Grenzen von Akzeptanz für LGBT-Menschen in Taiwan ausgetestet: Interview mit Filmemacher Ming Lang Chen

Eine Szene aus dem Film The Teacher (Der Lehrer), in der der Hauptcharakter Kevin mit seiner Mutter zu sehen ist. Foto bereitgestellt durch Swallow Wings Films. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Ein kürzlich veröffentlichter und bereits ausgezeichneter taiwanesischer Film testet die Grenzen der Akzeptanz für LGBT-Menschen in Taiwan, welches als erstes Land Asiens im Mai 2019 die Ehe für alle legalisierte.

The Teacher (我的靈魂是愛做的, dt. Der Lehrer) ist ein Spielfilm vom Taiwanesen Ming Lang Chen, der im November 2019 beim Golden Horse Festival, dem größten und ältesten Filmfestival der chinesischsprachigen Welt, mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen schwulen Lehrers, der von seiner Familie, seinen Kolleginnen und Kollegen und seinem Geliebten konfrontiert wird, weil er sich damit schwertut, transparent mit seiner Geschlechtsidentität umzugehen, und auch die Akzeptanz der Menschen um ihn herum ist schwierig. Der Film erscheint offiziell am 06. Dezember und ist Chens zweiter Spielfilm. Chen wurde 1970 in Taiwan geboren und diente als Leutnant in der taiwanesischen Armee, bevor er nach New York emigrierte und dort sein Filmstudium an der New York University abschloss. Sein erster Spielfilm, Tomorrow Comes Today (你的今天和我的明天, dt. etwa: Morgen wird heute kommen) erschien 2013 und erzählt die Geschichte eines taiwanesischen Migranten in New York, der seine eigene Maskulinität ergründet.

Chen verbringt die meiste Zeit in New York, reist jedoch regelmäßig nach Taiwan. Das folgende Interview mit Chen wurde während seiner Reise nach Taiwan für die Premiere von The Teacher geführt.

Filip Noubel: Was inspirierte Sie zum Film The Teacher (我的靈魂是愛做的, dt. Der Lehrer)?

Ming Lang Chen: My initial idea was to make a movie about a gay couple in which one is HIV positive, and the other isn't. Eventually, the story evolved, and I decided to make the movie in Taiwan. The main plot follows Kevin, a 26-year-old high school teacher who teaches civic education in Taiwan. He falls in love with another man, and discovers two things about him later: That this man is married to a woman and that he is HIV positive. Kevin is thus faced with a number of challenges: He has to face his own mother with whom he still lives and with whom he talks about the man he loves; then there is the fear of AIDS, and finally he also needs to face his lover's wife. On top of that, someone spreads a rumor at his school that he is HIV positive. The school then tries to force him to resign, as it is illegal to fire someone based on their HIV status in Taiwan. So the main theme is really how one faces pressure at a rather young age. The Teacher is about human communication, it shows a wide range of delicate emotions, I wouldn't say it is just a gay movie. 

Ming Lang Chen: Meine ursprüngliche Idee war es, einen Film über ein homosexuelles Paar zu machen, in dem ein Partner HIV-positiv ist und der andere Partner nicht. Schließlich entschloss ich mich, den Film in Taiwan zu produzieren. Die Handlung dreht sich um Kevin, einen 26-jährigen Highschool Lehrer, der politische Bildung in Taiwan unterrichtet. Er verliebt sich in einen anderen Mann und findet später zwei Dinge über ihn heraus: Dieser Mann ist mit einer Frau verheiratet und er ist HIV-positiv. Kevin sieht sich infolgedessen verschiedenen Herausforderungen gegenübergestellt. Er muss sich seiner eigenen Mutter stellen, mit der er noch zusammenwohnt und mit der er über den Mann spricht, den er liebt; und dann ist da die Ansgt vor AIDS. Und darüber hinaus muss er sich auch der Frau seines Geliebten stellen. Zu allem Überfluss verbreitet jemand an der Schule, an der Kevin arbeitet, das Gerücht, Kevin habe AIDS. Die Schule versucht daraufhin Kevin zur Kündigung zu zwingen, da es in Taiwan illegal ist, jemanden aufgrund seines bzw. ihres HIV-Status zu entlassen. Demnach ist das eigentliche Hauptthema die Frage, wie man in einem recht jungen Alter mit Druck umgeht. The Teacher handelt von menschlicher Kommunikation, zeigt eine große Bandbreite sehr zarter bzw. zerbrechlicher Gefühle und ich würde nicht sagen, dass es „nur“ ein schwuler Film ist.

