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Wer sind die „Randalierer“, denen nach den Anti-Auslieferungsprotesten in Hongkong Gefängnisstrafen drohen?

Kategorien: Ostasien, Hong Kong (China), Bürgermedien, Jugend, Protest, Recht, Regierung
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Screenshot aus einem YouTube-Video von Stand News.

Die Anti-Auslieferungsproteste in Hongkong sind inzwischen ein Jahr her. Das Hongkonger Online-Medienunternehmen Stand News hat eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die die Oppositionsbewegung thematisieren. Auf Global Voices erscheinen im Rahmen einer Content-Sharing-Vereinbarung überarbeitete Fassungen dieser Beiträge. Das Original des folgenden Berichts [2] wurde am 12. Juni 2020 auf Stand News veröffentlicht.

Ein entscheidender Wendepunkt der Hongkonger Bewegung gegen das neue Auslieferungsgesetz vergangenes Jahr waren die Proteste vom 12. Juni 2019, die in der Nähe des sogenannten Legislativrats stattfanden.

Zehntausende friedliche Demonstrierende versammelten sich vor dem Regierungshauptquartier, um den Legislativrat (kurz Legco von Legislative Council) daran zu hindern, das chinesische Auslieferungsgesetz zu verabschieden. Der offizielle Name des Entwurfs lautete: Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen [3] (auf Englisch, Fugitive Offenders and Mutual Legal Assistance in Criminal Matters Legislation (Amendment) Bill 2019). Später am Nachmittag versuchte eine Minderheit der Demonstrierenden in das Legco-Gebäude einzudringen.

Als Reaktion darauf setzte die Bereitschaftspolizei wahllos Tränengas und Gummigeschosse ein, um den Protest zu zerstreuen – auch gegen diejenigen, die sich friedlich in Sitzecken aufhielten.

Am selben Tag definierte Stephen Lo, der damalige Polizeikommissar der Stadt, die Proteste vom 12. Juni als Aufruhr“. Dies bedeutete, dass die Teilnehmer der Demonstration bei einer Anklage zu einer maximalen Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt werden könnten.

Die Regierungschefin Carrie Lam unterstützte die Entscheidung des Kommissars, die Proteste als Aufruhr einzustufen. Eine Mehrheit der Bürger Hongkongs war mit dieser Definition jedoch nicht einverstanden.

Vier Tage später, am 16. Juni, gingen zwei Millionen Menschen [4] auf die Straße Hongkongs und sangen Slogans wie Studenten sind keine Randalierer“, wir stiften keinen Aufruhr“. Zu den fünf Hauptforderungen der Anti-Auslieferungsbewegung gehörte nun auch die Rücknahme des Aufruhr-Labels“.

Die Regierung reagierte jedoch nicht auf die Forderungen. Die Proteste gehen weiter und die Zahl der verhafteten Demonstrierenden steigt.

Stand News reichte bei der Polizeibehörde eine Anfrage über die Zahl der Verhaftungen ein.

Zwischen dem 9. Juni 2019 und dem 31. Mai 2020 nahm die Hongkonger Polizei bei den Demonstrationen 8.986 Personen fest. Bislang hat das Justizministerium Anklage gegen 1.808 Demonstranten erhoben, wobei die häufigste Anklage auf Aufruhr lautet.

In einem Gerichtsverfahren, das am 4. Mai vor einem Bezirksgericht stattfand, bekannte sich ein 21-jähriger Rettungsschwimmer, der an den Demonstrationen vom 12. Juni teilgenommen hatte, zu der Anklage wegen Randalierens schuldig.

Der Richter betonte, dass diejenigen, die gegen die Auslieferung protestierten, die Rechtsstaatlichkeit direkt untergraben“ und die Gesetze und die Sicherheit der Polizeibeamten missachteten“. Folglich müsse das Urteil im Sinne des öffentlichen Interesses gefällt werden und abschreckend auf zukünftige Verbrechen wirken, sagte der Richter.

Die Mindeststrafe bei einer Verurteilung wegen Aufruhrs ist eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Da sich der Angeklagte jedoch schuldig bekannte, wurde die Strafe auf vier Jahre Gefängnis reduziert.

Die 612 Personen, die derzeit wegen Aufruhr angeklagt sind, werden ähnliche Gerichtsverfahren durchlaufen müssen.

