Eine Stadt in Fesseln: Wie Pekings Sicherheitsgesetz Hongkong in einem kurzen Monat verwandelte

Die Hongkonger Polizei warnt mit einem lilafarbenen Transparent vor Verstößen gegen das Gesetz zur nationalen Sicherheit. Foto von Stand News. Verwendung mit freundlicher Erlaubnis.

Der Originalbeitrag wurde von Jennifer Creery verfasst und am 01. August in der Hongkong Free Press veröffentlicht. Die folgende redaktionell bearbeitete Fassung wird über ein Content-Partnerschaftsabkommen mit Global Voices veröffentlicht.

Einst ein vages Gespenst, wurde die nationale Sicherheitsgesetzgebung im vergangenen Monat in Hongkong zur Realität, als Peking in weniger als sechs Wochen ein Gesetz verabschiedete, das den Behörden weitreichende Befugnisse einräumte, um gegen abweichende Meinungen vorzugehen.

Das Gesetz, das hinter verschlossenen Türen ohne Mitwirkung der lokalen Legislative entworfen wurde, zielt angeblich auf Handlungen in der Stadt ab, die als Bedrohung für die Staatssicherheit angesehen werden, darunter Terrorismus und Absprachen mit ausländischen Streitkräften, nach monatelangen, manchmal gewaltsamen Demokratieprotesten.

Mit seinen weit gefassten Bestimmungen, die auch im Ausland begangene Taten und Anklagen umfassen, welche mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden können, ließ das Gesetz Schauer über die Rücken der Aktivisten*innen laufen, die jetzt befürchten, dass es die geschätzten bürgerlichen Freiheiten des Territoriums demontieren wird.

Das pekingfreundliche Lager begrüßte den Schritt als Vorbote der Rückkehr zu sozialer „Stabilität“, aber Aktivisten*innen und Nichtregierungsorganisationen warnten davor, dass es das Ende von „Ein Land – zwei Systeme“ bedeutet.

Innerhalb von vierzehn Tagen haben die örtlichen Behörden bestimmte, bei den Demonstrationen benutzte Phrasen verboten und Aktivist*inen wegen angeblicher Anstiftung zur Sezession verhaftet. Kritische Stimmen warnten vor einem „Abschreckungseffekt“, da ausländische Regierungen wie Australien und Neuseeland ihre Auslieferungsverträge mit Hongkong ausgesetzt haben. Der ehemalige Abgeordnete Nathan Law floh nach Großbritannien, und Downing Street schuf ein „Rettungsbot“-Einbürgerungsprogramm für Inhaber*innen von Pässen britischer Staatsbürger*innen aus Übersee, die aus Hongkong auswandern wollen.

Während rund 7 Millionen Einwohner*innen zu einer radikalen Veränderung der politischen Ordnung in der Stadt aufwachen, fasst die Hong Kong Foreign Press (HKFP) einige der wichtigsten Entwicklungen in Hongkong im Zuge der Einführung der neuen Gesetzgebung zusammen.

Erste Verhaftungen aufgrund des Sicherheitsgesetzes

Trotz des neu in Kraft getretenen Gesetzes und der Coronavirus-Beschränkungen für Versammlungen gingen am 01. Juli Tausende auf der Insel Hongkong auf die Straße. Aufgrund der neuen Gesetze nahm die Polizei erstmals mehrere Personen fest, darunter auch diejenigen, die Zeichen der Unabhängigkeit Hongkongs trugen. Am selben Tag führte die Polizei eine neue violette Flagge ein, die die Menschen warnte, dass sie möglicherweise gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen.

Protestparolen kriminalisiert

In den Einkaufszentren der Stadt ertönten Sprechchöre „Liberate Hong Kong, the revolution of our times“ (Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit), die die Proteste des vergangenen Jahres prägten.

Zwei Tage nach der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes erklärte die Regierung, dass gerade diese populäre Protestparole Separatismus impliziert. Jede und jeder, der ihn äußert oder zur Schau stellt, könnte verhaftet werden, warnte sie.

