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Zensur überschattet Vietnams erfolgreiches Vorgehen gegen COVID-19-Pandemie

Kategorien: Ostasien, Vietnam, Bürgermedien, Gesundheit, Menschenrechte, Politik, Regierung, COVID-19, GV Advocacy
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Vietnams Reaktion auf COVID-19 wird von vielen begrüßt, aber die restriktive Politik der Meinungsfreiheit wird in den Berichten oft übersehen. Bild von Thomas Gerlach [2] bei Pixabay [3]

Dieser Artikel [4] stammt aus dem The 88 Project, einer unabhängigen Nachrichtenwebsite über Vietnam, und wurde im Rahmen einer Vereinbarung über die gemeinsame Nutzung von Inhalten bei Global Voices bearbeitet und neu veröffentlicht.

Während die Pandemie weiterhin den Planeten verwüstet, erzielte Vietnam im Umgang mit COVID-19 große Erfolge. Aufgrund der offiziellen Statistiken, die nur 300 bestätigte Fälle und keine Todesfälle aufweisen, besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Behörden bemerkenswerte Ergebnisse bei der Eindämmung der Ausbreitung dieser Krankheit erzielt haben, die weltweit mehr als 400.000 Menschenleben [5] gefordert hat.

Diese Errungenschaft darf jedoch nicht die repressive Taktik der vietnamesischen Regierung bei der Zensur von Informationen im Zusammenhang mit der Pandemie verheimlichen.

Andere Länder wie Taiwan [6] und die Südkorea [7] haben der Welt ebenfalls ihre Kompetenz mit niedrigen Übertragungs- und Sterblichkeitsraten bewiesen. Aber sie haben keine staatlichen Repressionen angewendet, um diese Ergebnisse zu erreichen. Viele Aktionen der vietnamesischen Behörden weisen tatsächlich darauf hin, dass sie die Pandemie nutzen, um die Praktiken des Polizeistaates zu normalisieren.

Öffentliche Sicherheitskräfte kontrollieren die öffentliche Meinung

Nach Angaben einer staatlichen Zeitung waren bis Ende März bereits 700 Personen von den öffentlichen Sicherheitskräften, die dem Ministerium für öffentliche Sicherheit unterstehen, wegen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu einer Geldstrafe verurteilt worden [8].

Ein genauerer Blick auf diese Fälle lässt vermuten, dass es sich in den meisten Fällen um Einzelpersonen handelte, die in sozialen Netzwerken lediglich ihre Besorgnis zum Ausdruck brachten. Diesen Bedenken hätte die Regierung leicht durch Transparenz und intensive Informationsprogramme begegnen können.

So wurden beispielsweise in der Provinz Ha Giang drei Lehrer zu einer Geldstrafe von rund 10 Millionen Dong (etwa 400 Euro) verurteilt [9], weil sie bei der Veröffentlichung von Fotos vietnamesischer Patient*innen in einem Quarantänegebiet einfach gesagt hatten: „Der Ausbruch ist außer Kontrolle!“

Nach Angaben der öffentlichen Sicherheitskräfte verursachten diese Veröffentlichungen „unnötige Panik“ in der Öffentlichkeit. Sie behaupteten auch, das es sich dabei um falsche Informationen handelt, da die Fotos aus verschiedenen Provinzen stammten und nicht aus Ha Giang.

Ein Arzt in Can Tho wurde wegen einer kurzen Bekanntmachung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sagte: „In Can Tho (Provinz) gibt es jetzt einen ersten Fall. Die Bewohner sollten ihr Immunsystem stärken, indem sie mehr Vitamine und mineralstoffreiche Nahrung zu sich nehmen.“

Die lokalen Behörden in Can Tho kündigten kurz nach seiner Veröffentlichung ordnungsgemäß ihren ersten Fall an.

Die Mehrzahl der Online-Äußerungen, die zu Geldstrafen führten, waren weder für die Öffentlichkeit noch für die nationalen Bemühungen gegen COVID-19 in irgendeiner Art und Weise schädlich. Trotzde wurden die „Täter*innen“ vorgeladen, kurzzeitig festgenommen und von den örtlichen öffentlichen Sicherheitskräften verhört, als hätten sie schwere Verbrechen begangen.

