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Wie ein kostenloses Frühstück 500 Mädchen im Jemen zurück in die Schule holte

Kategorien: Nahost & Nordafrika, Westeuropa, Jemen, Spanien, Bildung, Bürgermedien, Essen, Frauen & Gender, Humanitäre Hilfe, Jugend, Kriege & Konflikte, Menschenrechte
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Schülerinnen beim Frühstück in der Schule. Foto von Faten für die spanisch-jemenitische NGO Solidarios sin Fronteras (etwa: Solidärität ohne Grenzen). Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Der Krieg im Jemen führt dazu, dass viele Familien unter einem akuten Mangel an Ressourcen [2] leiden. Viele Familien sehen sich deshalb gezwungen, ihre Töchter von der Schule zu nehmen. Oft werden Mädchen bereits im Alter von nur 13 Jahren verheiratet [3]. Eine Schule in der Hauptstadt Sanaa hat jedoch eine ganz einfache, aber effektive Form der humanitären Hilfe gefunden.

Die NGO Solidarios sin Fronteras [4] (etwa: Solidarität ohne Grenzen) mit Sitz in Spanien und dem Jemen wird fast ausschließlich von ehrenamtlichen Mitarbeitern geführt und finanziert sich hauptsächlich durch Einzelspenden [5]. In einigen Fällen betragen die Spenden nur 1€ pro Monat. Damit ermöglicht die NGO den Schülerinnen zwischen sechs und sechzehn Jahren ein ganzes Frühstück. Bevor das Projekt ins Leben gerufen wurde, ging ein Fünftel von ihnen nicht mehr zur Schule. Dann kamen nach und nach immer mehr Schülerinnen zurück. Seit September 2018 kommen nach Angaben der Gründer von Solidarios sin Fronteras wieder alle 525 Schülerinnen regelmäßig zur Schule.

Ich habe über WhatsApp mit zwei Gründerinnen der NGO gesprochen mit Eva, die ich schon vor einigen Jahren in Barcelona persönlich kennengelernt hatte und mit Faten, die im Jemen ist. Sie erklärten mir, wie das Projekt „Desayunos para educar [6]“ (deutsch: Bildung durch Frühstück) entstand. Sie baten auch darum, aus Sicherheitsgründen nicht ihren vollen Namen oder den Namen der Schule zu nennen.

Im März 2018 kam eine der Lehrerinnen der Schule wegen eines achtjährigen Mädchens, das mit jedem Tag dünner und müder wirkte, auf Faten zu. Dann kam sie plötzlich überhaupt nicht mehr zur Schule. Sie war zwar nicht das erste Mädchen, das nicht mehr zur Schule kam, aber das jüngste. Die Lehrerin sprach mit der Familie. Sie lebten in extremer finanzieller Not und hatten Angebote bekommen, ihre Tochter zu verheiraten.

Im Gespräch mit Faten fragte sich die Lehrerin, ob eine tägliche Essensration die Familien dazu bringen könnte, ihre Töchter weiterhin zur Schule zu schicken. Damit war die Idee zu dem Projekt geboren. Faten berichtet:

Most of [these girls are] daughters of workers of the textile factory, which was completely destroyed [in the bombings]. The families haven't [had any] salary for 3 years. How could they cover food expenses? […] The most important thing is that we're supporting them to complete their education. Their families [are also] happy, as keeping them at school prevents them from staying at home or getting married at such a young age.

Die meisten [dieser Mädchen sind] Töchter von Arbeitern der Textilfabrik, die [durch die Bombenangriffe] völlig zerstört wurde. Die Familien haben seit 3 Jahren keinen Lohn mehr [bekommen]. Wie sollen sie die Kosten für Lebensmittel aufbringen? […] Das wichtigste ist, dass wir sie darin unterstützen, ihre Ausbildung zu beenden. Ihre Familien sind auch glücklich, denn so lange sie zur Schule gehen, sind sie nicht zu Hause oder müssen nicht jung heiraten.

Im März 2018 erklärten die Vereinten Nationen die humanitäre Krise im Jemen zur schlimmsten auf der Welt [7]. Arbeitslosigkeit und Inflation sind weit verbreitet, sodass 80 % aller Familien verschuldet sind und 65 % können sich kaum Lebensmittel leisten [8].

