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Hongkonger Polizei versucht politische Dissens zu unterdrücken

Kategorien: Ostasien, China, Hong Kong (China), Bürgermedien, Geschichte, Medien & Journalismus, Meinungsfreiheit, Politik, Protest, Recht
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Am 21. Juli 2019 stürmte eine Volksmenge die U-Bahn-Station Yuen Long. Bildschirmaufnahme aus einem viralen Video von Twitter [2]

Der Hongkonger Abgeordnete Lam Cheuk-ting wurde am 26. August zusammen mit 12 anderen Personen aufgrund eines Protest-Vorfalls verhaftet [3], der sich am 21. Juli 2019 in einer Vorstadt-U-Bahnstation der Stadt ereignete.

Der leitende Polizeikommissar Chan Tin-chu sagte [4] den Reporter*innen bei einer Pressekonferenz am 26. August, der Vorfall werde als eine „Konfrontation zwischen ebenbürtigen Rivalen“ weißer und schwarzer Demonstrierender angesehen. Diese Interpretation widerspricht einer weithin geteilten Ansicht, dass es sich bei dem Vorfall in Wirklichkeit um einen Angriff einer Gruppe von weiß gekleideten Menschen, die sich den offiziellen Ansichten der Regierung anschließt, auf U-Bahn-Passagiere und Personen handelte, die überwiegend schwarz trugen, eine Farbe, die mit regierungsfeindlichen Protesten assoziiert wird.

Der Vorfall von Yuen-Long  [5]vom Juli 2019 ist eines der bedeutendsten Ereignisse, welches das Gebiet im Rahmen der 2019 stattgefunden Proteste gegen das chinesische Auslieferungsgesetz [6] erschütterte. Die Abwesenheit der Polizei während der Angriffe untergrub die Glaubwürdigkeit der Polizeibehörden und radikalisierte schließlich die Demonstrierenden, die zu der Überzeugung gelangten, dass die Polizei mit dem weiß gekleideten Mob konspiriert habe.

Obgleich zahlreiche Videos und Live-Stream-Berichte vom Angriffsort zeigen, dass über hundert weiß gekleidete und bewaffnete Personen wahllos sowohl U-Bahn-Passagiere als auch Demonstrierende angriffen, die von einem massiven Protest auf Hongkong Island zurückkehrten, ist der leitende Kommissar der Ansicht, diese Berichte seien einseitig und irreführend.

Die Rolle der Hongkonger Polizei bei dem Mob-Angriff

Eine vom öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Radio Television Hong Kong (RTHK) rekonstruierte Zeitleiste zeigte jedoch, dass die Polizei in Yuen Long den geplanten Angriff einfach ignoriert hatte:

Der Bericht von RTHK beruft sich auf Filmmaterial von Überwachungskameras sowie Zeugenberichte eines Bezirksratsmitglieds von Yuen Long und verschiedener Opfer des Angriffs und weist darauf hin, dass die Polizei vor dem 21. Juli bereits über den Angriffsplan informiert wurde. Obwohl sich bereits um 18.00 Uhr über hundert weiß gekleidete Männer vor der U-Bahn-Station Yuen Long versammelt und gegen 21.45 Uhr einen Restaurantkoch angegriffen hatten, hatte die Polizei in Yuen Long nichts unternommen, um den Mob aufzulösen.

Erst gegen 23.20 Uhr trafen 40 Bereitschaftspolizist*innen auf der U-Bahnstation ein, doch bis dahin war der weiße Mob bereits wieder abgezogen. Um 00:27 Uhr, als die Polizei die Station verließ, stürmte der weiße Mob erneut in die Station und verprügelte wahllos Zivilist*innen mit Metallstangen. Die weiß gekleideten Männer zogen sich später in ein nahe gelegenes Dorf zurück, aber auch hier unternahm die Polizei nichts, um jemanden zu verhaften.

Chan beharrte jedoch darauf, die Polizei sei innerhalb von 18 Minuten nach Eingang der Notrufe unverzüglich tätig geworden. Seine Behauptung steht im Widerspruch zu früheren Polizeiberichten, aus denen eindeutig hervorgeht, dass es 39 Minuten dauerte, bis die Polizeieinheit auf die Anrufe reagierte.

