Dieser Beitrag wurde von Kayonaaz Kalyanwala verfasst und erschien ursprünglich auf Video Volunteers, einer preisgekrönten internationalen gemeinschaftlichen Medienorganisation aus Indien. Eine überarbeitete Fassung wurde hier als Teil eines Content-Sharing-Übereinkommens erneut veröffentlicht.
In vielen Teilen Indiens vermeiden es Frauen mit größter Sorgfalt, den Namen ihrer Ehemänner oder sogar von älteren Männern in der Familie auszusprechen. Stattdessen verwenden sie ein Pronomen oder sagen ‘Vater meines Kindes’. Von Chhattisgarh bis Maharashtra und Uttar Pradesh geben Frauen zu, dass sie aufgrund des sozialen Drucks den Ehemann zu respektieren, sowie der Angst vor den Konsequenzen sollten sie die Norm missachten, diese Praxis am Leben erhalten. Letztes Jahr wurde Malati Mahatoto aus dem indischen Staat Odisha durch ein Scheingericht verurteilt und von ihrer Familie und der Dorfgemeinschaft verstoßen, nachdem sie einen angeheirateten Verwandten mit Namen angesprochen hatte.
Die Tradition ihre Ehefrauen ebenfalls nicht beim Namen zu nennen, ist auch unter Männern verbreitet. Allerdings haben sie weitaus weniger Zurechtweisungen zu befürchten, wenn überhaupt welche, sollten sie dieser Praxis nicht nachkommen.
In dem kleinen Dorf Walhe im Bezirk Pune, in Maharashtra, traten neun Frauen, darunter Gesundheitspersonal sowie Hausfrauen, einem einzigartigen Klub bei und wurden somit schnell zum Hauptgesprächsthema der Stadt. Es ist ein Ort nur für sie allein, an dem sie die Feinheiten des Patriarchats besprechen und diskutieren können. Als einer von 56 Klubs, die es in 13 indischen Staaten gibt, ist er Teil der Kampagne #KhelBadal, die von der Gemeinschaft Video Volunteers betrieben wird und sich für den Abbau des Patriarchats einsetzt. Rohini Pawar arbeitet seit sieben Jahren mit Hilfe ihrer Videokamera an der Aufdeckung von Praktiken, wie Kinderheirat bis hin zur Verbannung von HIV- und AIDS-Infizierten, und leitet diese Klubs. Sie berichtet davon, wie diese Klubs einen sicheren Ort für diese Frauen geschaffen und sie gleichzeitig zu Botschafterinnen des Wandels gemacht haben.
Das erste Video, das Rohini in ihrer Diskussionsrunde zeigte, handelte von Frauen, die ihre Ehemänner nicht beim Namen nennen. Sie hat sich für dieses Thema entschieden, weil sie das Gespräch über das Patriarchat mit einem Problem eröffnen wollte, mit dem sich die Frauen leicht identifizieren können. Den Namen ihrer Ehemänner nicht laut auszusprechen, ist ein Brauch, den sie alle pflichtschuldig aufrechterhalten und nie in Frage gestellt haben. Rohini meint:
This custom indicates that a woman respects her husband and wants him to live a long life. A woman who doesn’t follow it will be seen as cunning, a woman with no morals. The tradition is so deeply rooted that we hadn’t given it thought until this discussion club.
Diese Tradition bezeugt, dass eine Frau ihren Ehemann respektiert und ihm ein langes Leben wünscht. Eine Frau, die dies nicht einhält, wird als hinterlistig angesehen, als Frau ohne Moral. Die Tradition ist so tief verwurzelt, dass wir uns bis zu dieser Diskussionsrunde nie Gedanken darum gemacht haben.
Zu Beginn wollte Rohini, die ihren Ehemann bisher ebenfalls nie beim Namen genannt hatte, bei sich zu Hause ausprobieren, wie es läuft. Sie zeigte das Video der Diskussionsrunde ihrem Ehemann und ihrer Schwiegermutter. Rohini erzählt:
My mother-in-law and husband were quiet for a long time after the video ended. Prakash, my husband, turned around and told me to call him by his name from then on.
