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Die Coronavirus-Pandemie verstärkt die Islamophobie in Indien

Kategorien: Südasien, Indien, Bürgermedien, Gesundheit, Kriege & Konflikte, Medien & Journalismus, Meinungsfreiheit, Politik, Protest, Religion
Muslim men in the streets of Lal Darwaja, in Ahmedabad, India. Image via Flickr by Juliana Cunha. CC BY-NC 2.0 [1]

Muslimische Männer auf den Straßen von Lal Darwaja, in Ahmedabad, Indien. Bild von Juliana Cunha über Flickr. CC BY-NC 2.0 [2]

Lesen Sie mehr zum Thema in unserem Dossier über die globalen Auswirkungen von COVID-19 [3].

Neben den bislang mehr als 37.000 positiven COVID-19 Fällen und über 1.200 Toten [4] steht Indien vor einer weiteren Herausforderung. Seit Premierminister Narendra Modi [5] am 25. März 2020 eine landesweite Ausgangssperre verhängte, häufen sich islamophobische Vorfälle [6] und vielen führenden Nachrichtensendern wird vorgeworfen [7], zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen.

Die plötzliche Verschärfung der mit COVID-19 zusammenhängenden Islamophobie wird mit einem Treffen in Verbindung gebracht, das von Tablighi Jamaat, einer muslimischen Missionsbewegung [8], organisiert und am 24. März, einen Tag vor der landesweiten Ausgangssperre [9], in Indiens Hauptstadt abgehalten wurde. Für viele ist diese Veranstaltung der Grund [10] für die Zunahme der COVID-19-Fälle in Indien.

Während die gegen die muslimische Bevölkerung [11] Indiens gerichtete Islamophobie seit Modis Amtsantritt 2014 langsam zunahm [12] – es kam zu mehreren Lynchmorden [13], Massenausschreitungen und Angriffen – nutzten Troll-Armeen [14] die Veranstaltung von Tablighi Jamaat [15] dazu, Muslime in sozialen Medien und anderweitig gezielt zu attackieren.

Führende Kräfte der regierenden Partei Bharatiya Janata Party [16] (BJP) bezeichneten das Treffen von Tablighi Jamaat als “Talibanverbrechen” [17] und “Coronaterrorismus” [18]. Der daraus entstandene Hashtag #CoronaJihad verbreitete sich viral [19] und soziale Medien wurden von Fake News überflutet [19].

Hinzu kamen Vorwürfe gegen Gruppen aus dem rechten politischen Spektrum, darunter auch diejenigen, die mit der BJP in Verbindung stehen, wonach diese als Teil einer ihnen zugeschriebenen Kampagne gegen Muslim*innen Gerüchte verbeiten [20] und unschuldige Menschen verfolgen [21], um Muslim*innen die Verbreitung von COVID-19 anzuhängen [22].

Die Folgen dieser Kampagne sind desaströs: bereits jetzt weigern sich [23] einige indische Krankenhäuser [24], muslimische Patient*innen aufzunehmen. Am 19. April, als die mit dem Coronavirus zusammenhängene Islamophobie auftrat, berichteten zwei lokale Medien über den Tod zweier Neugeborener [25], nachdem Krankenhäuser in Jamshedpur sich geweigert hatten, ihre muslimischen Mütter aufzunehmen.

Rizwana Khatun [26], eine weitere muslimische Frau, erlitt eine Fehlgeburt, nachdem ein Krankenhaus in Jharkhand, bei dem sie aufgrund von Blutungen um Hilfe bat, ihr die Behandlung verweigert hatte. Laut einigen Berichten wurde sie gebeten, ihr eigenes Blut aufzuwischen.

Internationale Empörung

Inzwischen äußerten viele Vertreter*innen der Golfregion, darunter die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, die Regierung von Kuweit, eine Prinzessin der Königsfamilie der Vereinigten Arabischen Emirate und einige arabische Aktivist*innen, ihren Unmut [27] über den Ton der anti-muslimischen Kommenate in Indien.

