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Made in China: Die drakonischen Details des nationalen Sicherheitsgesetzes von Hongkong

Kategorien: Ostasien, China, Hong Kong (China), Bürgermedien, Menschenrechte, Politik, Protest, Recht
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Pressekonferenz der Hongkonger Regierung zum Nationalen Sicherheitsgesetz. Bild von Stand News.

Der Text des neu in Kraft getretenen Gesetzes über die nationale Sicherheit Hongkongs [2] (Hong Kong National Security Law, kurz: HKNSL) wurde am 30. Juni um 23.00 Uhr Ortszeit erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es wurde nicht durch Hongkongs Legislativrat (kurz: LegCo) verabschiedet und trat sofort in Kraft.

Das Gesetz definiert vier Arten von kriminellen Handlungen – Sezession, Subversion, Terrorismus und geheime Zusammenarbeit mit einer ausländischen Macht – in vagen Begriffen, die ein breites Spektrum von Rede- und Protestaktivitäten kriminalisieren können.

Die Höchststrafe für all diese Vergehen ist lebenslange Haft.

Die Umsetzung des Gesetzes liegt in der Zuständigkeit Chinas, und die Sicherheitsbehörden des Festlandes werden bei Operationen in der Megapolis die örtlichen Gesetze Hongkongs nicht befolgen müssen.

Aus diesem Grund proklamieren [3] viele Menschen das Ende von „Ein Land – zwei Systeme.“

Große Nachrichtenagenturen veröffentlichten Erklärurngen  [4]über dieses Gesetz.

Wir werfen nun einen Blick auf einige der größten Bedenken, die auf Twitter geäußert wurden.

Extraterritoriale Gerichtsbarkeit

Wie viele Hongkonger*innen war auch der China-Berichterstatter Allen-Ebrahimian bestürzt, nachdem er Artikel 38 des Gesetzes gelesen hatte:

Oh mein Gott, lese ich das richtig?

Artikel 38: Das Gesetz gilt auch für Personen, die NICHT den Status eines/einer ständigen Einwohners/Einwohnerin in Hongkong haben und außerhalb Hongkongs Straftaten im Sinne dieses Gesetz begehen.

Hat Peking sich selbst gerade eine weitreichende Extraterritorialität zugestanden… für alle Menschen auf dem Planeten?

— B. Allen-Ebrahimian (@BethanyAllenEbr) 30. Juni 2020 [5]

Tatsächlich könnte nach Artikel 38 des Gesetzes jede Person, die Hongkongs Proteste für politische Autonomie unterstützt, bei der Einreise in chinesische Gebiete einschließlich Hongkong und Macao unter die Gerichtsbarkeit des Gesetzes fallen.

Die Mehrheit der Zielpersonen wären Übersee-Chines*innen und Hongkonger mit ausländischen Pässen, aber auch ausländische Organisationen und Staatsangehörige könnten dem Gesetz unterworfen werden, wenn sich herausstellen sollte, dass sie gegen einen der fünf in Artikel 29 genannten illegalen Aktivitäten verstoßen:

Vor diesem Hintergrund gab Kanada eine Reisewarnung für seine Bürger*innen in Bezug auf Hongkong heraus, auch da bereits zwei kanadische Staatsangehörige wegen Spionage in China inhaftiert wurden:

Die Gesetze zur nationalen Sicherheit traten am 01. Juli in Kraft. Sie sind möglicherweise einem erhöhten Risiko willkürlicher Inhaftierung aus Gründen der nationalen Sicherheit und einer möglichen Auslieferung an das chinesische Festland ausgesetzt.

Vage Definitionen, Kriminalisierung von Protesten gegen Regierungen in Hongkong und China

Die vage Definition von Straftaten ist im gesamten Gesetz zu finden. Beispielsweise können physische Angriffe und Vandalismus auf private und öffentliche Einrichtungen als terroristische Aktivitäten nach Artikel 24 interpretiert werden.

Wie in einer Erklärung von Amnesty International festgestellt wurde, ist die Definition der „nationalen Sicherheit“ in dem neu erlassenen Gesetz so vage, dass niemand weiß, wie und wann sie sie verletzen könnten.

Eine solch vage Definition könnte zur Kriminalisierung der Online-Sprache führen. Wie der stellvertretende Leiter des Pekinger Büros in Hongkong und Macao, Zhang Xiaoming, auf einer Pressekonferenz tatsächlich sagte, könnte die Bedeutung von Anstachelung zum Hass so weit gefasst werden, dass sie als Verbreitung von Gerüchten über die Polizei von Hongkong und Macao interpretiert werden könnte.

Der Journalist der Hong Kong Citizen News, Alvin Lum, schrieb auf Twitter:

Eilmeldung: Der HKMAO-Abgeordnete Zhang Xiaoming zitierte Gerüchte über den Umgang der Polizei mit der U-Bahn-Station Prince Edward am 31. August letzten Jahres, die als Aufstachelung zum Hass gegen die Polizei angesehen werden könnten und damit gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstießen.