Solidarios sin Fronteras beriet gemeinsamen mit einem Kinderarzt über die Zusammensetzung eines gesunden Frühstücks. Faten kauft jeden Morgen die Lebensmittel dafür. Ein Ehepaar bereitet daraus das Frühstück vor, verpackt es und transportiert es zur Schule. Auf Arbeit hat Faten 45 Minuten Pause. Dann eilt sie zur Schule, um den Lehrkräften bei der Verteilung der Mahlzeiten zu helfen. Manchmal helfen auch ihre Geschwister.

Dieselbe Philosophie steckt auch in den anderen drei Programmen der Organisation. Im Rahmen des Programms „Comida para Yemen [10]“ (deutsch: Essen für den Jemen) verteilen sie Lebensmittelpakete an besonders bedürftige Familien in den Städten Sanaa, Aden, Amrān, Raydah, Al-Hudaida, Al Dorihimi sowie an vertriebene Familien aus Taizz. „Agua para Yemen [11]“ (deutsch: Wasser für den Jemen) hält Wasserspeicher in Lagern für Binnenvertriebene in Amrān und Raydah instand und das Projekt Reconstruir Socotra [12]“ (deutsch: Wiederaufbau von Sokotra) stellt Zement für den Wiederaufbau von Häusern und den Bau von Brunnen auf der Insel Sokotra, die 2015 von Wirbelstürmen zerstört wurde, zur Verfügung.

„Was wäre, wenn wir es einfach selbst machen?“

Das vorbereitete Frühstück wird jeden Morgen in der Schule verteilt. Foto von Faten für Solidarios sin Fronteras. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Bei einer Reise in den Jemen 2012 traf Eva Faten. Eva saß in einem Café in Sanaa und beobachtete eine Geburtstagsfeier an einem Nebentisch, als das Geburtstagskind zu ihr kam und ihr ein Stück Kuchen anbot. Das war Faten. Die beiden wurden Freundinnen und haben sich seither mehrfach besucht, zum letzten Mal 2015 bei Evas letzter Reise nach Sanaa. Faten erinnert sich:

A few weeks after the war began, I was on WhatsApp (as usual) and I asked Eva, “can we do something to help?”. She answered that she would look for an organization in Spain with her friend Noèlia, and I was to look for one here in Yemen.

Ein paar Wochen nach Beginn des Kriegs war ich (wie gewöhnlich) auf WhatsApp und fragte Eva: „Können wir irgendetwas tun, um zu helfen?“. Sie antwortete, dass sie in Spanien mit ihrer Freundin Noèlia nach einer Organisation suchen würde und ich sollte hier im Jemen nach einer suchen.

Eva, die 15 Jahre Erfahrung im Bereich internationaler Entwicklungsarbeit hat, konnte keine NGO finden, die im Jemen arbeitete und der sie vertraute. So kam es, dass sie und Faten zusammen mit Evas Freundin Noèlia entschieden, noch im selben Jahr eine eigene NGO zu gründen.

Die drei Frauen sind das ehrenamtliche Führungsteam der Organisation. Eine Reihe vertrauenswürdiger ehrenamtlicher Helfer unterstützt sie in beiden Ländern bei ihrer Arbeit. Eva und Noèlia, die beide in Spanien leben, kümmern sich um die Spendensammlung. Dabei setzen sie auf die sozialen Medien [1], das Radio [13], aber auch auf Printmedien [14] und Vorträge [15], um über ihre Arbeit zu informieren und Spender zu finden. Die meisten Menschen spenden online, aber es gibt für jedes Projekt auch eine eigene Crowdfunding-Kampagne. Faten kümmert sich um die Organisation der Arbeit vor Ort  oft von ihrem eigenen Zuhause aus. Neben ihrer Arbeit für die Organisation hat jede der drei Frauen auch noch einen regulären Job.

Auf ihren Seiten in den sozialen Medien veröffentlicht die Organisation regelmäßig Fotos [16], Videos [17] und detaillierte Berichte über Neuigkeiten [18]. Sie verbreiten auch Inhalte, um den Krieg im Jemen stärker ins Bewusstsein der Menschen zu rücken, vor allem in Bezug auf die Rolle Spaniens [19] und anderer Länder, die Waffen liefern [20], die in diesem Konflikt eingesetzt werden.