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Guinea: Straßensperren aufgrund der COVID-19-Pandemie führen zu blutigen Protesten

Kategorien: Subsahara-Afrika, Guinea, Bürgermedien, Menschenrechte, Protest, Regierung, Wirtschaft & Handel, COVID-19

Screenshot eines YouTube-Videos [1], das die Gewalt in Goyah, Guinea, festhält.

Die COVID-19-Pandemie verstärkt soziale Gewalt in Guinea.

Laut des „Fragile State Index“ (auf Deutsch etwa „Index fragiler Staaten“), der anhand von zwölf sozioökonomischen Indikatoren die Stabilität eines Landes bestimmt, besteht für Guinea bereits eine Alarmstufe [2]. Durch erste Corona-Fälle im März 2020 verkomplizierte sich die Lage noch weiter. Bis zum 8. Juni 2020 stieg die Anzahl der positiv getesteten Einwohner*innen Guineas auf 4.117 [3] an, und das bei einer Gesamtbevölkerung von rund 12 Millionen [4].

Zur Bekämpfung der Pandemie richteten die guineischen Behörden Straßensperren zur Durchführung von Gesundheitskontrollen zwischen der Hauptstadt Conakry und den benachbarten Städten Coyah und Dubréka ein. Die einzigen Verbindungen aus Conakry ins restliche Land führen allerdings durch diese beiden Städte.

Coyah und Dubréka sind zwar nach wie vor verwaltungstechnisch unabhängige Städte, bilden allerdings de facto Vorstädte der Hauptstadt. Daher pendeln unzählige Einwohner*innen täglich nach Conakry. Präsident Alpha Condé bezeichnete den Ballungsraum am 15. Mai bei einer französischsprachigen Rede [5] im öffentlichen Fernsehen als „Grand Conakry“ (Groß-Conakry).

Als die Maßnahmen zur Isolierung Conakrys am 27. [6] und 30. [7] März 2020 verkündet wurden, kam es zu einem Missverständnis, das die Spannungen intensivierte. Es wurde nicht erwähnt, dass sich die getroffenen Entscheidungen ebenfalls auf Coyah und Dubréka bezogen [8]. Erst in einer Rede am 15. Mai stellte der Präsident klar, dass die Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr ebenfalls Coyah und Dubréka betraf [9].

Als die Einwohner*innen der beiden Städte am 12. Mai auf einmal Straßenblockaden erblickten, die ihnen den täglichen Weg zur Arbeit versperrten, begannen die Aufstände.

Der Journalist Mamadou Kouyaté beschreibt [10] die Gewaltausbrüche wie folgt:

Roads were barricaded everywhere on Tuesday, following the violent protest that took place from Friguiadi to the center of Coyah. Everywhere people were seen attacking the forces of order. The police station and the gendarmerie brigade were devastated. The police station under construction in the center of Coyah was vandalized. We also observed that the route to Forekariah and the police station’s large roundabout were blocked off, so I was forced to go back and protect our building. Their slogans demanded that the Friguiadi roadblock be moved, saying it prevents them from returning to Coyah, where they live; that some of them work in Conakry and that they have to go home in the evening.

Diesen Dienstag gab es aufgrund der gewalttätigen Proteste, die von Friguiadi bis in das Zentrum von Coyah reichten, überall Barrikaden. Ringsum sah man Menschen, die Sicherheitskräfte attackierten. Das Polizeikommissariat und die Gendarmeriebrigade wurden zerstört. Die Baustelle des Kommissariats im Stadtzentrum von Coyah wurde verwüstet. Darüber hinaus sahen wir, dass die Straße nach Forekariah und der große Kreisverkehr des Kommissariats blockiert wurden. Das zwang mich dazu, mich zurückzuziehen, um unser Gebäude zu schützen. Die Demonstrant*innen forderten die Aufhebung der Straßenblockade nach Friguiadi, da sie diese daran hindere, zu ihren Wohnorten in Coyah zurückzukehren, und der Großteil zwar in Conakry arbeite, aber am Abend zurück nach Haus müsse.

Unterbrechungen der Stromversorgung

Zusätzlich fanden in Kamsar – einem Hafen im Norden Conakrys, der hauptsächlich dem Bauxit-Abbau [11] der umliegenden Bergbauunternehmen dient – ebenfalls gewalttätige Proteste statt. Schätzungen zufolge befinden sich zwei Drittel der weltweiten Bauxit-Reserven [12], die zur Extraktion von Aluminium benötigt werden, in Guinea.

Trotz der dort angesiedelten Bergbauunternehmen und des bedeutenden Hafens haben die Bewohner*innen des Stadtteils weder eine zuverlässige Stromversorgung noch fließendes Wasser. Zudem ist in Guinea momentan Trockenzeit, wodurch die Bevölkerung ohnehin schon angespannt ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Menschen in Guinea gegen Unternehmen, die ihnen ihre Rechte verweigern, auflehnen. Im März 2019 verklagten 540 Personen aus 13 Dörfern im Westen des Landes den Mediator der Internationalen Finanz-Corporation (IFC), einer Zweigstelle der Weltbank, für die Finanzierung der „Compagnie des Bauxites de Guinée“ (CBG; auf Deutsch etwa staatliches Bauxit-Unternehmen Guineas), da diese im Rahmen ihrer Bergbauaktivitäten sowohl gegen nationales als auch internationales Recht verstößt.