Meine Schwiegermutter und mein Mann schwiegen noch lange, nachdem das Video zu Ende war. Prakash, mein Ehemann, drehte sich zu mir um und sagte, ich solle ihn von jetzt an bei seinem Namen nennen.
Mit diesem Selbstvertrauen im Gepäck startete Rohini ihren ersten Diskussionsklub. Viele Frauen hatten das Wort ‘Patriarchat’ noch nie zuvor gehört. Manche glaubten, dass es eine gute Sache sei, weil es bedeutete, dass die jüngeren Mitglieder einer Familie, vor allem Mädchen und Frauen, geschützt würden. Zu Beginn der Runde zeigte Rohini ein Video über das Problem in Uttar Pradesh. Nach der Videoprojektion versuchten die Frauen, die Diskussion mit einer Übung in Gang zu bringen. Rohini bat jede Teilnehmerin, den Namen ihres Ehemann mit verschiedenen Gefühlen zu sagen – glücklich, verärgert, traurig, liebevoll und so weiter. Dann fragte sie alle, “Wenn wir den Namen unserer Ehemänner nicht sagen können, aber sie uns nennen können wie sie wollen, bedeutet das, dass sie uns nicht respektieren? Sollte es nicht gleichwertig sein?”
“Manche dieser Frauen sind seit 30 Jahren verheiratet und dies war der erste Tag, an dem sie den Namen ihrer Ehemänner über die Lippen brachten,” sagt Rohini Pawar aus dem Dorf Walhe in Maharashtra über das Brechen einer jahrhundertealten Tradition, in der verheiratete Frauen den Namen ihrer Ehemänner niemals aussprechen dürfen. Rohini erzählt:
During the activity, one woman was so shy she just giggled for the duration of the exercise; another decided to vent all her cumulative frustration against him and his family by cursing him. The look on their faces was ecstatic. I don’t think I’ll ever forget it.
Eine Frau war so schüchtern, dass sie während der ganzen Übung nur vor sich hin kicherte; eine andere entschied sich dazu, die ganze angestaute Frustration gegen ihn und seine Familie herauszulassen, indem sie ihn verfluchte. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern war ekstatisch. Ich denke, ich werde es nie wieder vergessen.
Noch im Adrenalinrausch darüber, mit einem uralten Brauch gebrochen zu haben, entschieden die Frauen, dass sie zu Hause tatsächlich versuchen würden, ihre Ehemänner beim Namen zu nennen. Und sie hielten ihr Wort. In den nächsten Tagen erhielt Rohini eine Vielzahl an Berichten.
Der Ehemann einer Frau rief Rohini an und fragte, welche Ideen sie den Frauen in den Kopf setzte: Seine Frau konnte nicht damit aufhören, seinen Namen zu sagen. Ein anderes Klubmitglied entschied sich dafür, es beim Abendessen vor der gesamten Familie zu tun. Als ihre Schwiegermutter sie anstarrte, bekam sie Angst und sagte, dass es ein Fehler war. Eine andere Frau sagte: “Rohini meinte, ich solle es tun.” Ein Ehemann einer Teilnehmerin war weniger verständnisvoll und die Situation artete in Gewalt aus.
Rohini berichtet, wie Frauen versucht haben, andere Praktiken zu stoppen, wie zum Beispiel das Tragen des zinnoberroten Punktes auf der Stirn, der den Ehestatus anzeigt:
Why do only women have to show that we’re married? I told my husband that if he’d wear vermillion, I’d do it too. He just laughed, and I’ve stopped wearing it.
Warum müssen nur Frauen zeigen, dass sie verheiratet sind? Ich sagte zu meinem Mann, dass ich den zinnoberroten Punkt tragen würde, wenn er es auch täte. Er lachte nur und ich hörte damit auf, ihn zu tragen.
Die anderen Frauen haben nicht komplett damit aufgehört, aber meinen, sie seien nun in einer besseren Position, selbst zu wählen, ihn an manchen Tagen nicht zu tragen.
