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Zum Welttag der Poesie: ein paar Verse direkt aus dem Herzen Persiens

Kategorien: Zentralasien & Kaukasus, Afghanistan, Aserbaidschan, Iran, Tadschikistan, Türkei, Bürgermedien, Frauen & Gender, Geschichte, Ideen, Kunst und Kultur, Literatur, Sprache, The Bridge

Aserbaidschanische Volkskunst basierend auf Layla and Majnun, einer poetischen Erzählung von Nizami Ganjavi. CC von 3.0.

Wie würde jemand in Tadschikistan, der einzigen Persisch sprechenden Republik der ehemaligen Sowjetunion, einen gemütlichen und geselligen Abend im Kreise von Freunden und Familie beschreiben?

Vielleicht würde er oder sie das Wort dilafruz verwenden, das wortwörtlich „das Herz befeuern“ bedeutet.

Hätte diese Person die Nacht jedoch allein und deprimiert verbracht, wäre das gewählte Wort vielleicht diltang, was so viel heißt wie „das Herz verengen“.

In einem Land, wo Dichtkunst im Blut liegt, gibt es Dutzende verschiedene Arten, den Zustand des sich Verliebens auszudrücken. Man kann ein dil bastan, ein gebundenes Herz, oder ein dil gum zadan, ein rasendes Herz, haben.

Dementsprechend kann die Person, die diesen Zustand hervorruft, als dilrabo (Herzensdieb) bezeichnet werden. Dil khunuk shudan bedeutet, jemandes Herz einzufrieren – eine etwas dramatische Art auszudrücken, dass jemand einen Korb bekommt.

Sprachen voller Herz – und Verse!

Die tadschikische Sprache ist eng mit den indoiranischen Sprachen verwandt, die im Iran (Farsi) und in Afghanistan (Dari) gesprochen werden. In Farsi ist das literarische Wort für Herz näher an der Ausprache von del. Das Wort dil bedeutet in Dari dasselbe wie im Tadschikischen.

Die markierten Gebiete auf der Weltkarte (angepasst von Mani1 [1]) zeigen, wo Persisch gesprochen wird. Creative Commons.

Die oben stehende Weltkarte verdeutlicht, dass in weiten Teilen des eurasischen Raums dil („дил“ im kyrillischen Alphabet, welches immer noch in Tadschikistan verwendet wird) das Herzstück einer reichen dichterischen Tradition ist, die mindestens bis ins erste Jahrtausend nach Christus zurückreicht.

Einer der berühmtesten Anhänger dieser Tradition war Jalaluddin Rumi, ein wandernder Schriftsteller und Philosoph aus dem 13. Jahrhundert, der von allen Persisch sprechenden Völkern verehrt wird [2].

Ҳар чӣ дар дил дорӣ аз макру румуз,

Пеши мо расвосту пайдо ҳамчу рӯз

Welche Geheimnisse und Lügen du auch in deinem Herzen trägst,

Wir sehen sie alle, wie den Tag mit unseren Augen

Das Herz hat keine Heimat…

Rumis Romantik wird jedoch von Nizami Ganjavi, einem Barden, der ein Jahrhundert vor ihm wirkte, in den Schatten gestellt.

Ganjavi (sein Name bedeutet wörtlich Nizam von Ganja) wurde in der Stadt Ganja, Teil des heutigen Aserbaidschan, gefeiert.

Im Folgenden sind Reimpaare seines epischen Werks Chosrau und Schirin [3]aufgeführt, in dem der Sassanidenherrscher [4] Chosrau bei einem Dichtwettbewerb gegen seinen Nebenbuhler Farhad antritt, im Kampf um das Herz der armenischen Prinzessin Schirin.

Бигуфт: Аз дил шудӣ ошиқ бад-ин сон?

Бигуфт: Аз дил ту мегўӣ, ман аз ҷон.

Бигуфто: Ишқи Ширин бар ту чун аст?

Бигуфт: Аз ҷони ширинам фузун аст!..

Бигуфто: Дил зи меҳраш кай кунӣ пок?

Бигуфт: Он гаҳ, ки бошам хуфта дар хок…

Бигуфт: Аз дил ҷудо кун ишқи Ширин.

Бигуфто: Чун зиям бе ҷони ширин?

Gefragt: Hast du dich von ganzem Herzen verliebt?

Geantwortet: Du sprichst vom Herzen, ich spreche von der Seele.

Gefragt: Wann wirst du dein Herz von ihrer Liebe befreien?

Geantwortet: Wenn ich unter der Erde sein werde.

Gesagt: Verbanne Schirins Liebe aus deinem Herzen!

Gefragt: Aber wie sollte ich ohne meine teure Seele leben?

Rudaki-Denkmal in Tadschikistan. Creative Commons Flickr-Bild [5] von Julian Galbert.

Blickt man noch weiter zurück (858-941 A. D.), so findet man Rudaki aus Pandschakent (heutiges Tadschikistan), der von einigen als Vater der persischen Dichtkunst angesehen wird.

Бар ишқи туям на сабр пайдост, на дил,

Бе рӯйи туям на ақл бар ҷост, на дил!

Ин ғам, ки марост кӯҳи қоф аст, на ғам,

Ин дил ки турост, санги хорост, на дил!

Deine Liebe hat mir Geduld und Herz genommen,

Dein wunderschönes Gesicht hat meinen Geist und mein Herz abgelenkt.

Die Traurigkeit in meinem Herzen ist wie ein Berg,

Das Herz in deiner Brust ist wie ein Stein.

Im 21. Jahrhundert haben das Internet und die sozialen Netzwerke dazu geführt, dass die Anzahl der veröffentlichten Dichter, die einst zum persischen Reich gehörten, stark anstieg.

Firdaws Azam, ein tadschikischer Dichter des 21. Jahrhunderts, benutzt Facebook, um Zeilen wie diese zu posten:

Рӯзе миёни хотираҳо гумном мешавам,
Аз чашми хотирот бигирӣ суроғи дил.

Хилофи майли худам аз баҳор дил кандам
Ки додаанд ба пойизи сард пайвандам.

Eines Tages werde ich mich in Erinnerungen verlieren,
Suche nach dem Herz in Erinnerungen, meine Liebe.

Ich habe meinem Herzen gegen meinen Willen den Frühling genommen,
Weil (sie) mich an einen kalten Herbst gebunden haben.

Der Welttag der Poesie

1999 beschlossen die Vereinten Nationen, den 21. März zum Welttag der Poesie zu erklären. Es ist das Datum, an dem auch die Frühlings-Tagundnachtgleiche in weiten Teilen Eurasiens gefeiert wird.

Es ist unwahrscheinlich, dass diese Entscheidung ein Zufall war. Ein Schlüsselgedanke der UN bezüglich dieses Tages wird in einem Kommentar [6] von UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova deutlich: „Dichtung verkörpert die schöpferische Energie einer Kultur, da sie laufend erneuert werden kann“.

Für Angehörige der Persisch sprechenden Welt ist Nouruz (Neujahrs- und Frühlingsfest) eines der wichtigsten Ereignisse des Jahres. Daher zeugt es von tiefer Symbolhaftigkeit, dass der dichterischen Tradition, zu der Persien in so hohem Maße beigetragen hat, am gleichen Tag gedacht wird.

Wie es so schön heißt: „Ein Herz findet seinen Weg zu einem Herzen“.