Argentinien zählt die Stunden bis zur Abstimmung über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Die „grüne Flut“ – so der Name der Befürworter der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – vor dem argentinischen Kongress. Foto von der Facebook-Seite der Nationalen Kampagne für ein Recht auf eine „legale, sichere und kostenfreie Abtreibung“, das online vielfach geteilt wurde.

Am 13. Juni stimmen die Abgeordneten des Unterhauses des argentinischen Kongresses über einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ab. Offiziell hat die Debatte darüber bereits im März begonnen – ein historischer Meilenstein im langen Kampf für die reproduktiven Rechte in Argentinien.

Im Vorfeld waren im Abgeordnetenhaus zwei Monate lang sowohl Befürworter als auch Gegner angehört worden. Im Verlauf der Debatte wurde der Gesetzentwurf in einigen Punkten angepasst, um die Stimmen unentschlossener Abgeordneter zu gewinnen. Zu den wichtigsten Änderungen gehört die Möglichkeit für Ärzte, die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen aus Gewissensgründen abzulehnen. Krankenhäuser sind jedoch verpflichtet, auch ausgebildetes Personal zu haben, das einverstanden ist, die Eingriffe durchzuführen. Außerdem benötigen Frauen unter 16 Jahren die Einwilligung ihrer Eltern oder ihres Vormunds.

Währenddessen findet online und offline noch eine andere Debatte statt. Seit April demonstrieren verschiedene Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftliche Gruppen auf Initiative der Nationalen Kampagne für ein Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung mit grünen Tüchern als Symbol für ihren Kampf vor dem Kongress. Ihre Botschaft lautet „Sexualerziehung, um eine Wahl zu haben; Verhütungsmittel, um Abtreibungen zu vermeiden; legale Abtreibungen, um Todesfälle zu verhindern“. Gleichzeitig demonstrierten aber auch verschiedene religiöse Organisationen und Abtreibungsgegner unter dem Motto „Beide Leben retten“ gegen das Gesetz.

Für den 13. Juni wurde eine Nachtwache vor dem Kongress geplant, während drinnen die Abgeordneten im Unterhaus beraten. Verschiedene Umfragen zeigen, dass große Teile der Bevölkerung den Gesetzentwurf unterstützen. Sogar der renommierte Journalist Eduardo Feinmann, ein leidenschaftlicher Abtreibungsgegner, führte auf Twitter eine kurze Umfrage durch, zeigte sich dann aber unzufrieden mit dem Ergebnis:

„Umfrage: Sind Sie für oder gegen legale, sichere und kostenfreie Abtreibungen?“ [78% dafür, 16% dagegen, 6% unentschlossen].

Die Analyse des voraussichtlichen Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten zeigt aktuell jedoch eine leichte Mehrheit gegen die Legalisierung. In vielen Fällen ist allerdings auch noch völlig unklar, wie die Abgeordneten abstimmen werden, entweder weil die Abgeordneten sich wirklich noch nicht festgelegt haben oder weil sie ihre Meinung aus Angst vor Druck oder Bedrohungen lieber für sich behalten.

Der letzte Tag der offiziellen Debatte war durch eine eindringliche Rede des Gesundheitsministers Adolfo Rubinstein geprägt, der sich für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aussprach:

Llevamos 35 años de democracia. El aborto es un tema que ha estado escondido bajo la alfombra. […] La evidencia es muy sólida respecto a que la despenalización reduce la mortalidad materna y el número de abortos totales. De alguna manera tenemos que actuar.

Wir leben seit 35 Jahren in einer Demokratie. Abtreibung ist ein Thema, das unter den Teppich gekehrt wird. […] Die Beweise sind eindeutig: Eine Entkriminalisierung führt zu weniger Müttersterblichkeit und zu weniger Abtreibungen. Wie müssen in irgendeiner Weise handeln.

Sollte der Gesetzentwurf vorläufig angenommen werden, wird er dem Senat vorgelegt, wo es aber im Moment eine deutliche Mehrheit gegen die Legalisierung gibt. Diese Tendenz könnte sich aber noch ändern, je nach dem wie das Ergebnis der Debatte im Unterhaus ausfällt, wo die unentschiedenen Mitglieder eine entscheidende Rolle spielen.