Khaled Al-Suwaifan, Anwalt und Mitglied des Aufsichtsrats der Anwaltskammer von Kuweit, twitterte:

Wir rufen alle internationalen Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen, den Sicherheitsrat, die Organisation für Islamische Zusammenarbeit und alle Menschenrechtsorganisationen, dazu auf, dringend einzugreifen und die Verstöße gegen die Rechte unserer muslimischen Brüder in Indien zu unterbinden.

Die Aktivistin Afreen Fatima schrieb:

Das Valentis-Krankenhaus in Meerut (Uttar Pradesh) gab in einer lokalen hindisprachigen Zeitung per Anzeige bekannt, dass es keine muslimischen Patient*innen behandeln wird. Religiöse Diskriminierung geschieht hier nicht einfach nur – sie wird auch noch zelebriert und beworben! Bitte verbreitet die Nachricht in der globalen Gemeinschaft.

Laut dieser Anzeige würden Muslim*innen nur dann in dem Krankenhaus zur Behandlung aufgenommen, wenn sie negative COVID-19-Testergebnisse nachweisen können.

Dasselbe Krankenhaus teilte ebenfalls mit [32], dass muslimische Patient*innen für die teuren COVID-19 Tests werden bezahlen müssen. Die Test-Sets können bis zu 4.500 indische Rupien kosten (etwa 54 Euro), was eine Riesensumme für diejenigen ist, die körperlich arbeiten und von dem Mindestlohn [33] (176 Rupien, etwa 2,10 Euro, für einen 8-Stunden-Arbeitstag), den sie dafür üblicherweise bekommen, kaum überleben können. Die Regierung ordnete an [34], dass die Tests in öffentlichen Einrichtungen kostenlos durchgeführt werden. Den privaten Labors, die die Tests für die durch eine der führenden öffentlichen Gesundheitsversicherungen abgedeckten 500 Millionen Menschen durchführen, sollen die Kosten in Höhe von 4.500 Rupien pro Test von der Regierung erstattet werden.

Obwohl die Polizei Ermittlungen einleitete, sind regelmäßig Berichte über Diskriminierung von Muslim*innen auch im nördlichen und westlichen Teil des Landes aufgetreten. In regulären TV-Shows [35] verschiedener Nachrichtensender wie dem Times Now, Republic TV und India TV wurde die muslimische Gemeinde als Ganzes mit der Veranstaltung von Jamaat Tablighi in Verbindung gebracht und verteufelt.

Muslim in unserem Land sind mit dem Schlimmsten konfrontiert

Muslimische Händler können die Hindu-Mehrheitsgebiete nicht betreten

Ein Krankenhaus in Gujarat richtet getrennte Stationen für Hindus und Muslime ein

Ein Krankenhaus in Meerut verweigert Muslimen die Behandlung und berichtet darüber in der Zeitung

Die Reaktion der Muslime

Trotz der zunehmenden Anfeindungen ihnen gegenüber spendeten zehn Tablighi Jamaat-Mitglieder Blutplasma [39], um Ärzt*innen bei der Behandlung infizierter Patient*innen zu unterstützen. Auch viele andere beschlossen zu helfen:

Hunderte Tablighi Jamaat-Mitglieder, die derzeit fasten, spendeten gestern Blutplasma am Quarantäne-Zentrum in Sultanpuri in Delhi. Genau diese muslimische Gruppe wird von den Medien und der Regierung Tag für Tag angeschwärzt und zum Sündenbock gemacht.

Der Anführer von Tablighi Jamaat, Maulana Saad Khadavli, gegen den wegen der Veranstaltung ermittlelt wird [42], wandte sich vor kurzem [43] an COVID-19-Überlebende mit der Bitte, Blutplasma zu spenden. Er rief alle Muslim*innen dazu auf, während des heiligen Monats Ramadan zu Hause zu bleiben und zu beten.

