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Technologieriesen stoppen Datenanfragen, während das nationale Sicherheitsgesetz Hongkongs lange Schatten wirft

Kategorien: Ostasien, China, Hong Kong (China), Bürgermedien, Censorship, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Politik, Technologie, Wirtschaft & Handel, GV Advocacy
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Warnung der Hongkonger Polizei unter Berufung auf das nationale Sicherheitsgesetz und seine Auswirkungen auf die Internetfreiheit. Frei verfügbares Bild von pxhere.

Immer mehr Tech-Giganten verkünden, dass sie die Benutzeranfragen von Hongkongs Regierung infolge des kürzlich verabschiedeten und von China ausgearbeiteten Gesetzes zum Schutz der nationalen Sicherheit (kurz NSL, National Security Law) ablehnen werden.

Das erste Technologieunternehmen, das seine Position bekannt gab, war Telegram [2]. Die mobile Messenger-App wird seit Juni 2019 von den Demonstrierenden in Hongkong intensiv genutzt, um Protestaktionen zu diskutieren und Aktionen zu koordinieren.

Nachdem das Hongkong Committee for Safeguarding National Security (CSNS; auf Deutsch etwa: Komitee zum Schutz nationaler Sicherheit) – ein im Rahmen des NSL geschaffenes Gremium – am 06. Juli Einzelheiten [3] zur Umsetzung des NSL veröffentlicht hatte, folgten weitere Internet-Unternehmen Telegrams Vorbild, darunter WhatsApp, Facebook, Google, Twitter, LinkedIn, Microsoft und Zoom.

Das Videoportal TikTok kündigte unterdessen seine Pläne an, sich aus dem Hongkonger Markt zurückzuziehen, ohne sich dabei auf das NSL zu beziehen.

Uneingeschränkte Macht der nationalen Sicherheitspolizei

Nach Artikel 43 des NSL sind die nationalen Sicherheitspolizeibehörden befugt, Privatbesitz ohne Durchsuchungsbefehl zu durchsuchen, die Bewegungen Verdächtiger einzuschränken, Vermögenswerte einzufrieren, Kommunikation abzufangen und Internetdienstanbieter und Plattformbetreiber anzuweisen, Inhalte zu entfernen, den Zugang zu ihnen zu sperren oder Benutzerdienste auszusetzen.

Wenn Internetanbieter und Plattformbetreiber sich nicht daran halten, kann sich die nationale Sicherheitspolizei die richterliche Befugnis einholen, das entsprechende elektronische Gerät zu beschlagnahmen und Maßnahmen zur Entfernung von Inhalten zu ergreifen. Im Zuge dessen kann sie Anbieter sowie Betreiber außerdem dazu auffordern, ihre Daten zur Identifizierung von Nutzerinnen und Nutzern bereitzustellen oder an deren Entschlüsselung mitzuwirken.

Die Macht der nationalen Sicherheitspolizei, lokale Internetanbieter dazu zu zwingen, den Zugang zu Online-Inhalten zu blockieren und Benutzerdienste ohne Gerichtsverfahren auszusetzen, könnte als rechtliche Grundlage für eine Hongkonger Version von Chinas Großer Firewall [4] angesehen werden, die Nutzerinnen und Nutzern den Zugang zu „illegalen“ Inhalten verwehrt.

Vor dem Treffen des CSNS kündigte Telegram am 05. Juli an [2], dass es keine Datenanfragen bezüglich seiner Hongkonger Nutzerinnen und Nutzer bearbeiten werde, „bis ein internationaler Konsens in Bezug auf die laufenden politischen Veränderungen in der Stadt erreicht ist“.

Reden kriminalisieren

Obwohl Telegram bisher noch nie Datenanfragen der Regierung Hongkongs bearbeitet hat, heißt es in seinen englischen Datenschutzbestimmungen [5] (Abschnitt 8.3.), dass das Unternehmen mit Behörden kooperiere, wenn der Verdacht auf Terrorismus gerichtlich bestätigt werde.

Die schwammige Definition von Terrorismus im NSL hat Telegram jedoch dazu gezwungen, Hongkong von dieser Vereinbarung auszunehmen.

Die Erklärung der Hongkonger Regierung [6] in diesem Monat, dass der Slogan „Liberate Hong Kong, Revolution of our times“ (etwas „Befreit Hongkong, Revolution unserer Zeit“) für die Unabhängigkeit Hongkongs und subversive Reden steht, ist der jüngste in einer langen Reihe von Beweisen dafür, dass die NSL willkürlich angewandt wird, um gegen die Meinungsfreiheit vorzugehen.

