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Roboter-Rollstuhl aus Japan bietet „Lösungen für Probleme, die Menschen mit Behinderung nicht haben“?

Kategorien: Ostasien, Japan, Bürgermedien, Gesundheit, Technologie, Wirtschaft & Handel, The Bridge
tmsuk rodem mobility robot [1]

Tmsuk RODEM-Mobilitätsroboter. Video-Screenshot, Quelle: www.tmsuk.co.jp/rodem/ [1]

Ich liebe Technologie. Ich nehme an, ich bin das, was wir in Japan „Gijutsu otaku“ (技術オタク) nennen: ein Mensch mit einer ausgeprägten Liebe zur Technologie. Vielleicht rührt das daher, dass ich zu einer Zeit aufgewachsen bin, in der es noch Großrechner gab und PCs bestenfalls mit Textverarbeitungsprogrammen oder Spielen mit sehr schlechter Grafik umgehen konnten. Ich habe zudem eine Behinderung, also stellt Technologie für mich auch eine Notwendigkeit dar. Der PC und das Smartphone sind heute unverzichtbare Bestandteile meines alltäglichen Lebens. Doch es gibt auch Hilfsgeräte, die sowohl funktionell als auch cool sind, und die Robotik ist ein Fachgebiet, welches ich mit regem Interesse verfolge. Selbstfahrende Autos können für mich definitiv nicht schnell genug da sein.

Dennoch bin ich manchmal zurückhaltend, was bestimmte technologische Entwicklungen angeht, da technologische Ambitionen hin und wieder die Bedenken zur Funktionalität überschatten können. So zum Beispiel die jüngste Innovation von Tmsuk Co. Ltd [2], einem Unternehmen mit Sitz in Munakata, in der Präfektur Fukuoka, welches Mitte Dezember 2017 einen neuartigen robotischen Rollstuhl, namens „Rodem [3]“ auf den Markt brachte. Rodem wurde vorgeblich so konzipiert, dass dem Nutzer ein einfacherer Übergang vom Rollstuhl ins Bett ermöglicht werden soll als mit dem herkömmlichen Rollstuhl im „Stuhldesign“.

„Nikkei Technology“ berichtete: [4]

The robot, “Rodem,” was developed so that the user can easily ride on the wheelchair from a bed, sofa, etc. At the time of getting on/off the robot, its seat protrudes backward and diagonally downward, and the user straddles the seat from behind. There is no backrest, but the user can lean forward to put his/her weight on the front part of the seat…The robot can be charged by using a 100V domestic power source. After being charged for eight hours, it can travel 15km or more. Its maximum speed is 6km/h.

Der Roboter „Rodem“ wurde entwickelt, damit der Nutzer auf einfache Weise vom Bett, Sofa etc. in den Rollstuhl kommt. Wenn man sich auf den Roboter setzen möchte, wird sein Sitz ausladend nach hinten und diagonal nach unten positioniert und der Nutzer setzt sich von hinten rittlings auf den Sitz. Es gibt keine Rückenlehne, der Nutzer kann sich jedoch nach vorne lehnen, um ihr/sein Gewicht auf den vorderen Teil des Sitzes zu verlagern… Der Roboter kann mit einer heimischen 100V-Stromquelle aufgeladen werden. Nachdem er acht Stunden lang aufgeladen wurde, kann der Roboter 15 km oder mehr zurücklegen. Seine Maximalgeschwindigkeit beträgt 6 km/h.

Das Gerät lässt sich per Smartphone bedienen. Den Nutzern wird so beispielsweise ermöglicht, das Gerät aus der Ferne zu steuern, es näher an das Bett heranzubewegen oder weiter vom Bett wegzubewegen.

Natürlich sind es die scheinbare Zweckmäßigkeit und der Komfort, welche „Rodem“ so attraktiv machen. Die Möglichkeit zu haben, ohne die Hilfe eines Pflegers und mit solch einem cool aussehendem Rollstuhl, aus dem Bett aufzustehen und sich ins Bett zu legen, das muss doch etwas Gutes sein, nicht wahr? „Während herkömmliche Rollstühle einen umarmen, nimmt der Rodem einen huckepack“, erklärte Yoichi Takamoto, Präsident von Tmsuk, und legte nahe, dass er das sicherlich auch so meint.

Ein Sprecher des Unternehmens gab außerdem in einem in der Daily Mail [5] erschienenen Artikel an, dass der Rodem-Roboter entwickelt wurde, um „die Barrieren zu überwinden, mit denen sich Senioren und Menschen mit Behinderung konfrontiert sehen­, [indem] die Bewegungsfreiheit im Wohnbereich der Nutzer vergrößert und ihre Lebensqualität erhöht wird.“

Der Wunsch, Barrieren zu überwinden und die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung zu verbessern, ist natürlich eine gute Sache. Jedoch sind noch nicht alle in der Gemeinschaft der Menschen mit Behinderung vollkommen von dem Rodem überzeugt.