Gemäß dieser Definition könnten viele politische Slogans, wie der populäre Slogan „Korrupte Polizisten, möge Ihre ganze Familie sterben!“ ( 黑警死全家!), die die Polizeigewalt bei den Protesten verurteilen, als Untergrabung der nationalen Sicherheit angesehen werden.

Uneingeschränkte Operationen der Geheimpolizei

Wie bereits angekündigt, wird Peking in Hongkong ein Büro für nationale Sicherheit (National Security Office, kurz: NSO) einrichten, das die lokale Umsetzung des Gesetzes beaufsichtigen, Informationen zur nationalen Sicherheit sammeln und analysieren sowie Straftatbestände der nationalen Sicherheit bearbeiten soll (Artikel 48 und 49).

Viele waren jedoch schockiert, als sie erfuhren, dass Artikel 60 festlegt, dass die Pekinger Geheimpolizei bei der Ausübung ihrer Aufgaben nicht der örtlichen Gerichtsbarkeit unterworfen werden darf:

Lassen Sie das mal langsam auf sich wirken: Die NSL richtet in Hongkong eine Geheimpolizeiabteilung ein, die nicht dem Hongkonger Recht unterliegt. Sie können alles tun, den örtlichen Strafverfolgungsbehörden mit einem Ausweis winken und verschwinden. Das Missbrauchspotential ist unendlich.

Artikel 55 räumt diesem NSO weiterhin die Befugnis ein, die Gerichtsbarkeit über Fälle unter drei verschiedenen Umständen auszuüben:

Sobald die Fälle in die Zuständigkeit des NSO fallen, kann Chinas oberste Volksstaatsanwaltschaft „zuständige Staatsanwält*innen“ benennen, um die Strafverfolgung zu beaufsichtigen, während der oberste Volksgerichtshof „zuständige Gerichte“ für den Prozess benennen kann.

Das Gesetz erweitert auch ganz erheblich die Macht der lokalen Sicherheitsbehörden Hongkongs.

Das Gesetz verpflichtet die Regierung Hongkongs, drei Organe für die nationale Sicherheit einzurichten, nämlich den Ausschuss für die Wahrung der nationalen Sicherheit (Committee for Safeguarding National Security, kurz: CSNS), eine Abteilung für nationale Sicherheit innerhalb der Hongkonger Polizei und eine spezialisierte Abteilung für Strafverfolgung innerhalb des Justizministeriums.

Erwähnenswert ist, dass in Artikel 16 festgelegt wird, dass die Leitung dieser Abteilung für nationale Sicherheit in Hongkong „die Geheimhaltungspflicht einhalten“ muss, was bedeutet, dass die Leitung nicht auf öffentliche Anfragen, einschließlich Anfragen des Legislativrats, zur Arbeit der Abteilung antworten darf.

Weiterhin erwähnenswert ist, dass diese Abteilung in der Lage sein wird, qualifizierte Fachkräfte und technisches Personal von außerhalb Hongkongs einzustellen, höchstwahrscheinlich vom chinesischen Festland.

Geheime Gerichtverhandlungen werden zu einer legitimen Praxis werden, da Artikel 46 dem*der Justizminister*in die Befugnis gibt, darüber zu entscheiden, ob ein Fall ohne Geschworene vor dem Hohen Gericht verhandelt werden soll, unter anderem aus Gründen des Schutzes von Staatsgeheimnissen, der Involvierung ausländischer Faktoren und des Schutzes der persönlichen Sicherheit der Geschworenen und ihrer Familienangehörigen.

Es gibt keine andere lokale Institution, nicht einmal ein Gericht, das die Entscheidung des CSNS infrage stellen kann, da Artikel 14 des Gesetzes der Behörde Immunität vor gerichtlicher Überprüfung gewährt.

Gerichtliche Unabhängigkeit untergraben

Einige Rechtsprofessor*innen wiesen darauf hin, dass das neue Gesetz das bürgerliche Recht in Hongkong untergraben wird, da die Auslegungsbefugnis gemäß Artikel 65 des Gesetzes in den Händen des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (NPC) liegt. Der in Hongkong ansässige Anwalt Antony Dapiran erklärt die Situation in einfachen Worten:

Was bedeutet das nationale Sicherheitsgesetz für die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong? Wir haben jetzt ein wichtiges Stück Strafrecht mit Strafen bis zu lebenslanger Haft, das kein Anwalt oder Richter in Hongkong definitiv auslegen, beraten oder anwenden kann. Denken Sie mal darüber nach.

Auch ohne direktes Eingreifen Pekings wird die Macht des obersten Richters bzw. der oberten Richterin von Hongkong ernsthaft untergraben, denn nach Artikel 44 wurde der Regierungschefin die Befugnis übertragen, die Richter zu ernennen, die sich mit Fällen der nationalen Sicherheitsgerichtsbarkeit befassen.