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Wie chinesische soziale Medien Informationen über COVID-19 kontrollieren

Kategorien: Ostasien, China, Bürgermedien, Censorship, Gesundheit, Internationale Beziehungen, Medien & Journalismus, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Politik, Recht, Regierung, GV Advocacy
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Bild von Stand News.

Die in Kanada ansässige Internet Censorship Research Organization (Forschungsinstitut über Internet-Zensuren), CitizenLab, weist in ihrem neuesten Bericht  “Zensierte Infektion: Wie Informationen über den Coronavirus in den chinesischen sozialen Medien gemanaged werden” [2] (Censored Contagion: How Information on the Coronavirus is Managed on Chinese Social Media) darauf hin, dass Chinas Web-Zensoren am 31. Dezember 2019 eine neue Liste veröffentlichten, in der 45 Schlüsselwörter, die sich auf den Ausbruch des Coronavirus (COVID-19) beziehen, bei Online-Diskussionen blockiert werden sollen. Gemäß der Autoren dieses Berichtes wurde im Februar 2020 der Zensurumfang auf 516 den Coronavirus betreffende Schlüsselwort-Kombinationen erweitert, die auf der sozialen und Nachrichten Medien-App WeChat zwischen dem 1. Januar und dem 15. Februar blockiert wurden.

In dem Bericht wurde festgestellt, dass zu Beginn des Ausbruchs von COVID-19 in China die Zensoren Veröffentlichungen über die Gefahren des bis dahin unbekannten Virus unterdrückten. Später wurde die Zensur erweitert und umfasste auch die Kritik an Führungskräften und leitende Beamten, Regierungspolitiken, spekulative Nachrichten, auf alle Hinweise auf Dr. Li Wenliang [3] und die Forderung chinesischer Netizens nach politischen Veränderungen. Bevor er von der Polizei befragt wurde, war Dr. Li einer der in Wuhan lebenden, praktizierenden Ärzte, die hinsichtlich des neuen Coronavirus Alarm schlugen. Er starb am 6. Februar an den Folgen des Virus, was online Kritik an den chinesischen Behörden auslöste.

Aktualisierung Coronavirus-bezüglicher Blockierungen am 31. Dezember 2019

CitizenLabs’ Untersuchungen ergaben, dass am 31. Dezember 2019, einen Tag nachdem eine Anzahl medizinischer Mitarbeiter – darunter der später verstorbene Dr. Li – versuchten die Öffentlichkeit über dier Verbreitung des SARS-ähnlichen Virus zu warnen, die chinesischen Web-Zensoren die Liste der in den sozialen Medien blockierten Begriffe aktualisierten.

YY, eine chinesische Streaming-Plattform, führte am 31. Dezember 2019 auf seiner mobilen App 45 Corononavirus-bezügliche blockierte Begriffe ein. Darunter  “Wuhan unbekannte Pneumonia”(武漢不明肺炎), “unbekannt SARS” (不明沙市), “SARS-Variationen” (沙市變異), “P4 Virus-Forschungslabor”(P4病毒實驗室), “Wuhan Frische Nahrungsmittel Markt”(武漢海鮮市場), and “Wuhan zensierter, epidemischer Ausbruch(武漢封禁疫情).

Da alle Medien-Plattformen in China die Anweisungen der Propaganda- und Cyber-Behörde des Landes befolgen müssen, beweist dies, dass Peking dieser Ausbruch seit dem vergangenen Dezember sehr wohl bekannt war. Anstatt aber die Bevölkerung über die gesundheitlichen Gefahren zu informieren, wurden die online zirkulierenden Nachrichten gesperrt. Am selben Tag wie der Einführung jener neuen Blockierungsbegriffe, wurden acht Netizens wegen der Verbreitung von Gerüchten verhaftet. Später wurde aufgedeckt, dass die “Gerüchte-Verbreiter” [4] Ärzte waren – darunter der verstorbene Dr. Li – die den Ausbruch über WeChat mit Familienmitgliedern oder Kollegen diskutierten.

