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Vom größten Wasserkraftwerk der Welt bedroht: indigene Gemeinschaft Paraguays kämpft um Bleiberecht

Kategorien: Lateinamerika, Paraguay, Bürgermedien, Indigene

Das indigene Volk Ava Guaraní am Fluss Paraná in Paraguay kehrte zu seinen Ländereien zurück. Ihnen wurde gesagt, dass der gigantische Stausee Itaipú diese komplett überfluten würde – am Ende waren sie nur teilweise überschwemmt. Foto: Zulema Malky, mit Erlaubnis verwendet.

Dieser Beitrag ist eine verkürzte Version der Reihe von Kurtural [1] und wird auf Global Voices mit der Erlaubnis und Teilnahme seiner Autoren neu veröffentlicht. Er ist der erste Teil der Serie “Vertriebene gehen nicht in den Supermarkt [2]“, die ebenfalls auf Global Voices erscheinen wird.

Cristóbal Martínez erlebte bereits zum zweiten Mal, wie seine Gemeinde vom Itaipú, dem größten Wasserkraftwerk der Welt [3], vertrieben wurde. Das indigene Volk Ava Guaraní der Gemeinschaft Sauce in Paraguay lebt mit und am Wasser. Mit Hab und Gut waren sie in die letzten Berge ihres angestammten Territoriums geflohen und mussten von dort mit ansehen, wie das Polizeifeuer, ihren tapỹi – ihr Dorf – in Schutt und Asche legte. Doch dieses Mal verließen sie ihren Fluss, den Río Paraná [4], nicht.

Am Morgen des 30. September 2016 marschierten zwölf Patrouillen – darunter Agenten der Spezialeinheit der Nationalpolizei, ein Trupp der berittenen Polizei und Beamte des paraguayischen Instituts der Indigenen Völker (Indi) – ins Dorf ein, fanden aber niemanden vor.

Männer, Frauen, Kinder und ältere Menschen suchten Zuflucht in der Nähe des Flusses Paraná, den sie bis Ende der 70er Jahre im Gebiet des Alto Paraná östlich von Paraguay bei Brasilien bewohnt hatten. Für die Guaraní ist das Yvy Marãe'ỹ oder “Land ohne Böses” ein Ort in dieser Welt, an dem sie glücklich sein können. Für die Gemeinde in Paraguay hat dieser Ort Wasser, viel Wasser: es ist das Gebiet um den Río Paraná, den zweitlängsten Fluss Südamerikas.

Für Cristóbal Martínez, den Anführer der Gemeinschaft, ist das Wort des weißen Mannes wertlos, und die Lügen in den Schriftstücken mitunter gefährlich. Dies war der Fall bei einer gerichtlichen Räumungsverfügung, die am 13. September 2017 von Richter Emilio Gómez Barrios auf Ersuchen von Germán Hutz, einem mächtigen Sojaproduzenten und Schwager des Vizepräsidenten von Paraguay, Juan Afara, unterzeichnet wurde.

Seit die Ava Guaraní nach Sauce zurückgekehrt waren, erhielt Cristóbal Martínez mehrere Drohungen und ihm wurden Bestechungsgelder von bis zu fünfzigtausend Dollar seitens des Sojaherstellers angeboten. Martínez erzählt, dass sogar die Institution Indi, die sich eigentlich für die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzt, ihm Geld und Land angeboten hätten. Nachdem er das aber ablehnte, zog die Institution die versprochene Hilfe zurück.

In den Jahren des Baus vom Itaipú wurden mehrere Rettungsaktionen für bedrohte Tiere durchgeführt; niemand aber erwähnte die vertriebenen indigenen Völker. Foto: Zulema Malky, mit Erlaubnis verwendet.

Die Ursprünge eines binationalen Giganten

Das größte Symbol des Fortschritts für die Militärdiktatur von Alfredo Stroessner war das Wasserkraftwerk Itaipú. Im April 1973 unterzeichnete Stroessner mit dem General Emilio Garrastazú Médici, dem damaligen Präsidenten Brasiliens, den Vertrag von Itaipú [5]. Der US-amerikanische Einfluss in den Militärdiktaturen der damaligen Zeit versprach große Kredite, und das Großprojekt war keine Ausnahme. Auf einen entsprechenden Baubeschluss ließ sich also nicht lange warten und es wurde sehr bald mit dem Bau begonnen.

So wurde der paraguayisch-brasilianische Koloss zum wichtigsten Projekt in der Geschichte beider Länder erklärt.

Insgesamt 38 indigene Gemeinschaften, 688 Familien, wurden mit der Enteignung von 165.000 Hektar Land für den Bau des Itaipú-Damms aus ihren Gebieten vertrieben. Aus einem Bericht der Firma selbst geht hervor, dass die Familien nicht entschädigt wurden und das Territorium nur teilweise besetzt wurde.

Weiter heißt es, dass in den Jahren des Baus zahlreiche Rettungsaktionen für Tiere in den betroffenen Regionen durchgeführt wurden. Doch kein einziges Mal wird von irgendeiner Rettungsaktion für die vertriebenen indigenen Völker gesprochen, noch von der Erfüllung der in dem Bericht aufgeführten Verpflichtungen der Firma.

Das Leiden der Ava Guaraní auf der paraguayischen Seite wird nicht einmal im Abschlussbericht der nationalen Kommission für Aufklärung und Gerechtigkeit [6] erwähnt, die sich für eine Entschädigung der Opfer der Diktatur zwischen 2002 und 2008 einsetzte.

Wiedergeburt an den Ufern des Paraná

Die vertriebene Gemeinde von Sauce vergaß trotz aller Geschehnisse nicht das Versprechen, dass ihnen ihr Land zurückgegeben würde. Die Rückkehr war ein viel diskutiertes Thema zwischen Cristóbal Martínez und seiner Gefolgschaft und bald begannen sie, auf Expeditionen Informationen über den Zustand ihrer Ländereien zu sammeln.

Das Gerücht von der Existenz von mehr als 1000 Hektar Staatsgebietes vor dem Limoy-Reservat von Itaipú verleitete sie zu einem gewagtem Schritt: nach mehr als 30 Jahren kehrten die Ava Guaraní im August 2015 nach Sauce zurück. Die Familien bauten ihre Häuser, ihre Bauernhöfe, Wasserbrunnen und Hühnerställe wieder auf. Die Gemeinde wurde wiedergeboren, und so auch das Leben des indigenen Volkes in seinen Ursprüngen, am Fluss Paraná.

Fast vierzig Jahre nach der Vertreibung ist die Gemeinschaft Sauce an ihren Ursprungsort zurückgekehrt: sie wollen die Natur und das Recht, mit ihr in Harmonie zu leben, verteidigen. Foto: Zulema Malky, mit Erlaubnis verwendet.

Fast ein Jahr nach der gewaltsamen Vertreibung zog sich die Gemeinschaft am 18. August 2017 vom Verhandlungstisch zurück, weil keine der Institutionen ihre Versprechen einhielt. Sie fordern jedoch weiterhin die Wiederherstellung ihres Hoheitsgebiets und, dass der Staat seinen Verpflichtungen nachkommt.

Das Überleben der Gemeinschaft hat oberste Priorität. Mit diesem ständigen Ziel im Blick verteidigen die Mitglieder ihr Hoheitsrecht in der Region – zumal es ihnen unmöglich erscheint, eine bereits gebrochene Vereinbarung zu respektieren.