Die Webseite agricaguinee.com beschreibt [13] die Vorfälle des 12. Mai folgendermaßen:

Riots shook the city of Kamsar in reaction to selective power cuts, causing one death and some property damage today, Tuesday, 12 May 2020. There was significant turmoil. In addition to the barricades erected throughout the suburbs of this industrial city, some facilities of the Guinea Bauxite Company (CBG) were vandalized by protesters, which deprived the site and some neighborhoods of drinking water. A number of sources also reported that the mayor’s home was set on fire.

Die Proteste gegen die Unterbrechung der Stromversorgung erschütterten die Stadt Kamsar und führten heute, am 12. Mai 2020, zu einigen Sachschäden sowie einem Todesfall. Die heutigen Unruhen zogen erhebliche Konsequenzen nach sich. Abgesehen von den überall in den Vorstädten der Industriestadt errichteten Barrikaden beschädigten Aufständische ebenfalls Einrichtungen der „Compagnie des Bauxites de Guinée“ (CBG), wodurch die Trinkwasserversorgung einiger Stadtviertel unterbrochen wurde. Mehrere Quellen gaben an, dass zudem das Haus des Bürgermeisters in Brand gesetzt wurde.

In einer gemeinsamen Erklärung auf der Webseite der „International Federation for Human Rights“ (FIDH) verurteilen 14 guineische Organisationen der Zivilgesellschaft die gewalttätigen Ausschreitungen und forderten [14] die Entlassung aller Gefangenen sowie die Einleitung von Ermittlungen:

Our organizations demand a stop to police violence leading to the loss of human life, physical injury, and damage to property. We condemn the violence that occurred in Coyah, Dubréka, and Kamsar, and we call for the immediate opening of a judicial investigation in order to shed light on the violence committed in these places

Unsere Organisationen fordern, dass die Polizeigewalt, die zum Verlust von Menschenleben, zu Körperverletzung sowie zu Sachschäden führt, ein Ende nimmt. Wir verurteilen die gewalttätigen Ausschreitungen vom 12. Mai 2020 in Coyah, Dubréka und Kamsar und fordern die sofortige Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, um Licht in die an diesen Orten begangenen Gewalttaten zu bringen.

Mehr dazu: Security forces in Guinea now have the right to use deadly force [15]

Bisher gab es in Guinea nur wenige Demonstrationen, denen nicht mit unverhältnismäßiger Gewalt, dem Verlust von Menschenleben, schwerwiegender Verletzung von Menschenrechten sowie Sachschäden begegnet wurden, wie die FNDC (Front national pour la défense de la constitution, auf Deutsch etwa Nationalfront für die Verteidigung der Verfassung) in einer Mitteilung vom 15. Mai 2020 in Erinnerung rief:

Guinea has been subject to various regimes since it achieved independence in 1958, from Sékou Touré to Alpha Condé. Each of them chose its own method to repress the population and employed nearly the same instrument: armed militias, true killing machines, in place of the police, the gendarmerie, and the regular army which are normally responsible for the security of people and their property, as well as for the country’s defense.

Seit Guineas Unabhängigkeit im Jahr 1958 wählte ein Regime nach dem anderen, von Sékou Touré zu Alpha Condé, seine eigene Methode zur Unterdrückung der Bevölkerung. Dabei setzten sie alle fast immer dieselben Mittel ein: bewaffnete Milizen, wahrhafte Tötungsmaschinen, anstelle der Polizei, Gendarmerie und Armee, die normalerweise dafür zuständig sind, die Sicherheit von Personen und deren Besitztümern sowie die Landesverteidigung zu gewährleisten.

Zahlreiche Bürger*innen Guineas teilten ihre Gedanken auf Twitter. Thierno Maadjou Bah, Journalist und Koordinator des Programms #Africa2015 [16] für den Radiosender @africa nostalgi [17] schrieb:

Ich gehöre zu jenen Menschen, die glauben, dass alle Bürger*innen Guineas, die ihr Land über politische Überlegungen hinaus lieben, ihrer Empörung Ausdruck verleihen müssen, wenn Bürger*innen im ganzen Land dem Machtmissbrauch der Sicherheitskräfte mit den einhergehenden Morden zum Opfer fallen. Anteilnahme darf nicht selektiv sein.

Abdoulaye Keita, Geschäftsführer des guineischen Infrastruktur- und Dienstleistungsunternehmens (GuINAPRES), der 64 Handhygiene-Sets an öffentliche Einrichtungen und Privathaushalte der Stadt Boké gespendet hat, schrieb:

Im Stadtteil CBG in Kamsar fehlt es an Trinkwasser. Das ist eine direkte Folge des Vandalismus während der Demonstrationen für bessere Stromversorgung! Sehr schade!