WeChat hatte aber ein wesentlich hochentwickelteres Zensursystem eingeführt. Während sensitive Begriffe wie “4. Juni” und “Tian'anmen Platz” [5] vollständig blockiert wurden, benutzte die App künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, kurz AI), um semantische Bedeutungen der Texte zu erkennen – das heißt, es wurden bestimmte Wortgruppen zensiert. Das Forschungsteam untersuchte deshalb WeChat zwischen dem 1. Januar und 15. Februar und fand mindestens 516 Wortgruppen, die blockiert waren. Wenn Benutzer*innen Nachrichten mit diesen Kombinationen versendeten, wurden die Nachrichten auf dem Server blockiert und nicht weitergeleitet.

Das Forschungsteam fasste dann diese Wörtergruppen in Kategorien zusammen:

Censored COVID-19-related keyword combinations cover a wide range of topics, including discussions of central leaders’ responses to the outbreak, critical and neutral references to government policies on handling the epidemic, responses to the outbreak in Hong Kong, Taiwan, and Macau, speculative and factual information on the disease, references to Dr. Li Wenliang, and collective action.

Die zensierten und sich auf COVID-19 beziehenden Wörterkombinationen umfassen sehr viele Themen, darunter die Reaktionen der zentralen Führungskräfte auf den Ausbruch, kritische und neutrale Hinweise auf die Regierungspolitik über den Umgang mit der Epidemie, Reaktionen auf Ausbrüche in Hongkong, Taiwan und Macau, spekulative und sachliche Informationen über diese Krankheit, Hinweise auf Dr. Li Wenliang und kollektives Handeln.

Kritik am chinesischen Präsidenten Xi Jinping wurde zensiert

Zu den 516 wichtigsten Wortkombinationen zählen 192, die sich auf Chinas Führungskräfte und ihre Vorgehensweise in Bezug auf den Ausbruch beziehen. Tatsächlich sind 87 Prozent dieser Begriffe dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping zuzuordnen, wie „Xi Jinping + Formalismus + epidemische Vorbeugung” (習近平+形式主義+防疫), „Xi Jinping fährt nach Wuhan” (習近平到武漢), „Jemand [gemeint ist Xi Jinping] + in person” (某人+親自)” und „Xi Jinping + epidemischer Ausbruch” (習近近+疫症蔓延). 

Nachdem in Wuhan am 23. Januar die Ausgangssperre ausgerufen wurde, wunderten sich viele Netizens, warum der chinesische Präsident nicht in diese Stadt gefahren war, um den Kampf gegen COVID-19 persönlich anzuführen. Stattdessen beauftragte Xi den chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang [6], das Zentrum der Epidemie zu besuchen. Solche Kritiken wurden schnell zu den wichtigsten Zielen der Zensoren, wie in den obigen Zensurmustern erwähnt.

Die zweitmeisten zensierten Begriffe bezogen sich auf Kritik an der Regierung und auf mit der Kommunistischen Partei Chinas (KPC verbundene Institutionen und deren Vorgehensweise hinsichtlich dieses Ausbruchs. In dieser Kategorie wurden 138 Wörterkombinationen gefunden, darunter Wortspiele über COVID-19, in denen es das „VIrus der Bürokratie” (官狀病毒) genannt wurde, sowie „Lokale Beamte + Epidemie + Regierungszentrale + Verschleierung, ” (地方官+疫情+中央+隱瞞), „Wuhan + CCP + Krise + Peking” (武漢+中共+危機+北京), „Abhalten + China-Kritik + Zwei Sitzungen + Vertuschung” (舉行+批評中國+兩會期間+隱瞞) und „KCP + Lungenentzündung + Leistungen + Regeln” (共产党+肺炎+表现+统治).

Neben der CCP und den Behörden der Zentralregierung wurden Anspielungen auf weitere Institutionen zensiert, darunter auf das Chinesische Rote Kreuz, das Wuhan-Institut der Virologie und die zentrale chinesische Fernsehstation (China Central Television Station oder CCTV).

Das chinesische Rote Kreuz wurde wegen Korruption bei der Handhabung von Spenden für Wuhan stark kritisiert. [7] Was das Virologische Institut in Wuhan betrifft, zirkulierten seit Ende Januar [8]Spekulationen in den sozialen Medien, dass der Neue Coronavirus aus seinem Labor stammen könnte. Gleichzeitig wurde CCTV von den Netizens für seine Zensurpraktiken scharf kritisiert, weil die Kommentar-Funktion der Live-Stream-Sendung CCTV Frühlingsfest-Gala [9] geschlossen wurde.

