Mauretanien hält unbeirrt an systemischem Rassismus gegen Schwarze fest

Foto einer traditionellen Hochzeit im mauretanischen Atar, aufgenommen von Radosław Botev, auf Wikipedia zur freien Verwendung.

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Die Regierung des Vielvölkerstaats Mauretanien ignoriert die Forderungen der Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM; etwa: Schwarze Leben zählen) und hält weiterhin am systemischen Rassismus gegen Schwarze fest.

Schockierende Aufnahmen des „mauretanischen George Floyd”

Vor dem Hintergrund der weltweiten Empörung über den Tod des Afroamerikaners George Floyd wurde ein am 23. Juni in der südöstlichen Vorstadt der Hauptstadt Nou­ak­chott in der Region El-Minaa aufgenommenes Foto von zahlreichen Medien, unter anderem dem französischen Fernsehsender France24, aufgegriffen. Das Foto zeigt zwei Polizisten, die einen schwarzen Mann in Bauchlage zwingen und ein Knie auf sein Genick drücken. Die schockierende Aufnahme wurde ebenfalls in zahlreichen Tweets kommentiert:

Diese Aufnahme erinnert uns nicht nur an George Floyds Schicksal, sondern führt uns auch vor Augen, dass wir in Mauretanien noch viel Arbeit vor uns haben.

Ganz egal aus welchen Gründen diese Person von der Polizei festgenommen wurde, eines steht fest: Diese Bilder schockierten, da sie aus Afrika stammen und an die von Derek Chauvin am in Minneapolis angewendete Methode, die zum Tod George Floyds führte, erinnern.

Die mauretanische Gesellschaft: Eine scheinbar jeder Veränderung trotzende Rassenpyramide

Laut zahlreicher Beobachter*innen ist das Verhalten der Polizisten zumindest zum Teil auf den andauernden systematischen Rassismus des Landes zurückzuführen. In Mauretanien bildet die Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1980 Teil der Zeitgeschichte. Die Stellung einer Person in der Gesellschaft ist weiterhin oft von ihrer Hautfarbe abhängig.

Die arabisch-berberischstämmigen Bidhan, die 53 % der mauretanischen Bevölkerung ausmachen und oft auch „weiße Mauren“ genannt werden, führen die mauretanische Gesellschaft an. Dann kommen die „freien Schwarzen“, eine aus mehreren Ethnien bestehende gemischte Bevölkerungsgruppe, die zirka 13 % der Gesamtbevölkerung darstellt. Die gesellschaftlich schlechteste Stellung haben die Haratins, auch „schwarze Mauren“ genannt, die Nachfahrinnen und Nachfahren der früheren Sklavinnen und Sklaven der Bidhan, deren Anteil 34 % beträgt.

Trotz dieser kulturellen und ethnischen Diversität konzentriert sich die wirtschaftliche, politische sowie militärische Macht weiterhin großteils in den Händen der Bidhan. Beispielsweise sind „fast alle der 34 Generäle der mauretanischen Armee weiße Mauren”.

Die gesellschaftliche Exklusion, die in den hohen Rängen des Militärs besonders ins Auge sticht, betrifft alle schwarzen Mauretanier*innen, also 47 % der Bevölkerung, und spiegelt sich in allen Bereichen der Gesellschaft wider. Ciré Ba, ein in Paris ansässiger mauretanischer Menschenrechtsaktivist, hat auf der malischen Webseite malijet.co Folgendes dazu zu sagen:

L’exclusion au sein de l’armée n’est jamais que le reflet du racisme systémique qui est l’essence même de l’Etat mauritanien. On peut l’observer à tous les autres échelons de la vie nationale, qu’il s’agisse de la fonction publique et notamment la haute administration, de l’enseignement, de la santé, de l’information, de la vie économique. La politique d’assimilation par la langue arabe n’en est qu’une manifestation en format réduit.

Die Exklusion innerhalb der Armee spiegelt den systemischen Rassismus, der den Kern des mauretanischen Staats bildet, wider. Vom öffentlichen Dienst, insbesondere der hohen Beamtenschaft, über das Bildungs-, Gesundheits- und Informationswesen bis hin zum Wirtschaftsleben lässt sich in allen anderen Aspekten des Nationallebens dasselbe beobachten. Die sprachliche Assimilationspolitik durch das Arabische ist nur ein kleiner Ausschnitt aus alledem.

Anstatt dem Ausschluss der schwarzen Bevölkerung von der Machtverteilung entgegenzuwirken, häufen sich die ungerechten Vorgehensweisen seitens der Behörden. Ein Kommentar der Facebook-Seite  „Dénonce le racisme” (etwa  „Stell Rassismus an den Pranger”) vom September 2019 hebt hevor, dass die Auswahl der 47 Offiziersanwärter*innen, die keine einzige schwarze Person enthält, in diesem Kontext gesehen werden muss.