Chan wies auch den Vorwurf über eine Absprache zwischen den Triaden und der Polizei bei dem Angriff zurück:

Die Polizei von #HK sagt jetzt, dass in Yuen Long in den frühen Morgenstunden nach dem Mob-Angriff vom 21. Juli ein Polizist einen Mann mit weißem Hemd „gestoßen“ habe, anstatt ihm „auf die Schulter zu klopfen“. Nun, das Bild soll für sich selbst sprechen. (Hintergrundstimme des damaligen stellvertretenden Distriktkommandanten Yau Nai-keung)

Aus Opfern werden Randalierer

Die polizeiliche Version der ganzen Geschichte leugnet die Verantwortung der Behörden für den Angriffsvorfall und wird nun als Waffe zur Verfolgung politischer Meinungsverschiedenheiten eingesetzt, wie Ray Chan, ein weiterer pro-demokratischer Abgeordneter, hervorhob:

Die @hkpoliceforce [10] ist jetzt unverhohlen zum Wahrheitsministerium geworden, indem sie Lügen verbreitet, um die politischen Ziele zu erreichen. Pendler*innen und Abgeordnete, die an der #YuenLongDarkNight [11] [etwa: dunklen Nacht von Yuen long] beteiligt waren, werden verleumdet, um ihren berühmt-berüchtigten Ruf, die #YuenLong [12]-Mafia und den Stangen schwingenden Mobs zu schützen

Marie Hui [von Ray Chan zitierter Tweet]: Die Polizei von Hongkong stützt sich heute wirklich auf den „unabhängigen“ Bericht des Überwachungsbeauftragten, der den Angriff am 21.07. als „Bandenkampf, an dem… beide Seiten beteiligt sind“, darstellt. Kritische Stimmen hatten den Bericht als Schönfärberei abgetan, aber jetzt wird er von der Polizei als Waffe eingesetzt, um die Unwahrheiten zu untermauern https://ipcc.gov.hk/doc/en/report/thematic_report/Incident%20Day%20%E2%80%93%20Sunday%2021%20July%202019%20Yuen%20Long.pdf

[Abbildung in Marie Huis Tweet]: 10.68 Die öffentliche Wahrnehmung war im Zusammenhang mit den Vorfällen vom 21. Juli in die Irre geführt worden, u. a. dadurch, daß die Vorfälle innerhalb der Yuen Long Station als ein einseitiger wahlloser Terroranschlag dargestellt wurden, obwohl sie eigentlich als Bandenkampf mit einer beträchtlichen Anzahl von Teilnehmern beider Seiten begonnen hatten. Es gab auch Vorwürfe über eine Absprache zwischen Polizei und Triade im Zusammenhang mit der Trennung von Personen innerhalb und außerhalb von Nam Pin Wai durch Beamt*innen des NTN der RRC und der anschließenden Nicht-Festnahme an Ort und Stelle durch Kriminalbeamte.

Der Offizielle der Polizei Chan beschuldigte Lam Cheuk Ting bei der Pressekonferenz auch, den Konflikt angestiftet zu haben. Er erklärte jedoch nicht, wie dies geschah.

Laut Lams Videoaufzeichnung vom 21. Juli, als er gegen 22.45 Uhr an der U-Bahn-Station Yuen Long ankam, war eine Frau innerhalb der Station bereits von weiß gekleideten Männern verletzt worden. Er lief dann auf die Eingänge zu den Bahnsteigen zu und warnte den Mob, dass die Polizei bald eintreffen würde. Danach sprang der weiße Mob über die Absperrungen und stürmte in die Bahnsteigbereiche.

Eine andere Zeugin hatte diesen Moment festgehalten: Gwyneth Ho, Journalistin von Stand News, filmte und sendete live, als die weiß gekleideten Männer in die U-Bahn-Eingänge stürmten. Dann wurde sie von einem Mann in rosa Kleidung geschlagen. Anstatt den Angreifer zu verurteilen, stellte die Polizei die Anwesenheit von Ho infrage [16], beschuldigte sie, mit ihrer „einseitigen“ Live-Übertragung die Konflikte eskalieren zu lassen, und deutete an, dass „eine Liveübertragung keine Ausnahme von Straftaten darstellt“:

Die Behörden von #HongKong [17] sagten, die Live-Übertragungen der #721YuenLongAttacks [18] seien voreingenommen und verzerrt.

