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Nach 121 Jahren tritt in Brasilien eine indigene Sängerin im Teatro Amazonas auf

Kategorien: Lateinamerika, Brasilien, Bürgermedien, Ethnie & Rasse, Frauen & Gender, Indigene, Kunst und Kultur, Musik
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Djuena Tikuna beim Auftritt im Teatro Amazonas. Bild: Screenshot, Jornalistas Livres (YouTube)

Am 23. August trat Djuena Tikuna [2] als erste indigene Sängerin im Teatro Amazonas [3] auf, einer Bastion der europäischen Kultur, die sich inmitten des größten Regenwaldes der Welt befindet.

Die 32-jährige Interpretin stand bei der Veröffentlichung ihres selbst produzierten Albums Tchautchiüãne, was auf Ticuna soviel bedeutet, wie „Mein Dorf“, im Mittelpunkt. Inspiriert wurde ihr Werk durch den Kautschukboom, welcher an der Wende zum 20. Jahrhundert das Amazonasgebiet für immer verändern sollte.

Djuena, Angehörige des Ticuna-Volkes, der größten indigenen Bevölkerungsgruppe Brasiliens, sieht sich als „Sängerin der indigenen Bewegung“. Ihre Liedtexte sind geprägt von aktivistischem Enthusiasmus: sie handeln von Themen, die ihrem Volk am Herzen liegen, wie zum Beispiel die Umwelt und die Demarkierung von Territorien. Die Texte werden zudem ausschließlich in der Sprache der Ticuna gesungen, was für die Sängerin [4] eine politische Entscheidung darstellt:

Alguns povos não falam mais a sua língua. Já pensou se canto em português? Os jovens que estão me assistindo vão querer me imitar. Mesmo na cidade, temos de manter a língua e a identidade.

Einige Völker sprechen ihre eigene Sprache nicht mehr. Können Sie sich vorstellen, ich würde auf Portugiesisch singen? Die Jugendlichen, die mir zuschauen, werden mich imitieren wollen. Auch in den Städten müssen wir unsere Sprache und Identität aufrechterhalten.

Um zu verstehen, was der Auftritt der Sängerin für die Ureinwohner Brasiliens bedeutet, ist es sinnvoll, sich die Geschichte des Teatro Amazonas vor Augen zu führen.

Das Gebäude im Zentrum von Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, wurde vom Portugiesischen Institut für Ingenieurswissenschaften und Architektur in Lissabon entworfen und im Jahr 1896 während des Höhepunkts der Kautschukgewinnung in der Region eröffnet.

Zu einer Zeit, als die Automobilindustrie ihre ersten Schritte machte, erwies sich die Entdeckung des Kautschuks, das aus dem Kautschukbaum, einem für das Amazonasgebiet typischen Baum, gewonnen wurde, als ein außerordentlich lukratives Geschäft und lockte eine Schar von Investoren, Abenteurern und Arbeitern aus anderen Teilen Brasiliens an.

Der Reichtum, welchen diese Industrie, die für die Latex-Gewinnung aus den Bäumen Techniken der indigenen Bevölkerung nutzte, hervorbrachte, machte die Hauptstädte der Bundesstaaten im Norden Brasiliens zu den fortschrittlichsten des Landes und wurde für die Finanzierung des Baus des Teatro Amazonas genutzt. Dieser wurde von der neuen lokalen Elite vorgeschlagen und durch die Arbeitskraft indigener Völker bewerkstelligt.

Die Wandlung der indigenen Einwohner in arme Arbeiter war nicht die einzige Wunde, welche die Kautschukindustrie hervorbrachte: Diese Zeit war geprägt von Massenvertreibungen diverser Stämme aus ihren Heimatregionen.

Trotzdem dauerte es 121 Jahre, bis eine indigene Interpretin auf der Bühne eines der wichtigsten Vermächtnisse dieser Zeit auftreten würde.

Der Amazonas gehört zu den Bundesstaaten mit der höchsten Anzahl indigener Bevölkerungsgruppen – dieser Anteil beträgt ungefähr 17 % [5] der 896.000 indigenen Einwohner, die heute in Brasilien leben, einem Land, dessen Gesamtbevölkerungszahl sich auf 200 Millionen Menschen beläuft.

Laut Djuena ist das Volk der Ticuna ein „sehr musikalisches Volk“. Sie selbst hat von ihrer Mutter das Singen gelernt, diese hat es von der Großmutter gelernt und diese wiederum hat es von ihren Vorfahren gelernt.

Als Kind zog sie weg von ihrem Dorf nach Manaus. In einem Bericht auf der Seite Jornalistas Livres, in welchem auch Ausschnitte der Aufführung gezeigt werden, erzählt sie, dass sie die Idee bekam, ihre Aufführung im Teatro Amazonas zu verwirklichen, weil sie sich selbst fragte: „Wieso darf ich eigentlich nicht im Teatro Amazonas singen? Weil ich Ureinwohnerin bin?“

Ergänzend fügt sie hinzu:

Quando eu cantei no palco do Teatro Amazonas com eles, que nós batemos os pés, é uma forma de eu estar dizendo: estamos aqui, parentes. Vocês sofreram por causa dessa construção, mas nós estamos aqui, vamos continuar aqui lutando e vamos continuar aqui resistindo.

Als ich mit ihnen im Teatro Amazonas gesungen habe und wir mit den Füßen stampften, war das für mich ein Weg zu sagen: Verwandte, wir sind hier. Ihr habt durch diesen Bau gelitten, aber wir sind hier, und wir werden hier weiterkämpfen und weiterhin Widerstand leisten.