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“Schwarzer Montag” in Polen: Frauen streiken gegen geplantes Abtreibungsverbot

Kategorien: Ost- und Zentraleuropa, Westeuropa, Deutschland, Polen, Arbeitskräfte, Bürgermedien, Frauen & Gender, Gesundheit, Menschenrechte, Politik, Protest
Women and men wearing black as a sign of opposition in the #BlackProtest in Berlin

Männer und Frauen tragen Schwarz als Zeichen der Opposition beim #BlackProtest in Berlin. Foto: Kasia Odrozek, CC BY.

Zehntausende Menschen in Europa [1] haben sich am “Schwarzen Montag” an Protesten beteiligt. Sie trugen Schwarz – aus Solidarität mit den Frauen in Polen, die gegen einen neuen Gesetzesentwurf streiken, der Abtreibungen fast komplett illegal machen würde.

Im Vorfeld wurde geschätzt, dass Millionen Frauen [2] bereit waren, nicht zur Arbeit zu gehen [3] oder die Hausarbeit zu verweigern. Während die genaue Anzahl der Streikenden noch nicht bekannt ist, hat die Aktion Unterstützer in zahlreichen polnischen Städten dazu inspiriert [4], ebenfalls zu protestieren. Massive Solidaritätsdemonstrationen gab es auch in Berlin, Brüssel und Kiew, kleinere Versammlungen wurden in Zagreb [5] und Skopje [6] beobachtet — insgesamt in 60 europäischen Städten [7]. Die hohe Beteiligung wurde intensiv in sozialen Medien und der internationalen Presse [7] kommentiert.

Unter den Hashtags #BlackMonday, #BlackProtest und #CzarnyProtest (“czarny” bedeutet “schwarz”) veröffentlichten Teilnehmer und Beobachter Bilder und Videos, unter anderem dieses Video, das zeigt, wie geschätzt 30.000 Menschen [8] im strömenden Regen in der Altstadt von Warschau demonstrieren. Tausende gingen in Gdansk (Danzig), Wroclaw (Breslau) und Krakau auf die Straße.

MASSIVE Protestbeteiligung in Warschau

Hier ist Kraft!

Der aktuelle Streik bildet einen Teil der “Schwarzen Protestbewegung”, eine massive Reaktion auf die kürzlich vorgestellten Pläne der Regierung, das Abtreibungsstrafrecht im Land zu verschärfen. Unter anderem sollen Frauen, die abgetrieben haben – auch wenn sie Vergewaltigungsopfer waren – und Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, mit 5 Jahren Gefängnis bestraft werden. Die rechtsgerichtete nationalkonservative PiS Partei (“Recht und Gerechtigkeit”) stellt die Mehrheit im Parlament und wird von der katholischen Kirche unterstützt.

Die Ortsgruppe der feministischen Organisation Dziewuchy Dziewuchom [19] organisierte einen solidarischen Protest in der Warschauer Straße in Berlin [20], zu dem sich über 1.000 Menschen versammelten. Polnische Frauen und Männer sowie deutsche und internationale Unterstützer aus allen Generationen kamen zusammen, um gegen den Gesetzentwurf zu protestieren und sich mit den Frauen in Polen zu solidarisieren.

„Es ist wichtig, in Berlin zu protestieren, nicht nur, weil dort viele Polen leben, sondern auch um lautstark darauf aufmerksam zu machen, was in Polen passiert”, sagte Anna Krenz, eine der Organisatorinnen des Protestes in Berlin.

Solidarity #BlackProtest in Berlin

Solidarischer “#BlackProtest” (Schwarzer Protest) in Berlin. Foto: Kasia Odrozek, CC BY.

Karolina, eine polnische Demonstrantin aus Berlin, erzählte Global Voices die bewegende Geschichte ihrer Fehlgeburt, und warum es für sie so wichtig war, am Montag zu protestieren:

A few months ago, the day I realized I was pregnant, I have also gotten the news that my grandmother had a stroke and is fighting for her life in a hospital in Poland. Some days later I packed my stuff and went to see her and (as it clear from today's perspective) say goodbye.

It was a long drive, a very emotional days and a hard time. On the way back home, to Berlin, still hundreds of kilometers away from Germany, I've started to have terrible pains and cramps in my lower abdomen. I also started bleeding. I immediately knew, what was going on, I've heard it from many friends, I was warned, that in the early stage of a pregnancy, miscarriages happen pretty often. I was crying, praying and suffering and of course the question came up, if I should just be driven to the next hospital.