Werden sie für schuldig befunden, müssen sie einige Jahre ihrer Jugend im Gefängnis verbringen und ihre Zukunftspläne werden auf Eis gelegt.

Nachstehend sehen Sie eine Infografik mit dem Altersprofil von 598 Randalierern, die bei den Gerichten registriert sind (14 der 612 Fälle haben das Gericht noch nicht erreicht).

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Alter 11–15 (14 Fälle); Alter 16–20 (207 Fälle); Alter 21–30 (324 Fälle); Alter 31–40 (37 Fälle); Alter 41–50 (11 Fälle; Alter 51 und älter (2 Fälle). Bild von Stand News.

Das Durchschnittsalter der Angeklagten beträgt 23 Jahre. Der Älteste ist 61 und der Jüngste gerade einmal 13 Jahre alt. Vierzehn der Randalierer“ sind unter 16 Jahre alt. Etwa ein Drittel ist jünger als 20 Jahre.

Die Infografik unten zeigt, dass etwas über 38 Prozent der Randalierer“ Studenten sind:

[2]

Studenten: 38,29 %; Gaststättengewerbe: 4,85 %; Baugewerbe: 4,68 %; Angestellte: 4,35 %; Dienstleistungssektor: 2,68 %; Bildungssektor: 1,51 %; Medizinischer Sektor: 1,34 %; Sonstige: 20,40 %; Arbeitslos: 5,69 %; Keine Angaben: 16,22 %

Nachstehend finden Sie eine Aufschlüsselung der Verhaftungen.

Mehr als 46 Prozent der Verhaftungen fanden am 18. November 2019  [5]bei den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Bereitschaftspolizei an der Polytechnischen Universität Hongkong [6] statt:

12. Juni 2019: Proteste vor dem Legislativrat [7] – 1 Fall
26. Juni 2019: Proteste vor dem Polizeipräsidium – 1 Fall
14. Juli 2019: Zusammenstöße mit der Polizei in Shatin – 3 Fälle

28. Juli 2019: Proteste im westlichen Bezirk von Hongkong Island – 42 Fälle
5. August 2019: Zusammenstöße mit der Polizei im Bezirk Wong Da Sin – 1 Fall
11. August 2019: Zusammenstöße vor der Polizeiwache in Tsim Sha Tsui [8]– 29 Fälle

13. August 2019: friedlicher Sitzstreik auf dem internationalen Flughafen von Hongkong – 3 Fälle
24. August 2019: Proteste im Bezirk Kwun Tong – 3 Fälle
29. August 2019: Proteste vor der Polizeistation Shum Shui Po – 17 Fälle

31. August 2019: Demonstrationen im Bezirk Hongkong Island [9] – 17 Fälle
7. September 2019: Zusammenstöße in der U-Bahn-Station Shatin – 2 Fälle
21. September 2019: Versammlung in der U-Bahn-Station Yuen Long – 3 Fälle

21. September 2019: Demonstrationen im Bezirk Tuen Mun – 1 Fall
22. September 2019: Demonstrationen in einem Einkaufszentrum in Shatin – 3 Fälle
22. September 2019: Zusammenstöße vor der Polizeistation von Mongkok – 2 Fälle
29. September 2019: Demonstrationen im Bezirk Admiralty – 99 Fälle

1. Oktober 2019: Nationalfeiertag Chinas, Guerilla-artige Proteste in verschiedenen Bezirken von Hongkong [10] – 49 Fälle
6. Oktober 2019: Proteste gegen das Tragen von Schutzmasken [11] – 28 Fälle
13. Oktober 2019: Proteste im Distrikt Tseung Kwan O – 2 Fälle
3. November 2019: Zusammenstöße in Mongkok – 1 Fall
10. November 2019: Zusammenstöße in Mongkok – 1 Fall

11. November 2019: Straßenblockade an der Chinesischen Universität von Hongkong – 9 Fälle
13. November 2019: Straßenblockade-Aktion im Sheung-Shui-Bezirk – 2 Fälle
16. November 2019: Zusammenstöße in Mongkok – 6 Fälle
18. November 2019: Polizeibelagerung der Polytechnischen Universität Hongkong [5]–  284 Fälle
19. Januar 2020: Versammlung im Central District – 3 Fälle