FN: Warum glauben Sie, hat Ihr Film einen Preis beim 2019er Golden Horse Festival gewonnen?

MLC: Taiwan is very friendly towards LGBT film production. Every year the the Golden Horse Award, which started in 1962, has at least one or two LGBT-themed movies competing for an award. In 1993, the gay-themed movie Wedding Banquet by Taiwanese and now global filmmaker Ang Lee won the award for best feature film. In 2003, a serial adaptation of Crystal Boys (孽子), inspired the groundbreaking gay novel of the same name by Taiwanese gay author Pai Hsien-yung  (白先勇) won the Golden Bell Awards

As for Winnie Chang, who plays the wife in my film, I believe she won the Best Supporting Actress Award because, even though there are very few scenes involving her, she represents the many layers of this typical situation when gay men marry women out of social and family pressure. She finds herself in a love triangle that was not her choice and is exposed to a lot of pressure. She married into a big family, has to keep up appearances, wants a child and is pressured by her in-laws to do so. Yet she remains tolerant and humane.

MLC: Taiwan hat eine sehr freundliche Einstellung gegenüber LGBT-Filmproduktionen. Jedes Jahr sind mindestens ein oder zwei Film unter den Nominierten beim Golden Horse Festival, das zum ersten Mal 1962 stattfand. Im Jahr 1993 gewann der LGBT-Film Das Hochzeitsbankett vom taiwanesischen und nun weltweit erfolgreichen Ang Lee den Preis für den besten Spielfilm. Und 2003 gewann eine Serienadaption von Crystal Boys (孽子), angelehnt an den gleichnamigen, bahnbrechenden Roman des taiwanesischen homosexuellen Autors Bai Xianyong, den Golden Bell Award.

Und was Winnie Chang betrifft, die im Film die Ehefrau verkörpert, glaube ich, dass sie, auch wenn sie nicht in vielen Szenen vorkommt, den Preis für die beste Nebendarstellerin gewann, weil sie die vielen verschiedenen Facetten dieser typischen Situation darstellt, wenn schwule Männer aufgrund des gesellschaftlichen und familiären Drucks Frauen heiraten. Sie findet sich in einer Dreiecksbeziehung wieder, die sie sich selbst nicht ausgesucht hat und die sie unter sehr viel Druck setzt. Sie hat in eine große Familie eingeheiratet, muss den Schein waren, will ein Kind und auch ihre Schwiegereltern drängen darauf hin. Trotz alledem bleibt sie tolerant und menschlich.

Eine Szene aus dem Film The Teacher mit Winnie Chang, die den Preis für die beste Nebendarstellerin bei den Golden Horse Awards gewann. Foto bereitgestellt durch Swallow Wings Films. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

FN: Taiwan wird oft als Oase für LGBT-Rechte in Ost-Asien bezeichnet. Stimmt das und wenn ja, gilt dies für alle Teile der taiwanesischen Gesellschaft?

MLC: In the capital Taipei, we live in a very open space, we have a large Gay Pride Parade, and so we tend to think that being gay is no big deal. But we need to get outside of this bubble and see what is really happening in society. Because yes, Taiwan is a democracy, but a very young one, just in its early 30s. This is why I chose a main character who is just under 30. I wanted to see what this generation is experiencing, as they are the first to grow in a post-martial law society.