„Ich bin nur eine von vielen Frauen mit einem grünen Tuch, die auf den Kongress schaut“

Es ist unmöglich, den Einfluss der öffentlichen Meinung in den Umfragen aber auch in Form verschiedener persönlicher Geschichten, die online geteilt werden, zu ignorieren.

In einer davon berichtet eine Frau ausführlich über die rechtlichen und bürokratischen Hindernisse, mit denen sie sich konfrontiert sah, als sie einen medizinisch notwendigen Schwangerschaftsabbruch benötigte. Sie nennt die Namen der Ärzte zwar nicht in der Öffentlichkeit, aber sie beschreibt, wie einige sich weigerten, ihr zu helfen und wie ein Arzt eine unverschämte Summe Geld für den Eingriff verlangte:

Mi cabeza y mi cuerpo no habían logrado resetearse y seguían aún con la angustia grabada de aquél momento en el que en vez de recibir la ayuda y contención médica e institucional que necesitaba, me encontré saltando al vacío sin red. Cuando dormía tenía pesadillas con el Dr. N y el Dr. B. […] No puedo dejar de pensar en el médico B. Sobre todo después de verlo en el Congreso argumentando a favor de la vida.

Mein Kopf und mein Körper hatten sich noch nicht erholt. Ich fühlte noch die gleiche Angst wie in dem Moment, als ich statt der Hilfe und Unvoreingenommenheit der medizinischen Einrichtung und der Ärzte, die ich gebraucht hätte, den Sprung ins Ungewisse wagen musste. Wenn ich schlief, hatte ich jedes Mal Alpträume von Dr. N. und Dr. B. […] Ich muss immer wieder an Dr. B. denken. Vor allem nachdem ich ihn im Kongress gesehen habe, wie er sich für das Leben aussprach.

Sie beendet ihren Bericht mit den Worten:

Siento que nos estamos jugando mucho en estos días. Algunas amigas me dan valor, como si me dieran la mano, como aquélla vez […] Soy sólo un pañuelo verde más mirando al Congreso y pidiéndole que vote la legalización del aborto.

Ich habe das Gefühl, dass ich in den letzten Tagen viel riskiert habe. Ich habe ein Paar Freundinnen, die mich unterstützen. [Es fühlt sich an,] als würden sie meine Hand halten, [so wie] auch an diesem Tag […] Ich bin nur eine von vielen Frauen mit einem grünen Tuch, die auf den Kongress schaut und ihn bittet, für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu stimmen.

Auf Twitter haben Nutzer sich eindringlich zum Thema geäußert und vielfältige Meinungen zugunsten des Gesetzentwurfs zum Ausdruck gebracht:

Die UN hat die Kriminalisierung von Abtreibungen als Foltermethode definiert. Wenn der Gesetzentwurf nicht angenommen wird, dann sind alle Abgeordneten, die dagegen gestimmt haben, für diese Folter und die eventuellen Todesfälle verantwortlich. Sie werden jede einzelne Frau, die verblutet, auf dem Gewissen haben. Abtreibungen werden vorgenommen, entweder legal oder illegal.

[Wenn jemand sagt] „Ich bin nur bei Vergewaltigungen für legale Abtreibungen, wenn nicht, dann sind sie eben angeschissen, dass sie die Beine breit gemacht haben“, dann geht es ihm in Wirklichkeit gar nicht darum, „beide Leben“ [zu retten] [wie die Abtreibungsgegner sagen]. So jemand will einfach nur Frauen bestrafen, oder? Legale oder illegale Abtreibung, das ist hier die Frage.

Wenn der Gesetzentwurf angenommen wird, wäre Argentinien das zweite Land in Lateinamerika, das sich dem weltweiten Trend zur Legalisierung oder Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen anschließt. Das erste Land in der Region, das diesen Schritt machte, war Uruguay 2012. Infolgedessen sank die Müttersterblichkeitsrate auf den zweitniedrigsten Stand in Lateinamerika.

Lasst uns das Land werden, das wir sein wollen. Ein Land ohne Korruption, das in der Welt integriert ist, mit einer verantwortungsvollen Makro-Ökonomie, sozialer Sicherung, politischem Dialog. Und legalen Abtreibungen.

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