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Lenče Zdravkin: eine Mazedonierin, die die Flüchtlinge ihre ‘zweite Mutter’ nennen

Kategorien: Ost- und Zentraleuropa, Mazedonien, Bürgermedien, Flüchtlinge, Good News, Humanitäre Hilfe, Ideen, Internationale Beziehungen, Religion
Lenče Zdravkin on the balcony of her house in Veles, Macedonia. Photo by Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Lenče Zdravkin auf dem Balkon ihres Hauses in Veles (Mazedonien). Foto von Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Einige Tage vor Beginn des neuen Jahres veröffentlichte die gemeinnützige Internetplattform „Samo prashaj“ (zu Deutsch: „frag einfach“) einen Beitrag von Lenče Zdravkin [1], einer Journalistin aus Veles in Mazedonien, die humanitäre Hilfe leistet. Ihr Einsatz für Flüchtlinge und Migranten hat ihr in der Öffentlichkeit große Bewunderung eingebracht.

Zdravkins Haus liegt neben den Bahnschienen, an denen Flüchtlinge auf dem Weg von Griechenland nach Westeuropa vorbeikommen. Sie kommen illegal aus Griechenland nach Mazedonien und vermeiden auf ihrer weiten Reise herkömmliche Transportmittel. Auch Fahrern, die die Flüchtlinge als Anhalter mitnehmen – ja sogar Rettungswagen – drohte die Verhaftung als Menschenhändler, sollten sie dabei entdeckt werden. Also legten die Flüchtlinge den Weg zu Fuß zurück, mit den Bahnschienen als Leitlinie durch diesen Teil der ‚Balkanroute’ von Süden nach Norden.

Als die Zahl der Migranten und Flüchtlinge, die nach Europa kamen, im Sommer 2015 sprunghaft anstieg, legten die mazedonischen Behörden neue Gesetze und Verfahrensweisen fest, um den Zustrom zu bewältigen. Dies führte dazu, dass heute weniger Menschen zu Fuß die Balkanroute gehen. Dennoch nutzen immer noch sehr viele Menschen diesen Weg nach Europa – vor allem Wirtschaftsmigranten, die den bürokratischen Aufwand eines Asylverfahrens umgehen wollen.

The town of Veles is located about halfway on the railway from Gevgelija to Tabanovce. Photo By Maximilian Dörrbecker (Chumwa) - own work, usinginformations about the Macedonian railway networkpolitical boundariesflag of Macedonia, CC BY-SA 2.5, Link [2]

Die Stadt Veles liegt auf halber Strecke an der Bahnlinie von Gevgelija nach Tabanovce. Wikipedia Bild [3] von Maximilian Dörrbecker – Chumwa [4], CC BY-SA 2.5 [5].

Der Marsch kann lebensgefährlich sein. In den letzten Jahren starben Dutzende Migranten und Flüchtlinge auf oder neben den Gleisen [6] in Folge von Unfällen oder Gewalt durch lokale Banden.

In ihrem Beitrag schreibt Zdravkin, sie konnte nicht einfach untätig dastehen und zusehen. Also begann sie, auf jede mögliche Art und Weise zu helfen – zuerst mit ihren eigenen Mitteln, dann als Teil eines Netzwerkes, das immer größer wurde, trotz der steigenden, von Politikern und ihnen nahestehenden Medien [7] weiter angeheizten Ausländerfeindlichkeit.

Lenče Zdravkin turned the ground floor of her house into a storeroom for humanitarian aid handed to passing refugees and migrants. Photo by Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Lenče Zdravkin machte das Erdgeschoss ihres Hauses zu einem Lager für humanitäre Hilfsgüter zur Verteilung an vorbeikommende Flüchtlinge und Migranten. Foto von Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

In ihrem Beitrag schreibt sie:

Беше почетокот на 2013, некаде март-април, уште температурите беа вака ниски. Немаше време да чекам, ниту да прашам кои се, што се. Само што ги видов – млади момчиња, отидов бргу да купам леб, да им се помогне, да им се даде. Тогаш се уште го немавме законот за бегалци и не беше така слободно. Најчесто, тоа се случуваше исклучиво во ноќните часови и јас преседував по цела ноќ за да ги пречекам групите. Нивниот топот е поинаков од локалното население. Нивните нозе се тешки и кога ќе чујам како се движат по камењата, знам дека се тие.

