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Ob Gartenkultur oder Harry-Potter-Cosplay – Thailändische Studierende protestieren auf kreative Art gegen Unterdrückung

Kategorien: Ostasien, Thailand, Bildung, Bürgermedien, Jugend, Menschenrechte, Politik, Protest, Recht, Regierung, Warum protestieren Jugendliche und Studierende in Thailand?, Warum protestieren Jugendliche und Studierende in Thailand?
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Studierende zeigen den Drei-Finger-Gruß und tragen weiße Bänder an den Armen. Foto von Prachatai English, Inhaltspartner von Global Voices. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Studierende in ganz Thailand organisierten Massenproteste und forderten [2] dabei „das Ende der Schikanen der Behörden gegen Bürger*innen sowie die Erarbeitung einer neuen Verfassung und die Auflösung des Parlaments.“

Die bis jetzt größte Versammlung [3] fand am 16. August statt, als sich trotz der Beschränkungen der Regierung mehr als 20.000 Menschen vor dem Demokratiedenkmal in Bangkok versammelten.

Mehr zum Thema [4] der politischen Krise in Thailand, den Aufstieg der vom Militär unterstützten Regierung und dem Putsch von 2014 (Beitrag auf Englisch).

Die Proteste finden während des zurzeit geltenden Notstands des Landes statt. Die Regierung untersagte Massenansammlungen, vermeintlich um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Behörden drohten damit, Teilnehmende festzunehmen und sie wegen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit anzuklagen.

Als Gegenreaktion darauf entwickelten Studierende kreative Maßnahmen, um diese Beschränkungen zu umgehen. Dabei wurden Aktivitäten wie Gartenspaziergänge, das Abwaschen von Tellern, das Verkleiden als Charaktere aus Harry Potter sowie der Drei-Finger-Gruß aus Die Tribute von Panem zu Protestaktionen. Diese Veranstaltungen führten zu einer regen Beteiligung junger Protestierender und erregten die Aufmerksamkeit nationaler Medien.

Gartenkultur als Protest

Während einer von Studierenden organisierten Versammlung vor dem Demokratiedenkmal in Bangkok am 18. Juli platzierten Mitarbeiter*innen der Regierung Töpfe mit Blumen und Pflanzen rund um diesen Bereich, vermutlich, um eine Menschenansammlung bei diesem historischen Denkmal zu verhindern. Trotz dieser Barriere war die Protestaktion erfolgreich – rund 2.000 Menschen nahmen daran teil [5].

Organisator*innen des Protests kehrten am 21. Juli zum Denkmal zurück und luden zu einem öffentlichen Spaziergang ein, um die Pflanzen dort zu besichtigen. Der Gruppenanführer Siriphob Poomphungphut erzählte [6] Khaosod English (die englische Online-Ausgabe der thailändischen Tageszeitung Khaosod):

This garden is (a) waste of taxpayer money. I can’t see the beauty out of it because it obstructed those who were calling for democracy.

Mit diesem Garten wird Steuergeld verschwendet. Ich kann die Schönheit darin nicht erkennen, weil er die Menschen, die Demokratie gefordert haben, behindert hat.

Polizeibeamt*innen konfrontieren eine Gruppe von Anti-Regierungs-Aktivist*innen beim Demokratiedenkmal. Die Aktivist*innen betonen, sie seien nicht dort, um zu protestieren, sondern um den Garten rund um das Denkmal zu besichtigen.“

Schmutzige Teller

Die Aussage [2] eines Abgeordneten der Regierungspartei in den sozialen Medien, dass „jeder dem Land helfen möchte, aber niemand seine Mutter beim Abwaschen des Geschirrs unterstützen will“, hat einige Aktivist*innen dazu inspiriert, sich vor dem Regierungsgebäude zu versammeln und symbolisch „schmutzige Teller“ zu waschen [12]. Sie machten so unter anderem auf den Verteidigungsetat und die fehlenden Fördermittel für Menschen und Universitätsabsolvent*innen, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind, aufmerksam.

Der letzte schmutzige Teller, der abgewaschen wurde, zeigte das Gesicht des Premierministers Prayut Chan-o-cha, der Armeegeneral, der 2014 den Putsch anführte. Ein*e Aktivist*in sagte [13] während der Versammlung:

Every problem originates from Gen Prayut himself. If this dish cannot be washed, let’s break it.

Alle Probleme haben mit General Prayut begonnen. Wenn wir diesen Teller nicht sauber bekommen, dann müssen wir ihn zerbrechen.

Studentische Aktivist*innen waschen heute schmutzige Teller mit Bildern des Premierministers Prayut Chan-o-cha vor dem Regierungsgebäude als Reaktion auf den Rat eines regierungsfreundlichen Politikers an Aktivist*innen, „ihren Müttern lieber beim Abwaschen von Geschirr zu helfen“.