Sehen Sie sich die Aufnahmen von @StandNewsHK [19] Reporterin @KwaiLamHo [20], die geschlagen und verletzt wurde, selbst an.

Die Polizei sagte auch, es hat keine wahllosen Angriffe gegeben und beide Seiten seien gleich stark vertreten gewesen. Schimpfwarnung https://t.co/xAYr6VzQwb [21] pic.twitter.com/pl3K9Rz11L [22]

— Frances Sit (@frances_sit) 26. August 2020 [23]

[von Frances Sit zitierter Tweet]:

Xinqi Su 蘇昕琪
@XinqiSu
In diesem #Thread werden 7 Fragen erörtert, die sich aus dem Pressebriefing ergeben, das SSP Chan Tin-chun soeben zur Verhaftung von 13 Personen im Zusammenhang mit den „Unruhen“ in Yuen Long am 21. Juli letzten Jahres gegeben hat.

1. Es handelt sich um eine „Konfrontation“ zwischen „ebenbürtigen Rivalen“ und…

Gegen 23.10 Uhr, zehn Minuten bevor die Polizei an der Station Yuen Long eintraf, wurde Lam Cheuk Ting selbst geschlagen und verletzt, als der Mob auf die U-Bahn-Plattformen stürmte. Obwohl er ein Opfer des Angriffs ist, wird er nun von der Polizei als Randalierer dargestellt. Lo Kin-hei, stellvertretender Vorsitzende der Demokratischen Partei, wies auf die Absurdität der Verhaftung Lam Tings hin:

Hier ist @cheuktinglam [24] am 21.07.

Er rief die Polizei an, bevor er nach Yuen Long fuhr.
Die Polizei kam nicht.
Er nahm Livestream-Aufnamen in der Yuen Long Station auf & wurde angegriffen.
Die Polizei kam nicht.
Er meldete sich danach bei der Polizei.
Die Polizei wies ihn ab.

Jetzt verhaftet ihn die Polizei wegen Teilnahme an einem Aufstand. pic.twitter.com/S7APQ0rnJ7 [25]
– LO Kin-hei 羅健熙 (@lokinhei) 26. August 2020

Der pro-demokratische Sektor hatte eine gemeinsame Pressekonferenz veranstaltet, auf der die Polizei dafür verurteilt wurde, die Vorfälle des Mob-Angriffs umgekehrt zu haben.

Wu Chi-wai, Vorsitzender der @HKDemocrats [27], beschuldigt die Polizei, die Geschichte des Angriffs von 21.07. Yuen Long „umzuschreiben“.

Er sagte, dieser Vorfall zeige, dass die Regierung und die Polizei von Hongkong „hilflos“ seien. Er fordert die Menschen in Hongkong auf, als Zeichen des Protests morgen schwarze Kleidung zu tragen. pic.twitter.com/VKgbiEeSXN [28]

- Eric Cheung (@EricCheungwc) 26. August 2020 [29]

In einem Staat, in dem die Behörden so sehr darauf bedacht sind, die „Wahrheit“ zu kontrollieren, wird das Gedächtnis der Menschen der wichtigste Ort sein, um Gerechtigkeit zu suchen, wie die Menschenrechtsanwältin Sharon Hom betonte:

Gerechtigkeit (#Justice [30]) wird in #HK  [7]nicht für immer ausgelöscht werden. Unsere Verantwortung ist es, uns zu erinnern, Beweise zu sichern und als Zeugen auszusagen.@KwaiLamHo [20] @lokinhei [31] @hrichina [32] @samuelmchu [33] @annakcheung [34] @antd [35] @benedictrogers [36] https://t.co/97uAmTXq9T [37]

- Sharon Hom (@sharonhom888) 27. August 2020 [38]