But my intuition said “No! I will make it to Berlin and go to see doctors there”, which (after a call with my doctor) I did. I have sadly had a miscarriage, there was nothing to be done, but I had the best moral support from my doctors, I could have expected. They told me, it was not my fault, it couldn't have been the stress I have put myself into, there has most likely been a genetic problem and that I should be thankful to my body, because it protected me in the way it should. The doctors were warm, caring, understanding, supporting and just plain wonderful.

If I imagine what could have awaited me in a Polish hospital in the same situation, it makes me really grateful to be living abroad. If besides the trauma of losing a baby, I would have to have gone through the trauma of questions, accusations, moral instructions, shame, fear, denial of help or even the possibility of imprisonment, I would have been traumatized for life. I demonstrated today, because I just can't accept the new proposals of the abortion law in Poland. If they go through, the will destroy women's bodies, minds and souls. Even if it makes me speechless, I will raise my voice!

Vor einigen Monaten, am Tag als ich erfuhr, dass ich schwanger war, hatte meine Großmutter einen Schlaganfall und kämpfte in einem polnischen Krankenhaus um ihr Leben. Einige Tage später packte ich meine Sachen, um sie zu sehen und (wie im Nachhinein klar wurde) mich von ihr zu verabschieden.

Es war eine lange Fahrt, sehr emotionale Tage und eine schwere Zeit. Auf dem Rückweg nach Berlin, noch hunderte Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, bekam ich furchtbare Schmerzen und Unterleibskrämpfe. Ich fing auch an zu bluten. Ich wußte sofort, was los war, denn ich hatte von vielen Freundinnen gehört, dass in der ersten Phase der Schwangerschaft häufig Fehlgeburten passieren. Ich weinte, betete und litt, und natürlich fragte ich mich, ob ich nicht ins nächste Krankenhaus gehen sollte.

Aber meine Intuition sagte: “Nein! Ich will es bis nach Berlin schaffen und dort zum Arzt gehen”, was ich (nach einem Telefonat mit meinem Arzt) auch tat. Leider hatte ich eine Fehlgeburt, man konnte nichts mehr tun, aber ich bekam von meinem Arzt die beste moralische Unterstützung, die ich mir nur erhoffen konnte. Sie sagten mir, dass es nicht meine Schuld war. Es konnte nicht der Stress sein, dem ich mich ausgesetzt hatte, wahrscheinlicher war ein genetisches Problem. Ich könnte meinem Körper dafür danken, dass er mich in dieser Weise beschützt hatte. Die Ärzte waren warmherzig, liebevoll, verständnisvoll, unterstützend und einfach nur wundervoll.

Wenn ich mir vorstelle, was mich in der gleichen Situation in einem polnischen Krankenhaus erwartet hätte, bin ich sehr dankbar dafür, im Ausland zu leben. Wenn ich zusätzlich zu dem Trauma, mein Baby verloren zu haben, dem Trauma der Fragen, Beschuldigungen, moralischen Belehrungen, der Scham, Angst, Verleugnung, Verweigerung der Hilfe oder sogar möglicher Gefängnisstrafe ausgesetzt gewesen wäre, wäre ich jetzt für mein ganzes Leben traumatisiert. Ich habe heute demonstriert, weil ich die neuen Vorschläge für das polnische Abtreibungsrecht einfach nicht akzeptieren kann. Wenn sie durchkommen, werden sie Körper, Geist und Seelen der Frauen zerstören. Obwohl sie mich sprachlos machen, werde ich meine Stimme erheben!

Displayed for public view: a list of Polish parliamentarians who voted in favour of proceeding with the anti-abortion law (Berlin)

Öffentlich ausgehängt: Eine Liste der Parlamentarier, die für den neuen Gesetzentwurf gegen die Abtreibung gestimmt haben.

Inzwischen tat der polnische Außenminister Witold Waszczykowski den Protest [21] im Morgenradio mit den Worten ab: „Lasst sie spielen. Wenn die Leute denken, dass es heutzutage keine ernsteren Probleme in Polen gibt, sollen sie einfach weitermachen.” Er behauptete auch, dass die Frauenrechte in Polen in keiner Weise in Gefahr seien.

Als Antwort auf die Pläne der Regierung, das Gesetz gegen die Abtreibung zu verschärfen, planen feministische Aktivisten, eine Million Unterschriften zu sammeln [22]und eine Petition auf europäischer Ebene einzureichen. Da Polen Mitglied der EU ist, wollen sie die polnische Gesetzgebung über die Europäische Union beeinflussen.

Wenn man sich die wachsende Bewegung und Kraft des “#BlackProtest” ansieht, gibt es gute Chancen auf Erfolg.