In Nicaragua sterben Menschen angeblich an „Lungenentzündungen“ anstatt COVID-19

Präsident Daniel Ortega während seiner Eröffnungsrede im Jahr 2017. Fotolizenz CC BY 2.0  

Mitten in Zeiten von COVID-19, lebt Nicaragua in einer alternativen Realität. Präsident Daniel Ortega und die Vizepräsidentin, seine Ehefrau, Rosario Murillo haben die Pandemie vernachlässigt. Während internationale Gesundheitsorganisationen und Regierungen in anderen Ländern ihre Bürgerinnen und Bürger dazu angewiesen haben, sich in Quarantäne zu begeben, Masken zu tragen und sich ans Abstandhalten zu gewöhnen, haben Ortega und Murillo das genaue Gegenteil getan. Nach Angaben einer nichtstaatlichen Schätzung sind heute in Nicaragua 980 Menschen, welche COVID-19 Symptome zeigten, gestorben, der Höchstwert in Zentralamerika. Ortega sagte, diese Tode seien „Lungenentzündungen“ geschuldet.

Dieses Problem ist nicht neu. Die Regierung Nicaraguas vernachlässigt seit 2018 sein Gesundheitssystem und lässt Menschen sterben.

Die neueste Nachlässigkeit wurde, zwei Tage nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) COVID-19 eine Pandemie nannte, offensichtlich. Während Nachbarländer wie El Salvador, Costa Rica und Honduras den Ausnahmezustand ausgerufen haben, bewarb Murillo am 13. März Straßenmärsche mit dem Namen „Liebe in Zeiten von COVID-19“ und erklärte, dass man, um den Virus zu bekämpfen, dies „mit Liebe und Glaube“ tun sollte. Unternehmen, Schulen und Regierungsstellen blieben offen. Hinter der Fassade dieser Beteuerung von Liebe stehen jedoch alle Menschenrechtsverletzungen, die das Ehepaar, seit Ortega 2006 wieder an die Macht gekommen ist, begangen hat.

Im April 2018 brachen überall in Nicaragua große regierungsfeindliche Proteste aus. Viele Menschen, besonders Schülerinnen und Schüler, wurden von der Polizei und paramilitärischen Gruppen verletzt oder getötet. Dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zufolge starben 317 Menschen im Laufe von vier Monaten. Als weiterer Teil dieses Szenarios verübte das Gesundheitsministerium Nicaraguas bereits davor schon Missbrauch an ihrer Bevölkerung.

Beispielsweise wurde dem 15-jährigen Alvaro Conrado, welchem, während er protestierte, von Scharfschützen ins Genick geschossen wurde, der Eintritt ins nahegelegene Cruz Azul-Krankenhaus in der Hauptstadt Managua verweigert. Alvaro wurde ins Bautista-Krankenhaus gebracht, wo er einige Stunden später starb. Diesem Krankenhaus zufolge hätte Alvaro überlebt, wenn das medizinische Personal in Cruz Azul ihn behandelt hätte.

Warum sollte ein öffentliches Krankenhaus verweigern, verletzte Menschen zu behandeln? Der Grund hierfür ist, dass das Gesundheitsministerium Nicaraguas von Ortega und Murillo kontrolliert wird. Während den Protesten wurde medizinisches Personal mit Entlassung gedroht, sollten sie den Protestierenden helfen. Das Gesundheitsministerium entließ rund 135 Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern und andere medizinische Fachkräfte. Die Mehrheit von ihnen verließ das Land, aufgrund von ständiger Verfolgung durch Regierungsbehörden. Jetzt, zwei Jahre später, begehen Ortega und Murillo, zusammen mit dem Gesundheitsministerium, weiterhin Menschenrechtsverletzungen an ihrer Bevölkerung, indem sie die Gefahr der Pandemie kleinreden.

Weiterhin füllen sich Krankenhäuser. Bestattungen, welche geheim und spät nachts stattfinden, zeigen, dass die Situation außer Kontrolle geraten ist. Ein Video der Nachrichtenagentur AFP zeigt, wie ein Bestattungsinstitut 200 Menschen in einer Nacht beerdigt. Die westliche Stadt Chinandega erregte internationale Aufmerksamkeit, als sich auf den sozialen Netzwerken Videos von „Eilbeerdigungen” verbreiteten. Vizepräsidentin Murillo nannte die Beerdigungen „Falschmeldungen”.