Die Behörden rechtfertigen die übermäßige und willkürliche Einmischung des Sicherheitsapparats in das öffentliche Leben, indem sie sich auf die öffentliche Unterstützung für eine „national vereinigende Sache“ zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beriefen.

Die Akzeptanz dieser Praxis wird weiterhin die Rolle der öffentlichen Meinung bei der Kontrolle und Ausbalanzierung des bereits mächtigen vietnamesischen Regimes untergraben und damit langfristig das Recht auf freie Meinungsäußerung zunichtemachen.

Kritik am Staat als Straftat

Während die sogenannte Panikmache meist mit Geldstrafen geahndet wurde, führte die Kritik am Staat während der Pandemie in einigen Fällen zu Gefängnisstrafen.

Ma Phung Ngoc Phu [10], eine Bewohnerin aus Can Tho, wurde am 11. April 2020 verhaftet und später zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Ihr angebliches Verbrechen bestand darin, dass sie in einem Facebook-Beitrag fragte: „Es gibt Informationen, dass eine Person in Vietnam am Coronavirus gestorben ist; warum wird in den Nachrichten nicht darüber gesprochen?“

Weitere Punkte, die in die Untersuchung einbezogen wurden, waren ihre „Vorlieben“ und Kommentare in mehreren Veröffentlichungen, die die Maßnahmen und Politik des Staates in Bezug auf COVID-19 kritisierten.

Ein weiteres Opfer dieser willkürlichen Praxis war Dinh Thi Thu Thuy [11] – ebenfalls eine Bewohnerin von Can Tho. Den gegen sie erhobenen Vorwürfen zufolge eröffnete Thuy mehrere Facebook-Konten, um tausende von Dokumenten zu bearbeiten, zu posten und auszutauschen, die die Führung der regierenden Kommunistischen Partei diffamierten und verleumdeten.

Die öffentlichen Sicherheitskräfte fügten ferner hinzu, dass Thuy im Verlauf des „nationalen Krieges“ gegen COVID-19 die sozialen Medien benutzte, um die staatliche Politik zu verzerren und Verwirrung in der Öffentlichkeit zu stiften. Thuy befindet sich derzeit in Untersuchungshaft und muss im Falle einer Verurteilung mit einer Haftstrafe zwischen fünf und zwölf Jahren rechnen.

In der Thai-Nguyen-Provinz klagte die Volksstaatsanwaltschaft Pham Van Hai [12] gemäß Artikel 288 des Strafgesetzbuches wegen „illegaler Bereitstellung oder Verwendung von Informationen in Computer- oder Telekommunikationsnetzen“ an. In sozialen Medien hatte Hai behauptet, dass in der Thai-Nguyen-Provinz Menschen gestorben seien, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Hai stellte die Integrität offizieller Informationen infrage.

Diese Fälle willkürlicher Kriminalisierung der Redefreiheit stellen einen Verstoß gegen die rechtlichen Bestimmungen der internationalen Menschenrechtskonventionen dar. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die damit verbundenen Strafen sind weder „gesetzlich vorgesehen“, wie in Artikel 19 der Internationalen Vereinbarung über bürgerliche und politische Rechte festgelegt, noch bestehen sie die Prüfung der „Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit“, wie im Allgemeinen Kommentar Nr. 39 derselben Vereinbarung erläutert wird [13].

Wie viele internationale Rechtsgruppen beobachtet haben [14], hat die COVID-19-Pandemie Diktatoren und autoritären Regimen eine einzigartige Gelegenheit geboten, ihre Überlegenheit gegenüber dem alten Modell der „liberalen Demokratie“ zur Geltung zu bringen und ihre repressiven Systeme zu stärken.

Ein kurzer Überblick über die Situation in Vietnam zeigt, dass diese Taktiken wenig zu einer soliden und erfolgreichen Anti-COVID-Kampagne beitragen. Noch wichtiger ist, dass sie drohen, die Messlatte für die Unterdrückung von Online-Äußerungen, die die Pandemie lange überdauern könnten, noch weiter zu senken.