Noch alarmierender ist, dass in dieser Woche acht Personen verhaftet wurden [7], nur weil sie leere Blätter Papier zur Schau gestellt hatten – ein stiller Protest, der nach Aussage der Polizei möglicherweise gegen das NSL verstößt:

Now, HK police will arrest HKers for subversion, simply holding blank papers in a mall to protest (Stand News photos)

The warning in english on the purple flag (RTHK photo)

The regime will arrest HKers and makeup the reason for prosecute, NSL is the tool for that pic.twitter.com/hop9gfeyxt [8]

— Patrick (@PatrickinHK) July 7, 2020 [9]

Jetzt wird die Polizei von Hongkong die Hongkongerinnen und Hongkonger wegen Subversion festnehmen, indem sie einfach leere Blätter Papier in einem Einkaufszentrum in der Hand halten, um zu protestieren (Stand News Fotos)

Die Warnung in Englisch auf der violetten Flagge (RTHK-Foto)

Das Regime wird HKer*innen verhaften und den Grund für die Strafverfolgung erfinden, das NSL ist das Werkzeug dafür

Die Nicht-Einhaltungsaktionen der Technik-Giganten

Obgleich sie ihre Erklärungen erst später veröffentlichten, teilten sowohl Google als auch Twitter Journalistinnen und Journalisten mit [10], sie haben bereits am 01. Juli, als das NSL offiziell in Hongkong in Kraft trat, die Bearbeitung von Nutzerdatenanfragen eingestellt.

Facebook wartete damit bis zum 06. Juli.

Google, Twitter und Facebook sind in China seit vielen Jahren verboten [11]. Sowohl Facebook als auch Google haben Büros in Hongkong. Die Mobilnachrichten-App WhatsApp von Facebook ist das beliebteste Kommunikationstool der Stadt.

LinkedIn von Microsoft sagte am 7. Juli [12], die Plattform habe während der Überprüfung des NSL die Bearbeitung von Anfragen aus Hongkong unterbrochen.

LinkedIn hat für seine chinesische Version ein Joint Venture auf dem chinesischen Festland gegründet, die den chinesischen Zensurbestimmungen unterliegt [13]. Die Nutzerinnen und Nutzer des Dienstes in Hongkong sind derzeit nicht denselben Beschränkungen unterworfen.

Die Videokonferenz-App Zoom gab an [12], man habe die Bearbeitung von Datenanfragen der Regierung von Hongkong eingestellt.

Aber erst vor einem Monat suspendierte [14] sie die Konten einer Gruppe von in den USA ansässigen chinesischen Menschenrechtsaktivist*innen, nachdem sie eine Online-Konferenz zum Gedenken an die Niederschlagung des Vorgehens auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tian'anmen) abgehalten hatten.

Das Konto des in Hongkong ansässigen Aktivisten Lee Cheuk-yan auf Zoom wurde ebenfalls suspendiert [15], angeblich auf Druck der Behörden auf dem chinesischen Festland.

Alle Tech-Giganten, die die Antworten auf Datenanfragen aus Hongkong zurückhalten, haben ihr Engagement für den Schutz der Rechte der Nutzerinnen und Nutzer auf Meinungsfreiheit und Privatsphäre betont.

Bemerkenswert abwesend ist Apple, der bei der Zensur auf dem chinesischen Festland sehr kooperativ war [16]. Der Technikkonzern erläuterte, dass er die Auswirkungen von NSL auf sein Geschäft „abschätzen“ würde, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

Noch merkwürdiger war die plötzliche Ankündigung von TikTok, dass sich das Unternehmen vom Hongkonger Markt zurückziehen [17] würde.

Es gibt zwei Versionen von TikTok, die sich im Besitz der chinesischen Firma Bytedance befinden. Die chinesische Version ist Douyu, die im Rahmen der chinesischen Zensur funktioniert. Die andere, globale Version von TikTok behauptet, sie würde die Daten nicht an die chinesische Regierung weitergeben.

Dennoch wurde TikTok im Dezember 2019 im Rahmen eines Gerichtsverfahrens [18] in den USA beschuldigt, US-Benutzerdaten an das chinesische Festland gesendet zu haben. Die Angestellten von TikTok gaben außerdem bekannt [19], sie seien von ihren Vorgesetzten in Festlandchina unter Druck gesetzt worden, Inhalte auf der globalen Plattform zu zensieren.

TikToks Markt in Hongkong ist sehr klein – nur 150.000 App-Benutzerinnen und -Benutzer.

Worst-Case-Szenario: Große Firewall von Hongkong

Die Regierung von Hongkong hat bisher nicht direkt auf die kollektive Aktion der Technikkonzerne reagiert. Aber Berichte über die Pläne der Regierung, die Kontrolle über das Internet zu verstärken [20], kursieren seit August 2019, als die Proteste gegen das chinesische Auslieferungsgesetz in vollem Gange waren.

Unbestätigte Behauptungen, die in der lokalen Online-Gemeinschaft kursieren, lassen vermuten, dass Telegram und die Reddit-ähnliche Plattform LIGHK zwei wahrscheinliche Ziele für ein hartes Durchgreifen sind. Damals verfügte die Regierung jedoch über keine rechtlichen Mittel, um gegen Online-Inhalte vorzugehen, es sei denn, sie hätte eine einstweilige gerichtliche Verfügung erwirkt.

Mit der Inkraftsetzung des NSL könnte das schlimmste Szenario [21] für die Nichteinhaltung der Vorschriften durch die Technikkonzerne ein kompletter Block ihrer Plattformen sein. Dies würde dazu führen, dass die Hongkonger Bevölkerung nicht mehr in der Lage wäre, auf unkooperative Webseiten ohne Umgehungswerkzeuge zuzugreifen.

Bisher haben sich die Hongkonger Bürgerinnen und Bürger auf das Schlimmste vorbereitet – am 30. Juni stieg die Suche nach VPNs in Hongkong im Vergleich zur durchschnittlichen täglichen Suchrate an anderen Tagen im Monat um 321 Prozent [22].