L’annonce du recrutement de 47 élèves officiers l’armée nationale sans aucun Haalpulaar, Soninké, ou Wolof [trois des principales ethnies noires du pays] est un énorme scandale. Et, au regard du principe de l’égalité, entre les citoyens, ce recrutement est une continuité de la politique du sabotage à l’encontre de la quiétude sociale. À travers de tels agissements, de ces décisions iniques et des politiques injustes, on pousse à certains à sentir qu’ils n’ont pas de place dans ce pays

Die Bekanntgabe der 47 Offiziersanwärter*innen der Nationalarmee, die keinen einzigen Haalpulaar, Soninké oder Wolof [drei der größten schwarzen Bevölkerungsgruppen des Landes] enthält, ist ein riesiger Skandal. Und in Hinblick auf die Gleichberechtigung aller Bürger*innen stellt diese Auswahl eine weitere Episode in der politischen Sabotage des sozialen Friedens dar. Mit derartigen Machenschaften, ungerechten Entscheidungen und unfairen politischen Maßnahmen wird bestimmten Bevölkerungsgruppen das Gefühl gegeben, keinen Platz in diesem Land zu haben.

Am 06. Juni erzählte Izzo Wane, Mauretanier und ehemaliger Forscher in Sillicon Valley, in einem Blogbeitrag von seinen eigenen Rassismuserfahrungen:

La discrimination raciale est toujours présente dans mon pays d’origine. Je l’ai remarqué pendant mon dernier séjour au pays il y’a quelques mois alors que beaucoup de gens proches me disaient que c’était « normal » et que j’avais « juste trop duré à l’étranger ». Je suis certain que presque chaque Mauritanien noir a vécu dans sa vie un incident, souvent traumatisant, lié à sa couleur de peau… Il y’a quelques jours à peine, Abass Diallo, un Mauritanien noir a été assassiné par l’armée.

In meinem Herkunftsland gibt es nach wie vor rassistische Diskrimierung. Das ist mir vor einigen Monaten bei meinem letzten Aufenthalt dort aufgefallen. Viele mir nahestehende Personen haben mir gesagt, das seie „normal“ und ich „zu viel Zeit im Ausland verbracht habe“. Ich bin überzeugt, dass jede*r schwarze Mauretanier*in in seinem bzw. ihrem Leben zumindest einen, oft traumatischen, Vorfall aufgrund seiner bzw. ihrer Hautfarbe erleben musste … Erst vor wenigen Tagen wurde Abass Diallo, ein schwarzer Mauretanier, von der Armee ermordert.

Auf Twitter gab es zahlreiche Reaktionen:

Mauretanien: Die Verhaftung des „mauretanischen George Floyd“ empört die schwarze Bevölkerung Mauretaniens.

Viele Reaktionen rufen auch zu panafrikanischer Solidarität auf. Einige Internetnutzer*innen, darunter auch Manteya Freitas (@ManteyaF), fordern führende afrikanische Politiker*innen auf, Stellung zu beziehen:

Mir ist so etwas in Nouakchott passiert. Ich stand gerade an der Theke eines Telefonieladens, um mir eine lokale Sim-Karte zu besorgen, als mich eine maurische Frau zur Seite schob und sich vor mich stellte. Ich wollte gerade etwas sagen, als mich ein junger Schwarzer inständig bat „Mach das nicht, hier kannst du gelyncht werden.“ Ich war schockiert.
Mauretanien ist ein rassistisches, der Sklaverei zugeneigtes Land. In der Region, auch über die Landesgrenzen hinweg, ist unmenschliche Behandlung kulturell verwurzelt. Wenn es ein Land gib, in dem das Leben von Schwarzen nichts wert ist, dann ist das die islamische Pro-Sklaverei-Republik Mauretanien. #BlackLivesMatter #racism
Andere Spitzenpolitiker*innen müssen zu diesem Thema Stellung beziehen … Sie sagen „Je suis Charlie“ [ich bin Charlie], aber verschließen die Augen vor dieser Ungerechtigkeit/Intoleranz auf ihrem eigenen Kontinent. Das ist nicht das Afrika von Lumumba, Nyobe, Cabral und Sankara. Wir müssen endlich aufwachen und Sanktionen über Mauretanien verhängen.

Die ivorische Seite iciabidjan (@iciabidjancom) erinnert daran, dass Sklaverei in Mauretanien nach wie vor verbreitet ist:

Nach dem Tod George Floyds in den… Vereinigten Staaten haben die Afrikanische Union (AU) und ECOWAS reagiert und ihrer Empörung Ausdruck verliehen. Das ist auch gut so. Wissen diese beiden Institutionen, dass Sklaverei auf ihrem eigenen Kontinent, unter anderem in Mauretanien, weit verbreitet ist? Kehren wir vor unserer eigenen Tür …

Die mauretanischen Behörden dürften sich bewusst sein, dass die geografische Lage des Landes zwischen Nord- und Subsahara-Afrika einen klaren Vorteil darstellt, der zu echten Chancen führen könnte. Dafür müssten allerdings die systemische Exklusion und Diskrimination, die knapp die Hälfte der mauretanischen Bevölkerung betrifft, ein Ende nehmen.

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