Für viele Frauen ist der Diskussionsklub ein sicherer Ort, an dem sie ihre Meinungen und Ziele austauschen können. “Wir machen bei jedem Diskussionsklub einen Ausflug. Normalerweise packen wir Mittagessen und Wasser ein und gehen hinaus aufs Feld. Ich möchte nicht, dass sich die Frauen sorgen machen, wer was hören könnte”, sagt sie. In den letzten Monaten feierten sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihre eigenen Geburtstage mit Kuchen; sie tanzten und sangen und redeten über Dinge, über die sie sich vorher nie Gedanken gemacht hatten.
Rohini sagt:
I have worked on these issues for so many years and even I haven’t talked about some of these things, like how our identities are tied to our husbands’, this honestly. It feels great to be able to say some things out loud, no matter how small they seem.
At one discussion club, we were talking about the concept of honour and how it is related to clothes. Many women in the group haven’t worn anything but saris since they got married. Most are fine with it but some wanted to wear a salwar-kurta; they didn’t dare.
Ich arbeite schon seit so vielen Jahren an diesen Problemen und doch habe auch ich über manche Dinge, zum Beispiel wie unsere Identitäten an unsere Ehemänner geknüpft sind, noch nie so ehrlich geredet. Es fühlt sich toll an, gewisse Dinge laut sagen zu können, ganz egal wie klein sie einem vorkommen.
In einer Diskussionsrunde haben wir uns über das Konzept der Ehre unterhalten und wie es mit der Kleidung verbunden ist. Manche Frauen in der Gruppe haben seit ihrer Heirat nur Saris getragen. Für die meisten ist das okay, aber manche wollten einen Salwar-Kurta, ein weites Hemd über einer Hose, tragen; sie haben sich nicht getraut.
Nach viel Streit und Diskussion über die Vorzüge der eigenen Kleiderwahl, die Moral verbunden mit den Saris und vieles mehr, schmuggelte Rohini ihr eigenes Paar Kurtas (Oberhemden) in eine Diskussionsrunde, sodass die Frauen sie tragen konnten. Als nächstes haben sie jetzt beschlossen, einen Ausflug nach Goa zu planen, bei dem sie Jeans tragen können und Rohini ist sich sicher, dass sie es schaffen werden.
Auf die Frage hin, ob sich in den fünf Monaten seit ihrem ersten Diskussionsklub schon etwas geändert habe, bestätigt Rohini, dass die Dinge langsam ins Rollen kommen:
Our steps have been small. Many women tried it a few times but then they stopped saying their husband’s name. Some, including myself, do it but only when they are alone and no other family member is around. Only one or two continue to say their husbands’ names; now only one or two women wear vermilion on their forehead all the time.
Wir haben bislang nur kleine Schritte gemacht. Manche Frauen probierten es ein paar Mal, aber hörten dann wieder damit auf, den Namen ihres Ehemannes zu sagen. Manche, mich eingeschlossen, machen es noch, aber nur, wenn sie alleine sind und keine anderen Familienmitglieder dabei sind. Nur eine oder zwei sagen weiterhin den Namen ihrer Ehemänner; nur eine oder zwei Frauen tragen jetzt zu jeder Zeit Zinnoberrot auf ihrer Stirn.
Die Frauen im Diskussionsklub wissen, dass die Veränderungen, die sie in ihrem Leben erreichen möchten – wie das Feilschen um mehr Bewegungsfreiheit oder die eigene Kleiderwahl – am Ende eines schwer zu navigierenden Flusses liegen. Indem sie sich gegenseitig Selbstvertrauen geben, wird ihnen bewusst, dass sie im gleichen Boot sitzen. Wie Rohini erklärt:
Each one of us is a victim of patriarchy. I am too. But this club gives each one of us the confidence that change will come. And I know that it won’t be limited to just 30 families, there will be a chain reaction when every woman at the club goes home and shares what we talk about and do. We’re all in it together.
Jede von uns ist ein Opfer des Patriarchats. Ich bin es auch. Aber dieser Klub gibt jeder von uns das Zuversicht, dass sich etwas ändern wird. Und ich weiß, dass es nicht nur auf 30 Familien beschränkt. Es wird eine Kettenreaktion geben, wenn jede Frau im Klub nach Hause geht und anderen Menschen davon berichtet, worüber wir reden und was wir tun. Wir sitzen alle im gleichen Boot.