Harry Potter und die Militärjunta

Am 04. August versammelten [17] sich rund 100 Studierende in verschiedensten von Harry Potter inspirierten Kostümen vor dem Demokratiedenkmal. Die Teilnehmenden griffen auf Charaktere der beliebten Romanreihe zurück, um die fehlende Demokratie in der vom Militär gestützten Regierung zu verurteilen und das Bedürfnis nach Gesetzesreformen in Bezug zur Monarchie auszudrücken.

Eine*r der Teilnehmer*innen nahm Bezug auf das Majestätsbeleidigungsgesetz, welches schon öfter als Grundlage für die Verhaftung von Kritiker*innen der Königsfamilie diente.

We are sick of this. This has been going on for generations. Why can’t I talk about something in my own country? About something that’s so prevalent for every Thai around here?

Wir haben genug davon. All das geht schon seit Generationen so dahin. Warum kann ich nicht über das, was in meinem eigenen Land passiert, reden? Über etwas, das für jede*n Thailänder*in hier so präsent ist?

Bei dem Aktivisten, der im obenstehenden Tweet als Harry Potter dargestellt ist, handelt es sich um Anon Nampa. Er wurde aufgrund seiner Rolle in der Protestbewegung von der Polizei festgenommen. Der Pilot des Kampfflugzeugs stellt den Premierminister dar.

Drei-Finger-Gruß

Thailändische Aktivist*innen übernahmen [32] im Jahr 2014 den Drei-Finger-Gruß, der in den Filmen Die Tribute von Panem verwendet wird, als Symbol des Widerstandes gegen die Junta.

Auch dieses Jahr verwenden Studierende dieses Handzeichen zur Verstärkung ihrer Forderung nach demokratischen Reformen.

Einige zeigten diese Geste, während in ihrer Bildungseinrichtung die Nationalhymne gespielt wurde. Zudem tragen sie als Protest gegen die gewaltsamen Verschleppungen einiger Aktivist*innen weiße Bänder an den Armen.

Am 20. August marschierten rund 500 Studierende zum Ministry of Education (in etwa: Bildungs-/Unterrichtsministerium), um gegen das Verbot [33] der politischen Meinungsäußerung in einigen Bildungseinrichtungen, vor allem gegen das Verbot des Drei-Finger-Grußes während Campusveranstaltungen, zu protestieren. Die Studierenden verteidigten [1] ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bezüglich der Vorgänge im Land.

Anführer*innen der Proteste verhaftet

Einige Protestanführer*innen wurden am Tag nach dem Massenprotest vom 16. August in Bangkok verhaftet [34]. Ihnen wird Aufhetzung, illegale Versammlung und Verstoß gegen das Notstandsdekret in Zusammenhang mit den Kundgebungen des letzten Monats vorgeworfen.

Die Zeitung Bangkok Post veröffentlichte [35] einen Leitartikel, in dem die Verhaftung verurteilt wird:

By all means, the July 18 rally was a peaceful demonstration. Arresting these people for their pro-democracy activities raises the question of whether the crackdown was against the principles of free speech endorsed by the kingdom's constitution.

More importantly, police who are handling their cases must tread carefully. Since it's apparent those arrested have no intention of escaping the law, any harsh action will cause unnecessary anguish.

Die Kundgebung vom 18. Juli war eine friedliche Demonstration. Die Verhaftung dieser Menschen, die für die Demokratie eingetreten sind, lässt die Frage aufkommen, ob dieses harte Durchgreifen gegen die Prinzipien der freien Meinungsäußerung verstoßen hat, die in der Verfassung festgeschrieben sind.

Und noch viel wichtiger: Polizist*innen, die diese Fälle bearbeiten, müssen vorsichtig vorgehen. Es ist offensichtlich, dass jene, die verhaftet wurden, nicht vor dem Gesetz flüchten möchten. Daher wird jegliche harte Maßnahme gegen sie unnötige Angst hervorrufen.

In einem weiteren Leitartikel der Bangkok Post wird zu Toleranz für studentische Aktivist*innen aufgerufen [36]:

The youth-led anti-government rallies are certainly testing the limits of society on many levels. Coupled with the Covid-19 crisis and economic challenges, the situation calls for inclusiveness and tolerance as we learn how to move forward together despite differing views.

Students expressing their political standpoint in schools may be an unprecedented phenomenon, but it's nothing to be feared.

Mit den von der Jugend angeführten Anti-Regierungs-Protesten werden vielfach die Grenzen der Gesellschaft ausgetestet. In Hinblick auf die Covid-19-Krise und wirtschaftlichen Herausforderungen braucht es jetzt Inklusivität und Toleranz, während wir herausfinden, wie wir trotz unterschiedlicher Ansichten gemeinsam den zukünftigen Weg beschreiten.

Studierende, die ihre politischen Ansichten in Bildungseinrichtungen zum Ausdruck bringen, mögen ein noch nie dagewesenes Phänomen sein, aber es ist nichts, wovor wir Angst haben müssen.