Rechtsexpert*innen haben in Frage gestellt, ob das Verbot verbindlichen Charakter habe. Die Polizei warnte jedoch schnell die pro-demokratische politische Gruppe Tin Shui Wai Connection an einem Stand am Straßenrand und verhaftete einen Demonstranten, weil er am 27. Juli in Yuen Long ein Plakat mit dem verbotenen Slogan gezeigt hatte.

Die Demonstrierenden reagierten darauf mit kreativen Umgehungslösungen, wie z. B. Beinahe-Homonyme, eine geometrische Schrift der acht Zeichen oder die Verwendung der Initialen des romanisierten Slogans. Einige brachten ihren Widerstand zum Ausdruck, indem sie leere Schilder hochhielten, während andere leere Post-It-Zettel an die Wände klebten, um Lennon Walls nachzuahmen – öffentliche Schautafeln, die einst mit Botschaften zur Unterstützung für die Protestbewegung gefüllt waren.

Demokratie-Bücher verbannt

Wenige Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes verschwanden mindestens neun demokratische Titel aus den Regalen der öffentlichen Bibliotheken, was Befürchtungen über eine Zensur auslöste.

Zu den Büchern, die für eine „Überprüfung“ entfernt wurden, gehörten „Meine Reisen für Nahrung und Gerechtigkeit“ der amtierenden Demokratin Tanya Chan, „Unfreie Rede“ des Aktivisten Joshua Wong als Mitautor sowie „Über den Stadtstaat Hongkong und die Überlebenden des Staates Hongkong“ von Horace Chin, das unter dem Pseudonym Chin-Wan veröffentlicht wurde.

Protestlied in Schulen verboten

Der Bildungsminister von Hongkong, Kevin Yeung, erklärte am 07. Juli, dass niemand in den Schulen „irgendwelche Aktivitäten durchführen sollte, um seine politische Haltung zum Ausdruck zu bringen“, und die Lehrenden dürfen den Schüler*innen nicht gestatten, auf dem Campus das beliebte Protestlied Glory to Hong Kong (Ehre für Hongkong) zu spielen, zu singen oder zu versenden.

Durchsuchung des Meinungsforschungsinstituts

In der Nacht vom 10. Juli gingen Polizeikräfte mit einem Durchsuchungsbefehl in die Büros des Hong Kong Public Opinion Institute (Hongkonger Forschungsinstitut für Öffentliche Meinung; kurz: HKPORI), um dort die Computer zu beschlagnahmen.

Die Razzia wegen eines mutmaßlichen Datenlecks fiel mit der Beteiligung der Meinungsforschenden an den von ihnen initiierten Vorwahlen zur Auswahl der demokratischen Kandidierenden für die Parlamentswahlen im September zusammen, die wie geplant am folgenden Wochenende stattfanden. Die Beamt*innen verließen die Wahllokale, ohne irgendwelche elektronische Geräte zu entfernen.

Taiwans Gesandter reist ab

Der oberste amtierende Vertreter Taiwans in Hongkong, Kao Ming-tsun, verließ die Stadt am 16. Juli, nachdem er sich weigerte, eine eidesstattliche Erklärung zur Unterstützung von „Ein China“ für seinen Antrag auf Visaverlängerung zu unterschreiben.

„Ein China“ ist ein diplomatisches Prinzip, das nur eine chinesische Regierung und Taiwan als Teil Chinas anerkennt. Taiwan wird seit 1945 von der Regierung der Republik China regiert und betrachtet sich selbst als ein unabhängiger Staat.

Kao war der amtierende oberste Vertreter, nachdem der Visumsantrag des designierten Beamten Lu Chang-shui seit 2018 unentschieden geblieben war. Seit der Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes haben taiwanesische Beamt*innen die Regierung in Hongkong beschuldigt, bei der Bearbeitung von Visaverlängerungen und -anträgen „zusätzliche politische Bedingungen“ zu stellen.

Medienbüro versetzt Personal

Am 14. Juli gab die New York Times plötzlich bekannt, dass sie ihr digitales Nachrichtenteam von Hongkong – das etwa ein Drittel ihres Personals ausmacht – nach Seoul in Südkorea verlegen würde. Sie zitierte Befürchtungen hinsichtlich der Pressefreiheit, die sich aus der neuen Gesetzgebung ergeben, und ungewöhnliche Schwierigkeiten beim Erlangen von Arbeitserlaubnissen, die früher „selten ein Thema“ waren.