This is why the movie will be distributed across Taiwan in 16 commercial movie theaters. We didn't want to go big and end up with half-empty movie theater rooms. This is an art movie, quite different from Taiwanese mainstream movies that are heavily influenced by the storytelling of TV series. Our hope is that word of mouth will convince audiences who are into indie movies to come and appreciate The Teacher. 

MLC: In der Haupstadt Taipei leben wir in einer sehr offenen Gesellschaft, haben eine große LGBT-Pride-Parade und neigen deshalb dazu, zu glauben, homosexuell zu sein, sei keine große Sache. Aber wir müssen aus dieser Blase ausbrechen und erkennen, was wirklich passiert in der Gesellschaft. Denn, ja, Taiwan ist eine Demokratie aber eine sehr junge, gerade mal in ihren frühen Dreißigern. Deshalb habe ich mich für einen Hauptcharakter entschieden, der Ende zwanzig ist. Ich wollte sehen, was diese Generation erlebt, als erste Generation, die die Zeit vor der Demokratie nicht erlebt hat.

Deswegen wird der Film in 16 Kinos in ganz Taiwan gezeigt werden. Wir wollten es nicht ganz groß aufziehen und dann halb-leere Kinosäle haben. Das ist ein Kunstfilm, ganz anders als taiwanesische Mainstream-Filme, die stark beeinflusst sind durch die Erzählweise in TV-Serien. Unsere Hoffnung ist es, Menschen, die auf Indie-Filme stehen, durch Mundpropaganda zu überzeugen sich The Teacher anzusehen.

Filmemacher Ming Lang Chen (rechts) bei der Premiere zu The Teacher in Taoyun mit einem Fan sowie dem Hauptdarsteller Oscar Chiu (邱志宇) (links). Foto von Filip Noubel. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

FN: Wer ist aktuell der Gegner von LGBT-Rechten in Taiwan?

MLC: The strongest opposition comes from certain members of religious groups, and mostly Christian people. They have money, are influenced by groups outside of Taiwan, and have a blind belief that homosexuality is wrong, even though the Bible doesn't say that. But there is also another factor: our Asian traditions that keep any talk about homosexuality hush hush. The result is that very few people come out, so people don’t get to see or know a gay person in their immediate circles.That's what I wanted to achieve with Kevin; to introduce a person who looks like a neighbour so people can look at his dilemma and say: “I know him!”. 

I couldn't imagine that I would see marriage-equality happen in Taiwan, and we have to thank people like Chi Chia-wei who were brave enough to come out publicly. I never felt prouder to be a Taiwanese than the day we passed the marriage equality law.

MLC: Der stärkste Widerstand kommt vonseiten bestimmter Mitglieder religiöser Gruppen, hauptsächlich Christen. Sie haben Geld, haben Einfuss auf Gruppen außerhalb Taiwans, und haben den blinden Glauben, dass Homosexualität falsch ist, selbst wenn die Bibel dies nicht sagt. Es gibt aber noch einen anderen Faktor: unsere asiatischen Traditionen, wegen derer jegliche Konversation über Homosexualität nur sehr verschwiegen und hinter vorgehaltener Hand stattfindet. Das Ergebnis ist, dass nur sehr wenige Menschen sich outen, und so kommen die wenigsten Menschen in Kontakt mit homosexuellen Menschen oder haben einen homosexuellen Menschen in ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis. Das ist es, was ich mit Kevin erreichen wollte; einen Charakter schaffen, der wie ein Nachbar aussieht, sodass Menschen ihn und sein Dilemma sehen und sagen: „Ich kenne ihn!“

Ich hätte mir nicht träumen lassen, die Gleichberechtigung in der Ehe in Taiwan zu erleben. Wir müssen Menschen wie Chi Chia-wei danken, die mutig genug waren, sich öffentlich zu outen. Ich fühlte mich nie stolzer, Taiwanese zu sein, als an dem Tag, an dem das Gesetz für die Ehe für alle verabschiedet wurde.

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