Mik Scarlet, Rollstuhlfahrer und in Großbritannien ansässiger Experte für Zugang und Inklusion schrieb auf Twitter [6]:

So I had it with ego driven product designers telling us what we need & creating answers to problems Disabled people don't have. This won't advance accessible tech but looks good in media.

Also ich hab die Nase voll von Ego gesteuerten Produktdesignern, die uns sagen, was wir brauchen & Lösungen für Probleme liefern, die Menschen mit Behinderung nicht haben. Dies wird die barrierefreie Technologie nicht voranbringen, aber für die Medien gibt es ein gutes Bild ab.

Scarlet äußerte sich ebenso unverblümt in einem Gespräch, welches ich mit ihm über private Nachrichten per Twitter führte. Er merkte an:

Tmsuk Rodem chair proves designers have no idea about wheelchairs & their users [ …] …the bizarre concept around transferring into it indicates that very few chair users took part in the design process at all. To transfer onto the Tmsuk Rodem is much harder than the usual side transfer and there is much less support with the loss of the backrest. It works for almost no wheelchair users.

Der Rodem-Rollstuhl von Tmsuk beweist, dass Designer keine Ahnung von Rollstühlen & deren Nutzern haben […]…das bizarre Konzept rund um das Aufsitzen auf den Rollstuhl deutet darauf hin, dass sehr wenige Rollstuhlfahrer am Prozess des Designs teilgenommen haben. Sich auf den Tmsuk Rodem zu setzen, ist viel schwieriger als das gewöhnliche Hineinsetzen von der Seite und durch die fehlende Rückenlehne ist viel weniger Stütze vorhanden. Es nutzt fast keinem Rollstuhlfahrer.

Mik Scarlet erläuterte, dass der Tmsuk Rodem-Rollstuhl einfach nicht den Anforderungen entspreche, wenn sein Zweck darin bestehe, dem Großteil der Rollstuhlfahrer zu helfen. Doch für die Medien und die breite Öffentlichkeit erscheint es wie eine großartige Idee. So schwärmte [3] die Technologie-News-Seite Engadget im Dezember 2017:

The robotic wheelchair gives you a piggyback ride that not only makes it easier to climb aboard, but puts you in a high, forward-mounted position. It's easier to brush your teeth, make breakfast or just hold face-to-face conversations.

Der robotische Rollstuhl trägt einen huckepack, was nicht nur das Aufsteigen erleichtert, sondern einen auch in eine erhöhte vorverlegte Position befördert. Es ist einfacher, die Zähne zu putzen, das Frühstück zuzubereiten oder einfach nur Gespräche von Angesicht zu Angesicht zu führen.

Ich bin auch geneigt, über die Gründe hinter dem Interesse Japans an der Robotik zu spekulieren, zu welchen der Personalmangel in bestimmten Berufssparten zählen könnte. Krankenhäuser und Heimpflege gehören in Japan zu jenen Bereichen, welche stark unterfinanziert und unterbesetzt sind. Zudem nimmt in Bereichen, wie in dem des Kundenservice die Robotik eine geradezu herrschende Stellung ein. Nun sind es Mobilitätshilfen. Es ist alles sehr praktisch, jedoch scheint Praktikabilität in diesem Fall daran gekoppelt zu sein, sich nicht mit den Menschen auseinandersetzen zu müssen. Das mag gut sein für jemanden, der etwas im Laden einkaufen möchte, aber es ist, wie man sich vorstellen kann, weniger erfreulich für den Verkäufer, dessen Arbeitsplatz ersetzt wurde.

Aus dem Bett aufzustehen und sich ins Bett hineinzulegen, gehört zu den schwierigsten, jedoch essenziellen Aufgaben, mit denen sich ein Mensch mit Behinderung konfrontiert sieht, und ich bin mir sicher, dass eines Tages eine Roboter-Vorrichtung entwickelt werden wird, welche die Bedenken von Mik Scarlet und von anderen bezüglich physikalischer Gegebenheiten ausräumen und die Notwendigkeit einer Abhängigkeit der Rollstuhlnutzer von Pflegekräften vollständig überflüssig machen wird. In seiner jetzigen Form erfüllt der Rodem diese Anforderungen jedoch nicht.

Es scheint ebenso, als sei der Rodem auf die Zielgruppe der Senioren ausgerichtet, welche möglicherweise keinen Zugang zu Pflegekräften haben, insbesondere wenn sie in ländlichen Gegenden Japans leben. Dort herrscht ein besonderer Bedarf an mehr Pflegepersonal. Also stelle ich mir folgende Frage: Warum bildet man nicht mehr Pflegefachkräfte aus, anstatt neue Technologien zu entwickeln, welche sich als ungeeignet erweisen könnten?