Obwohl gerade Ramadan ist, spenden Tablighi-Mitglieder Blutplasma für Coronabetroffene, da die Krankenhäuser händeringend Spender brauchen. Ebendieser Tablighi-Gruppe wird durch die Regierung und Medien allerlei Unsinn vorgeworden. Lasst uns für alle beten!

Der Chief Minister von Neu-Delhi, Arvind Kejriwal, wandte sich ebenfalls mit einer Bitte um Blutplasmaspenden [46] an alle, die sich vom Virus erholt haben, unabhängig von ihrer Kaste oder Religion.

Fake News-Produktion

Während der Ausgangssperre im April [47] wurden zwei Hindu-Asketen von einem Mob in Maharashtra getötet und das Video des Vorfalls ging viral. Tweets, in denen behauptet wurde, die Asketen seien von Muslim*innen getötet worden, rückten in den Mittelpunkt. Einige zielten sogar auf den Chief Minister Uddhav Thackerey [48] ab, der – nachdem er mit der BJP gebrochen hatte – eine Koalitionsregierung mit den links-zentristischen Parteien Indischer Nationalkongress [49] und Nationalist Congress Party [50] bildete.

Die Polarisierung entlang der Konfessionsgrenzen, die das Land im Zuge der COVID-19-Pandemie erlebt, ist in diesem Tweet zusammengefasst:

Die Modi-Administration folgt schon immer dem Prinzip “Teile und herrsche”

Die ersten COVID-19-Fälle wurden Jamaat und somit den Muslimen im Allgemeinen zugeschrieben

In den Krankenhäusern von Gujarat werden Patient*innen in Hindus und Muslime aufgeteilt

Der Lynchmord an Hindu-Asketen wurde als eine Verschwörung gegen Hindus dargestellt

Dieser Wahnsinn muss aufhören!

Einige Kolumnist*innen versuchen, auf diese Situation aufmerksam zu machen. Apoorvanand schrieb im Indian Express [53]:

In the seven decades of Independent India, Muslims have systematically been forced into ghettoes. There were already two zones of sensibilities in India — Hindu and Muslim. The current crisis is being used to deepen the divide.

In den sieben Jahrzehnten von Indiens Unabhängigkeit wurden Muslim*innen systematisch in Ghettos gezwungen. Es gab bereits zwei sensible Themen in Indien – Hindus und Muslime. Die aktuelle Krise wird dazu genutzt, um diese Spaltung zu vertiefen.

Sagarika Ghose schrieb in der Times of India [54]:

Scientists are working to find a vaccine for coronavirus, but who will cure the communal virus? It can only be cured if each of us journeys inwards to find humanity within, to treat fellow human beings as equals. After all, this is the teaching of every great religion, whether Hinduism or Islam. If even a global pandemic which knows no boundaries cannot end religious hatred, what can?

Wissenschaftler*innen arbeiten an einem Impfstoff gegen das Coronavirus, aber wer heilt das Konfessionsvirus? Es kann nur dann geheilt werden, wenn jede*r von uns das Menschliche in sich entdeckt und andere Menschen als ebenbürtig behandelt. Genau das ist schließlich die Lehre aller Weltreligionen, ob nun des Hinduismus oder des Islam. Wenn nicht einmal eine globale Pandemie dem religiösen Hass ein Ende setzen kann, was dann?

Während Indien mit den Vorurteilen [55] kämpt, die durch die COVID-19-Pandemie zu Tage getreten sind, muss es sich auch mit seiner eigenen komplizierten Vergangenheit [56] auseinandersetzen – denn auch wenn politische Gruppen Menschen diskriminieren, vor dem Virus sind alle gleich.

Die Autorin Priyanka Malhotra aus Mumbai hat an diesem Bericht mitgewirkt.