Во долниот кат во куќата ги собирам донациите, се трудам секогаш да ги има сите основни работи за нивните потреби. Долго време бев оставена сама на себе, не знаев веќе што да извадам од дома. Се случува да има бегaлци кои примаат редовна терапија, па ќе ги испратам децата или самата ќе претрчам до аптека да купам апчиња. Хигиенски средства секогаш треба да има, обувки, храна, млеко за дечињата. Се случувало некои денови, во дворот, во ходникот, по скалите да има по 300, 400, 500 луѓе наеднаш, па треба да им дадеш предност на постарите, на бремените, за болните да повикаш Брза помош или Црвениот крст, а тоа што можев и самата го санирав.

Es war Anfang des Jahres 2013, im März oder April. Es war noch ziemlich kalt, so wie jetzt auch. Es gab keine Zeit, zu warten oder zu fragen, wer oder was sie sind. Als ich sie sah – fast noch Jungen – ging ich Brot für sie kaufen, um ihnen zu helfen, um es ihnen zu schenken. Zu dieser Zeit hatte man das Flüchtlingsgesetz noch nicht geändert und man konnte nicht so frei handeln. Das meiste fand in der Nacht statt und ich blieb die ganze Nacht wach und wartete auf die Gruppen. Das Geräusch ihrer Schritte ist anders als das der Einwohner hier. Die Füße der Flüchtlinge sind schwer und wenn ich höre, wie sie sich über die Steine bewegen, weiß ich, dass sie es sind.

Ich sammle die Spenden im Erdgeschoss meines Hauses und ich versuche, immer die grundlegenden Dinge für sie zu haben. Lange Zeit habe ich das auf eigene Faust gemacht. Es kam sogar so weit, dass ich viele meiner Sachen verkaufte. Einige Flüchtlinge brauchen Medikamente, also schickte ich die Kinder zur Apotheke oder ging selbst schnell rüber und kaufte Tabletten. Hygieneprodukte werden immer benötigt genauso wie Schuhe, Essen oder Milch für die Kinder. Es gab Tage, da waren 300, 400, 500 Menschen auf einmal in meinem Garten, in meinem Flur, auf der Treppe. Dann muss man Prioritäten setzen, sich um die älteren Menschen und die Schwangeren kümmern und einen Krankenwagen oder das Rote Kreuz für die Kranken rufen. Einige Wunden verband ich selbst, wenn ich konnte.

Lenče Zdravkin in her home in Veles, Macedonia. Photo by Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Bei Lenče Zdravkin zu Hause in Veles (Mazedonien). Foto von Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

И пред бегалците имав големо семејство, сега со нив имам уште поголемо. Ме викаат „Ленце“ или „мама“, дури и повозрасни од мене ме нарекле мајка. Еден ми рече оставив една мајка во Алепо, вие сте втората. Ќе ми се јават и ќе ми кажат: Mајко, стигнав на сигурно.

Сите ме почитуваат, ми праќаат пораки, сакаат еден ден да се видиме повторно, да ги посетам. Успеав да спојам 13 члена на едно семејство да се најдат во дворот тука. По една година ми се јавија да побараат помош повторно, ако може да им помогнам да ја најдат и последната сестра и нејзините деца. Во маса од илјадници бегалци, јас само викав: Јасмин, Јасмин, сè додека не се најдовме. Конечно успеа да се спои целото семејство. Сега се среќни, одат на училиште, учат јазик, многу ми е драго што се заедно.

Ich hatte schon eine große Familie, bevor die Flüchtlinge kamen. Jetzt ist sie sogar noch größer. Sie nennen mich „Lence“ [mit weichem c statt mit hartem č ausgesprochen] oder „Mama“. Selbst Leute, die älter als ich sind, nennen mich Mutter. Einer von ihnen sagte zu mir: „Ich habe die eine Mutter in Aleppo zurückgelassen. Du bist meine zweite Mutter.“ Einige von ihnen riefen mich an und sagten: „Mutter, ich bin jetzt in Sicherheit.“

Sie respektieren mich alle, schicken mir Nachrichten, wollen mich einmal wiedersehen oder wollen, dass ich sie besuche. Ich habe es geschafft, 13 Mitglieder einer Familie in meinem Garten wieder zusammenzubringen. Ein Jahr später riefen sie mich an und baten mich, ihnen zu helfen, die letzte fehlende Schwester und ihre Kinder zu finden. In dieser Masse von tausenden Flüchtlingen rief ich Jasmine, Jasmine, bis ich sie gefunden hatte. Die gesamte Familie war wieder vereint. Jetzt sind sie glücklich, gehen zur Schule, lernen die Sprache und freuen sich, dass sie wieder zusammen sind.