Die Zeitung gab an, sie werde einige ihrer Korrespondent*innen in der Stadt behalten, um die sich wandelnde politische Landschaft zu beobachten.

Studierende verhaftet

Am 29. Juli verhaftete die Polizei bei der ersten größeren Razzia nach einer sicherheitsrechtlichen Untersuchung vier ehemalige Mitglieder der Pro-Unabhängigkeitsgruppe Studentlocalism, darunter den Ex-Konvenor Tony Chung, den Ex-Sprecher Ho Nok-hang sowie die Ex-Mitglieder Yanni Ho und Chan Wai-jin wegen des Verdachts der Anstiftung zur Sezession.

In einem anschließenden Gespräch mit Reporter*innen wies der Senior Superintendent der Polizei, Steve Li, auf die nach der Verabschiedung des Gesetzes veröffentlichten Social-Media-Mitteilungen hin, die angeblich die „Vereinigung aller Pro-Unabhängigkeitskräfte“ zur Gründung einer „Hongkonger Republik“ befürworteten.

Studentlocalism meldete einen Tag vor der Verkündung des Sicherheitsgesetzes durch die Regierung, dass sie alle lokalen Operationen ins Ausland verlagern werde. Kritiker*innen schlugen nach den Verhaftungen wegen einer möglichen rückwirkenden Anwendung des Gesetzes Alarm.

Demokrat*innen ausgeschlossen

Weniger als 24 Stunden nach der Verhaftung der Studierenden annullierte die Wahlleitung die Nominierungen von sage und schreibe 12 demokratischen Kandidierenden, die bei den Parlamentswahlen im September antreten wollten.

Auf der Liste standen der prominente Aktivist Joshua Wong, der der Regierung seit Langem ein Dorn im Auge ist, sowie die Abgeordneten Kwok Ka-ki, Dennis Kwok und Kenneth Leung, die zuvor als gemäßigt galten. Weiterhin gehörten dazu die Bezirksrätinnen bzw. -räte Tiffany Yuen, Lester Shum und Fergus Leung sowie der Newcomer Gwyneth Ho, eine ehemalige Journalistin.

Einer der angeführten Ausschlussgründe war ihre Ablehnung des Sicherheitsgesetzes, was „im Prinzip“ bedeute, dass der Kandidat oder die Kandidatin nicht ernsthaft die Absicht habe, das Grundgesetz aufrechtzuerhalten.

In einer ominösen Erklärung sagte die Regierung, sie schließe die Möglichkeit nicht aus, in Zukunft weitere Kandidierende zu disqualifizieren. Joshua Wong warnte am Freitag davor, dass die Behörden versuchten, das Parlament von Oppositionellen zu bereinigen, um eine Mehrheit des Pro-Establishmentlagers zu erhalten.

Exil-Aktivist*innen gesucht‘.

Berichten zufolge ordnete die Polizei von Hongkong am 31. Juli die Festnahme von sechs pro-demokratischen Aktivisten an: Nathan Law, Simon Cheng, Ray Wong, Wayne Chan, Honcques Laus und Samuel Chu, ein US-Bürger, wegen des Verdachts der Verletzung des nationalen Sicherheitsgesetzes.

Das umstrittene Gesetz enthält Passagen, die es weltweit anwendbar machen und Bürger*innen Hongkongs in Übersee der Gefahr einer Verhaftung aussetzen, sollten sie nach Hongkong oder in die chinesische Gerichtsbarkeit zurückkehren.

Wahlen verschoben

Ebenfalls am 31. Juli kündigte die Regierungschefin Carrie Lam an, Hongkong werde die Parlamentswahlen im September um ein Jahr verschieben, da es ein Wiederaufleben von nicht nachweisbaren Fällen der Coronaviren gebe.

Demokrat*innen in Hongkong behaupten jedoch, die Regierung konspiriere mit den Pro-Establishment Abgeordneten, um die Wahlen zu verzögern, wobei COVID-19 als Vorwand benutzt wird.

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