Am 19. Mai verkündete das Gesundheitsministerium, dass Nicaragua gute Arbeit leistete, obwohl die offizielle Anzahl an neuen COVID-19 Erkrankungen innerhalb einer Woche von 25 auf 254 anstieg. Diese Zahlen waren jedoch widersprüchlich zu den Angaben des interdisziplinären, gemeinschaftlichen Projekts El Observatorio Ciudadano COVID-19, welche zu dieser Zeit von 3.458 „vermuteten” Erkrankungen berichtete.

Ärztinnen und Ärzte leben währenddessen ihren schlimmsten Albtraum. Ein Arzt im España-Krankenhaus sagte, dass die Behörden weiterhin Sicherheitsregeln ignorieren und keine medizinische Schutzausrüstung bereitstellen. „Sie werfen uns buchstäblich in ein Schlachthaus”, sagte er.

Ärztinnen und Ärzte befürchten aufgrund der Handlungen der Regierung in Nicaragua einen „viralen Völkermord” und forderten eine sofortige, vierwöchige “freiwillige nationale Quarantäne”. Mehr als 500 Ärztinnen und Ärzte unterschrieben ein Dokument, welches darauf besteht, dass Ortega und Murillo sofort geeignete Maßnahmen ergreifen sollen, bevor es zu spät ist. Die Vizepräsidentin reagierte wieder damit, dass die Ärztinnen und Ärzte „Lügen verbreiten”, was die Frage aufwirft, warum die Leichen, die doch an einer Lungenentzündung gestorben sind, geheim vergraben werden müssen. Nicaragua, ein Land dessen schwache Infrastruktur des Gesundheitswesens ohnehin schlecht ausgestattet war, um einen großen Zustrom Patientinnen und Patienten aufzunehmen, nun Leichen außerhalb von Krankenhäusern erlebt.

Eingang ins Leichenschauhaus des Aleman-Krankenhauses. Die Situation wird nur noch schlimmer: Die Anzahl an Toten beträgt pro Tag durchschnittlich 10. Die Behörden haben einen Raum für Patientinnen und Patienten mit  #Covid19 eingerichtet sowie einen anderen mit dem Namen „vor Covid”. Das Gesundheitspersonal ist alarmiert, aber das Regime leugnet die Ernsthaftigkeit.

Die Nachlässigkeit Ortegas und Murillos im Bezug auf die Pandemie war keine Überraschung angesichts des vorangehenden Musters von Menschenrechtsverletzungen des Regierungspaares.

Dieser Tage, wie auch im Jahr 2018, finden sich die Ärztinnen und Ärzte in einer schwierigen Situation wieder. Sie können sich entweder gegen das Gesundheitsministerium aussprechen und riskieren, entlassen zu werden und letztendlich, aufgrund von Verfolgung, gezwungen werden, das Land zu verlassen; oder sie können sich entscheiden zu bleiben und ohne geeignete medizinische Ausrüstung arbeiten sowie dem Risiko ausgesetzt sein, sich mit COVID-19 anzustecken.

Mitglieder der Opposition berichten auch, dass es für sie wahrscheinlicher ist, in öffentlichen Krankenhäusern medizinische Behandlung verweigert zu bekommen. Wendy Juarez, eine ehemalige politische Gefangene und Mitglied von Construimos Nicaragua, beschrieb die Situation wie folgt:

By going to public hospitals as an opposition member you run the risk of not getting tested, because the medical staff decide who gets tested and who doesn't.

Als Mitglied der Opposition in ein öffentliches Krankenhaus zu gehen, besteht das Risiko nicht getestet zu werden, da das medizinische Personal entscheidet, wer getestet wird und wer nicht.

Sie sagte, um sofortige medizinische Behandlung zu erhalten, müsste sie eine medizinische Telefon-Hotline anrufen, die medizinische Einheit Nicaraguas.

Währenddessen tun die Einwohnerinnen und Einwohner Nicaraguas, inmitten von wachsender Unzufriedenheit, ihr Bestes, um zu überleben, indem sie auf sich selbst Acht geben. Niemand weiß, wie diese Situation enden wird, aber mit Eilbeerdigungen und keinem Zeichen, dass die Regierung auf den Rat der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hören wird, hat Nicaragua möglicherweise, in ihrer alternativen Realität, den Kampf gegen die Pandemie verloren.

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