Lenče Zdravkin and the train tracks in Veles, Macedonia. Photo by Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Lenče Zdravkin an den Schienen in Veles (Mazedonien). Foto von Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Многу несреќи се случија. Возот зеде многу жртви. Тоа се луѓе што биле кај мене, сум им пружила помош и само на неколку километри подолу од мојата куќа возот ги прегазил. Трчав по институции за да ги закопаат на новите гробишта. Ископаа масовна гробница, викнав луѓе, оџа да ги испочитуваме до крај, според нивните обичаи. Oваа година и споменик им направив, напишано е и на арапски и на англиски, чувствував потреба да го направам тоа, ако еден ден некој ги побара, иако имињата не им се знаат. Кога и да се навратам на тоа, јас сум болна, тие слики не можат да згаснат. Во мене постојат милион бегалци кои заминаа и милион приказни и секоја од нив остави лузна.

Es gab viele Unfälle. Die Züge forderten viele Opfer. Das waren Menschen, die zu mir kamen und denen ich geholfen hatte, und nur wenige Kilometer von meinem Haus entfernt, gerieten sie unter den Zug. Ich ging von einer Organisation zur anderen, um eine Beerdigung auf dem neuen Friedhof zu organisieren. Sie gruben ein Massengrab und ich rief einen Imam an, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, wie es bei ihnen Brauch ist. Dieses Jahr errichtete ich dort einen Grabstein mit einer Inschrift auf Arabisch und Englisch. Ich hatte das Bedürfnis, das zu tun, auch wenn wir ihre Namen nicht kennen, falls jemand nach ihnen sucht. Ich fühle mich schrecklich, wenn ich daran denke. Diese Bilder lassen mich einfach nicht los. Eine Million Flüchtlinge, die sich auf die Reise machten und eine Million Geschichten, die alle in mir weiter leben und von denen jede einzelne eine Narbe hinterlassen hat.

Lenče Zdravkin

Lenče Zdravkin. Foto von Viktor Popovski/IKS, CC BY-NC-ND 3.0

Економските мигранти никогаш не престанаа да поминуваат. Сега ме контактираше едно момче, не знам ниту од каде е, дали е од Сирија, Ирак… Ми пишува – Јас ќе тргнам по секоја цена пеш, дали си ти таму? Се разбираме многу лесно, иако тие не го разбираат нашиот јазик, а јас не го знам доволно нивниот, но за да помогнеш некому и очите зборуваат. Мислам дека не случајно сум се погодила на ова место. Не велам дека многу сум им помогнала, но тие се толку истрауматизирани и истоштени, што за нив и една блага насмевка многу значи. Енергијата ја црпам од нив, откако ќе си дојдат на себе и тие знаат да се пошегуваат, имаат желба за живот, желба за понатаму. Сфатив, благодарение на нив дека секогаш треба да бидеме благодарни за она што го имаме. Жално е што не знаеме да го цениме тоа.

Wirtschaftsmigranten kommen noch immer hier vorbei. Gerade erst hat mich ein Junge kontaktiert. Ich weiß gar nicht, wo er herkommt – aus Syrien oder dem Irak… Er schrieb: „Ich trete die Reise um jeden Preis zu Fuß an. Sind Sie da?“ Wir verstehen uns ganz leicht, obwohl sie unsere Sprache [Mazedonisch] nicht verstehen und ich ihre Sprache nicht spreche. Wenn man jemandem helfen will, braucht man nur mit den Augen zu sprechen. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass ich hier bin. Ich möchte nicht sagen, dass ich viel geholfen habe. Aber diese Menschen sind so traumatisiert und müde, dass ihnen selbst ein freundliches Lächeln viel bedeutet. Sie geben mir meine Energie und wenn sie wieder Kraft geschöpft haben, erzählen sie einen Witz, haben Lebensmut, möchten weitermachen. Dank ihnen habe ich erkannt, dass wir immer dankbar für das sein sollten, was wir haben. Es ist traurig, dass wir das nicht zu schätzen wissen.

Lenče Zdravkins Beitrag auf dem Portal Samo prashaj wurde unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported (CC BY-NC-ND 3.0). [8] und wurde mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Kommunikation (IKS) [9] in Skopje von Global Voices übersetzt und neu veröffentlicht.