Nicaraguas Regierung geht weiter gegen Demonstranten vor und die Bevölkerung gedenkt der Toten

Ausschnitt aus dem Bild von Pictoline, das öffentlich geteilt wurde, um über die Proteste in Nicaragua im April zu berichten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

Die politische Krise, die Ende April 2018 in Nicaragua begann, geht weiter. Bei den Protesten, gegen die die Behörden hart durchgreifen, wurden bisher mindestens 76 Menschen getötet. Am 24. Mai wurden die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition in Form eines „nationalen Dialogs“ ausgesetzt, was eine zweite Protestwelle auslöste.

Die Bewegung begann als Reaktion auf die Pläne der Regierung, die Sozialleistungen zu kürzen. Inzwischen fordern die Bürger den Rücktritt des nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und der Vizepräsidentin Rosario Murillo, denen zalhreiche Menschenrechtsverletzungen während der Niederschlagung der Proteste vorgeworfen werden.

Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (im Spanischen abgekürzt als CIDH) berichtete, dass es während aller Demonstrationen im April illegale Verhaftungen, Fälle von Folter und Demütigung sowie mögliche außergerichtliche Hinrichtungen gegeben habe.

Tweet: “Was ist los in Nicaragua?”

Bild: Tausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen die Änderungen der Sozialversicherung und der Rentenzahlungen zu protestieren. Die Regierung hat unabhängige Fernsehsender zensiert, Universitäten übernommen und geht mit Polizeieinheiten und bewaffneten Gruppen gegen Demonstranten vor.

Die CIDH verurteilte die Tötung von Studenten. Zu Beginn der Demonstrationen im April handelte es sich bei den Demonstranten größtenteils um Jugendliche. Auch die Presse wurde angegriffen. Ein Journalist wurde bei den Demonstrationen getötet, Nachrichtenseiten im Internet berichteten von Distributed-Denial-of-Service (DDoS)-Angriffen und mehreren Fernsehsendern wurde die Übertragung verboten.

Die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition wurden am 24. Mai von der Regierung mit der Begründung ausgesetzt, die Opposition wolle damit nur „Wegbereiter“ für einen Staatsstreich sein. Daraufhin versammelten sich die Nicaraguaner wieder zu neuen Demonstrationen. Auch Polizei und Militär sind wieder auf den Straßen zu sehen.

Seit Beginn der neuen Protestwelle wurden mindestens acht weitere Menschen getötet. Im Internet wurde ebenfalls von Angriffen durch bewaffnete Gruppen berichtet. Erika Guevara, die Amerika-Direktorin von Amnesty International, berichtet von folgendem Vorfall:

Wir haben live einen bewaffneten Angriff auf junge Studenten der Nationalen Universität für Ingenieurswesen in Managua durch bewaffnete Unterstützer der Sandinisten [Regierungspartei] dokumentiert. Bitte teilen.

#SOSNicaragua, Gedenkveranstaltungen und Berichte von Zeugen

Unter dem Hashtag #SOSNicaragua wird auf Twitter über einen Generalstreik diskutiert und Aktivisten veröffentlichen im Internet Spezialrezepte, mit denen man sich für einen langen Protesttag fit machen kann. Viele Internetnutzer teilen auch Empfehlungen für eine sichere Kommunikation online und offline.

Die Regierung forderte die Demonstranten auf, die Mobilisierung zu beenden und die Blockaden aufzuheben, die auf verschiedenen Straßen im ganzen Land aufgebaut wurden, um die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken. Die Demonstranten haben im Gegenzug die Behörden aufgefordert, die Repressionen zu beenden, inoffizielle Polizeieinheiten aufzulösen und vorgezogenen Neuwahlen auszurufen.

Angesichts der Vorfälle im April befürchten Demonstranten und Mitarbeiter von Menschrechtsorganisationen, dass sich die Gewalt im Land noch weiter verschärft, denn viele glauben, dass der einzige Ausweg aus der Krise ein Regierungswechsel ist. Im Internet zirkulieren Videos, die zeigen, wie Nicaraguaner die 2013 von Präsidentengattin und Vizepräsidentin Rosario Murillo überall aufgestellten „Lebensbäume“ niederreißen. Kritiker sehen die Metallbäume als Symbol absoluter Macht. Aktivisten haben für diese Bäume nun als symbolische Geste echte Bäume gepflanzt.

26. Mai, 17:40 Uhr: Der Chayopalo [Anspielung auf die ‚Lebensbäume‘] auf der Masaya-Straße vor dem Colegio Teresiano. Von mir gefilmt.

Auch in YouTube-Videos von Gedenkveranstaltungen und in Berichten von Zeugen auf Facebook wird um die Opfer der Gewalt getrauert. Dort finden sich auch Berichte von den Müttern von vier der im April getöteten Stundenten. Andere Nutzer diskutieren auch über die Rolle von Frauen bei den Demonstrationen und im nationalen Dialog oder denken über die Bedeutung der Proteste für die Menschen nach:

La gente apenada mira la calle, sabiendo que hace una semana a los estudiantes que luchaban cerca, los rociaban con gases lacrimógenos y en el peor de los casos, los asesinaban o apresaban (y torturaban). Hay vergüenza por no haber hecho nada […] Una anciana no para de contar lo que pasó. Trata de informar a las personas y compara esto con lo que ella vivió con Somoza. “Este es peor, este ya sabe cómo es la dictadura” […] Si algo deberíamos tener claro, es que los jóvenes no volveremos a ser los mismos. No volveremos a ver a los lugares donde ocurrió la masacre como antes.

Die Menschen betrachten die Straße voller Sorge und in dem Wissen, dass dort vor einer Woche Studenten ganz in der Nähe mit Tränengas beworfen und im schlimmsten Fall getötet oder ins Gefängnis gebracht (und gefoltert) wurden. Man schämt sich, dass man nichts dagegen getan hat […]. Eine ältere Dame muss immer wieder erzählen, was passiert ist. Sie versucht, den Menschen zu erzählen [was passiert ist] und vergleicht es mit Somoza, [der Familie, die Nicaragua von 1936 to 1979 als Diktatur regierte]. „Dieser hier ist schlimmer. Dieser hier weiß, wie eine Diktatur funktioniert.“ […] Eins ist jetzt schon klar: Die Jugend wird nie wieder die selbe sein. Wir werden die Orte, an denen das Massaker stattfand, nie wieder mit den selben Augen sehen.

Unterstützer der Regierung beschimpften die Demonstranten im Internet als „Terroristen“ und „Kriminelle“. Gedenkplakate auf den Straßen wurden abgenommen, Aktivisten haben jedoch versprochen, sie immer wieder aufzuhängen:

Wenn sie sie tausendmal abreißen, hängen wir sie eben tausendmal wieder auf.

Auf Twitter and Facebook helfen künstlerische Ausdrucksformen und kreative Initiativen, der komplexen Mischung aus Trauer, Hoffnung und Furcht, die viele Nicaraguaner fühlen, Ausdruck zu verleihen:

Weil wir Nicaragua lieben! Weil wir Frieden wollen! Eine Hommage an die Studenten, die nun tot sind und an den Schmerz der Familien, die zurückgeblieben sind und um sie trauern! Wir mussten schnell etwas organisieren, aber wir haben es geschafft. Danke an alle Tänzer und Eltern, die [uns] unterstützt haben.

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