Kritik an der Politik der zentralen und lokalen Regierungen über den Kampf gegen den Ausbruch wurden ebenfalls stark zensiert, wie man an folgenden Wortkombinationen erkennen kann: „Zentralisierte Quarantäne  + Wuhan Abriegelung” (集中隔离 + 武汉封城), „ öffentliche Meinung + Politbüro + zentralisierte Führung + ständiger Ausschuss” (傳播 + 判死刑 + 危害公共安全 + 病毒) und „seit dem 3. Januar + informierte USA von + Epidemie”, (1月3日起 [+] 30次向美方通报 [+] 疫情信息).

Obgleich die zwangsmäßige Quarantäne in Wuhan und anderen Städten für ihre Wirksamkeit bei der Eindämmung der Ausbreitung des Virus gelobt wurden, waren Wuhans Bewohner*innen [10]darüber verärgert, dass die Regierung zu Beginn der Ausgangssperre derart wenig Unterstützung bot, sodass Krankenpersonal und Patient*innen in verzweifelte Situationen gerieten.

Viele chinesische Netizens waren außerdem schockiert von einer vom obersten Gericht in Heilongjiang [11] veröffentlichten Stellungnahme über die Interpretation des bestehenden Strafgesetzes [12], in der betont wurde, dass jede Person, die den Virus zur Schwächung der öffentlichen Sicherheit absichtlich oder böswillig verbreitet, mit dem Tode bestraft wird. Als weitere Städte und Regionen verlangten, alle Personen, die engen Kontakte mit COVID-19-Infizierten hatten, unter Quarantäne zu stellen, kam es zu Ausschreitungen zwischen Polizeibeamten und Bürger*innen, die sich weigerten, den Vorschriften zu folgen. Die Erklärung des Gerichtes sollte also als eine Warnung gegen jeden Widerstand dienen.

Als die Sprecherin des Außenministeriums, Hua Chunying, bei der täglichen Pressekonferenz am 3. Februar 2020 [13] darüber berichtete, dass die chinesische Regierung „die Vereinigten Staaten seit dem 3. Januar insgesamt 30 Mal über die Epidemie und [Chinas] Kontrollmaßnahmen informiert habe”, rief dies online viel Spott hervor, denn die chinesischen Bürger*innen erfuhren erst am 20. Januar durch das CCTV-Interview mit dem Lungenspezialisten Dr. Zhong Nanshan [14] von dem Ausbruch. Die Bevölkerung war aufgebracht, dass selbst bei einem solchen Ausbruch die KCP-Führung die politische Propaganda weiterhin als wichtiger einschätze, als die wesentlich wichtigere öffentliche Verantwortung.

Dr. Li Wenliang und die Forderung nach polititschen Reformen

Die Nachricht vom den Tod Dr. Li's und die Forderungen nach politischen Reformen resultierten ebenfalls in Zensuren. Die Untersuchung CitizenLab identifizierte 26 Wortkombinationen in dieser Kategorie, darunter „Coronavirus + menschliche Übertragung + Li Wenliang” (冠状病毒+人传人+李文亮), „Epidemie + Farben-Revolution + Li Wenliang”( 疫情+颜色革命+李文亮), „Epidemie + Virus + Li Wenliang + Zentralregierung (疫情+病毒+李文亮+中央), „Wuhan + 5 Forderungen” (武汉+五大诉求) und „Wuhan + Befreiung” 武漢+光復. Die „5 Forderungen” und „Befreiung” wurden den Protesten 2019 in Hongkong [15]übernommen. Nach dem Tod von Dr. Li wurde bei vielen Netizens der Ruf nach Reformierung der Meinungsfreiheit laut.

Nachrichten über den COVID-19-Ausbruch in Hongkong, Macau und Taiwan unterliegen ebenfalls der Zensur. Bei der Untersuchung wurden ungefähr 99 Wortkombinationen gefunden, die sich auf diese chinesisch sprechenden Regionen beziehen, wie zum Beispiel  Krankenhausmitarbeiter + Streik + teilweise Schließung der Grenzübergänge” (醫護人員+罷工+局部封關), „Carrie Lam + Puppe” (林鄭月娥+傀儡), „Masken + Taiwan + Export + Nation” (口罩+台灣+出口+國家), „Macau + Regierung + tragt Masken (澳門+政府+戴口罩).

