet, wurde ebenfalls zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Seine Schwester Nurgul Rahmitulla wurde zu fünfzehn Jahren verurteilt. Imin Hajis Sohn Adiljan ist ebenfalls im Gefängnis, ich weiß nicht, für wie lange.

Der jüngere Bruder meines Vaters, Ahmatjan Haji Muhammad, ist vor drei Jahren verschwunden. Er besuchte uns im Februar 2017 in der Türkei und wurde bei seiner Rückkehr nach China von den Behörden festgenommen. Ich habe keine weiteren Informationen über ihn.

Der Mann meiner Schwester, Adiljan Imin, befindet sich seit drei Jahren in Haft. Meine Schwester Mukaddas Abdureshit wurde 2018 ebenfalls festgenommen, aber später wieder freigelassen, weil sie schwanger war.

Der Cousin meines Vaters, Amrulla Abdusami, ein Geschäftsmann, wurde vor drei Jahren entführt, und ich habe keine Informationen darüber, was mit ihm passiert ist. Er hat vier Kinder, sein ältester Sohn Elijan Amrulla, der 23 Jahre alt ist, wurde ebenfalls zu acht Jahren verurteilt, wahrscheinlich wegen seiner Koranstudien. Dies geschah mit dem Sohn eines anderen Cousins meines Vaters, Ilham Hayrulla, der vor fünf Jahren wegen des Studiums des Korans verhaftet wurde.

Meine Familie ist seit langer Zeit geschäftlich in China tätig. Sie betrieb in Urumqi ein Drei-Filialen-Restaurant namens Miraj, das von den Behörden geschlossen wurde, angeblich zur Förderung der kulturellen Identität der Uiguren. Dabei wurden auch die Geschäftspartner meines Vaters festgenommen.

GV: Was würden Sie gern den chinesischen Behörden sagen?

FA: I really want to ask them why my father and other relatives were sent to prison. And why my family members cannot contact me. I came to Turkey in a legal way, on a passport issued by the Chinese authorities. So why did they punish my family? What is their crime? They all know the Chinese language and have committed no crime. My father is a good man, well-known in our society. I demand the truth about what happened to them.

FA: Ich möchte sie wirklich gern fragen, warum mein Vater und alle anderen Verwandten ins Gefängnis geschickt wurden. Und warum meine Familienmitglieder mich nicht kontaktieren können. Ich kam auf legale Weise, mit einem von den chinesischen Behörden ausgestellten Reisepass in die Türkei. Warum also haben sie meine Familie bestraft? Was ist ihr Verbrechen? Sie alle sprechen die chinesische Sprache und haben kein Verbrechen begangen. Mein Vater ist ein guter Mann, bekannt in unserer Gesellschaft. Ich verlange die Wahrheit darüber, was mit ihnen geschehen ist.

Lesen Sie mehr über die Verfolgung von Minderheiten in der chinesischen Region Xinjiang  [10]