In Hongkong sah sich die Regierungschefin Carrie Lam starker öffentlicher Kritik ausgesetzt, weil sie sich weigerte, die Grenzkontrollen nach den chinesischen Neujahrsfeiern zu verschärfen. Aufgrund dessen wurde spekuliert, Peking könnte mit solchen Grenzkontrollen nicht einverstanden sein. Das medizinische Personal staatlich geförderter Krankenhäuser übernahm die Führung und begann einen Streik,  [16]um die Regierung zu Grenzkontrollen zu zwingen, während die Peking-treuen Gruppen in Hongkong die staatliche Krankenhausbehörde unter Druck setzten, diese Mitarbeiter*innen zu bestrafen. In Taiwan verursachte das Exportverbot von Masken Aufruhr in den chinesischen sozialen Medien.

Spekulationen und Fakten unterliegen der Zensur

Der Bericht fand 38 Wörterkombinationen, die sich auf spekulative oder nicht-offizielle Behauptungen bezogen, wie „Wuhan Pneumonie Epidemie außer Kontrolle” (武漢肺炎疫情失控), „Wuhan + Infektion + Zehntausende” (武漢+感染+十幾萬) und “Shanghai + Hintergrund + Drogen + Virus” (上海+背景+药物+病毒).

Einige akademische Studien schätzten [17], dass der Ausbruch in Wuhan Hunderttausendene infiziert haben könnte, aber derartige Diksussionen sind in China nicht erlaubt. Obgleich offizielle am 6. März [18] veröffentliche Daten 49.797 Infektionen in Wuhan aufführten, hat die chinesische Regierung niemals zugegeben, dass die Stadt außer Kontrolle war, selbst nicht nach der Abriegelung der Stadt am 23. Januar. Viele Bewohner*innen Wuhans riefen in dieser Zeit über Weibo und WeChat um Hilfe.

Berichte von regierungsnahen Medien wurden auf WeChat mittels 23 Wörterkombinationen ebenfalls blockiert, darunter „Relevant + Krankheitsbekämpfung + Reisebann + Virus” (有关+疾病控制+旅行限制+病毒) und  „Lungenentzündung + Krankheitsbekämpfung und Verhinderung + Virus + Medizinische Fachzeitschrift (肺炎+疾病预防控制+病毒+医学期刊).

Am 1. März traten Chinas Vorschriften über die ökologische Steuerung von Online-Informationen [19] in Kraft. Diese Vorschriften bieten die rechtlichen Grundlagen, um Plattformen zu zwingen, unklar definierte “schädliche” oder “negative” Informationen [20] zu zensieren, einschließlich übertriebener Schlagzeilen, Gerede berühmter Personen, vulgäre oder sexuell zweideutige Inhalte sowie „ungeeignete Kommentare über Naturkatastrophen und umfangreiche Zwischenfälle”. 

Seit dem Ausbruch von COVID-19 bemängelten viele Kritiker*innen [21], dass die chinesischen Medien nicht in der Lage waren, die Öffentlichkeit zu warnen und zu informieren und welche Auswirkungen solche Informationsunterdrückung auf die globale Gesundheit haben wird. In seinem Bericht verdeutlichte Citizen Lab, wie notwendig es ist, dass die Weltöffentlichkeit dieses Problem offen anspricht:

Censorship of the COVID-19 outbreak is troubling, and shows the need for thorough analysis of the effects of information control during a global public health crisis. Countering misinformation and uninformed speculation related to the epidemic may help keep public fear in check and remove information that would mislead people about how best to protect themselves. However, restricting general discussions and factual information has the opposite effect and limits public awareness and response.

Die Zensur zum COVID-19-Ausbruch ist beunruhigend und weist auf die Notwendigkeit einer gründlichen Analyse über die Auswirkungen der Informationsunterdrückung während einer globalen Gesundheitskrise hin. Bekämpfung von Epidemie-bezüglichen Falschinformationen und unwissende Spekulationen mag die Angst der Öffentlichkeit besänftigen und mag irreführende Nachrichten darüber entfernen, wie sich die Menschen am besten schützen. Die Einschränkung von allgemeinen Diskussionen und fachlichen Informationen haben jedoch entgegengesetzte Auswirkungen und begrenzen die öffentliche Wahrnehmung und Reaktion.

Sehen Sie sich auch Global Voices Sonderausgabe über die globale Auswirkung von COVID-19 [22] an.