Bulgarien zeigt, wie man Flüchtlinge nicht als Problem, sondern als Lösung sieht

Refugee children resettled in Bulgaria after the Balkan Wars. Photo: Wikipedia, Public Domain.

Flüchtlinge aus Griechenland im Jahr 1913, die während der Balkankriege nach Bulgarien umgesiedelt sind. Viele der heute noch lebenden Bulgaren sind direkte Nachkommen der Flut an Flüchtlingen, die über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg erfolgreich in die bulgarische Gesellschaft integriert worden sind. Foto: Wikipedia, öffentlicher Besitz.

Die vor den Konflikten und der Verfolgung fliehenden Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und anderen Ländern folgen auf der Suche nach einem besseren Leben in Westeuropa weiterhin der sogenannten Balkanroute, die von der Türkei nach Ungarn führt. Einige europäische Regierungen empfangen sie weiterhin mit Feindseligkeit und rechtsradikale Mainstream-Politiker nutzen die Flüchtlingssituation aus um ihre Wählerschaft einzuschüchtern. In manchen Ländern wird sie sogar als Rechtfertigung für paramilitärische Aktivitäten genutzt.

Sollten Sie der Meinung sein, dass diese Herangehensweise falsch ist, haben wir hier noch einen weiteren Grund, den Sie zu Ihrer Liste hinzufügen können.

Ein vor Kurzem veröffentlichter Bericht des Balkan Investigative Reporters Network (BIRN) erzählt die Geschichte eines Mannes in Bulgarien, die zeigt, wie bestehende Probleme mit Hilfe von Flüchtlingen gelöst werden können. In diesem Fall, stellen sie ihr Talent Industriezweigen zur Verfügung, in denen es an qualifizierten Fachkräften mangelt.

“The Bulgarian business processing sector lacks 50,000 people. The first condition for employees is to speak one more language apart from their mother tongue, because the companies operating from Bulgaria provide services for the whole world,” Vasil Velichkov, owner of the Sofia-based Sensika company, explained to BIRN.

“Dem bulgarischen Wirtschaftssektor im Bereich Verarbeitung mangelt es an 50.000 Mitarbeitern. Eine weitere Sprache, zusätzlich zur Muttersprache, zu beherrschen ist die erste Vorraussetzung für Angestellte, da in Bulgarien arbeitende Firmen weltweit Dienstleistungen anbieten”, erklärte Vasil Velichkov, Inhaber der Firma Sensika in Sofia, dem Netzwerk BIRN.

Gebildete Flüchtlinge, wie der syrische Journalist und Literaturprofessor Elias Sulaiman, 33, helfen dabei diese Lücken zu füllen. In der Hoffnung einen Weg nach Deutschland oder Schweden zu finden, kam er 2013 nach Bulgarien. Doch während er einige Zeit in dem Land damit verbrachte anderen Flüchtlingen zu helfen, erfuhr er von den dortigen Berufsmöglichkeiten in der wachsenden IT-Branche. Heute ist er Angestellter einer Outsourcing-Firma und hat mit einer einheimischen Frau eine Familie gegründet. Die Hauptgründe für seinen Erfolg waren seine Arabisch- und Spanischkenntnisse auf muttersprachlichem Niveau.

Der bulgarische Wirtschaftssektor trug seinen Teil dazu bei, indem man die Regierung davon überzeugte “das Verfahren, das nichteuropäische Fachkräfte für den Erhalt einer Arbeitsgenehmigung in Form einer Blauen Karte EU durchlaufen müssen, zu erleichtern”. Nichtsdestotrotz ist Sulaimans Fall relativ selten, da es der allgemeine Flüchtlingsbevölkerung an einer helfenden Hand der Regierung fehlt.

Refugee family arriving in Europe. Photo: International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, CC BY-NC-ND.

Eine irakische Flüchtlingsfamilie in Europa. Foto: International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, CC BY-NC-ND.

Der Mangel an Arbeitskräften beschränkt sich nicht nur auf Bulgarien, beziehungsweise wird dies zumindest nicht mehr lange tun. Die meisten europäischen Länder – samt der Staaten, die nicht zur Europäischen Union gehören – verzeichnen eine demografische Alterung und werden deshalb, sofern sich nichts ändert, in der nahen Zukunft einige neue Arbeiter für allerhand Berufe brauchen.

Dazu kommt, dass Bulgarien in seiner jüngeren Geschichte mit ansehen musste, wie seine eigenen Staatsbürger das Land in Scharen verließen. Vor einigen Jahren, nachdem Bulgarien der Europäischen Union beigetreten war, zogen auf einmal viele Arbeiter auf der Suche nach besseren Aussichten in die wohlhabenderen EU-Länder. Beispielsweise gingen viele Bulgaren nach Großbritannien um dort als Erdbeerpflücker und Kartoffelsammler zu arbeiten. Andere gingen nach Griechenland, wo sie als Dienstmädchen in Hotels arbeiteten. Zu jener Zeit konnte man als Besucher oft hören, wie sich die Einheimischen darüber beschwerten, dass alle Jugendlichen und Frauen ‘weg’ waren.

‘Nicht in Flüchtlinge zu investieren ist ein riesiges Versäumnis’

Nichtsdestotrotz werden nach Europa kommende Flüchtlinge nicht immer so behandelt, als seien sie Mitglieder der Gesellschaft, die potenziell etwas beizusteuern haben.

Die Erklärung von Bratislava, die am 16. September von den Regierungs- und Staatschefs der 27 in der EU verbleibenden Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien) angenommen wurde, erinnert auf sprachlicher Ebene eher an einen Staat im Kriegszustand als in einer humanitären Krise. Es ist zum Beispiel die Rede von einer “heute gegebene[n] Zusage einer Reihe von Mitgliedstaaten, sofortige Hilfe anzubieten, um den Schutz der Grenze Bulgariens zur Türkei zu verstärken und die Unterstützung für andere Mitgliedstaaten an den Außengrenzen fortzusetzen”. [Hier sollte angemerkt werden, dass auf Englisch die Bezeichnung “frontline states”, zu Deutsch Frontstaaten, verwendet wird.]

Flüchtlinge und andere Migranten laufen weiterhin Gefahr misshandelt zu werden. Politico.com weist darauf hin, dass Menschenrechtsorganisationen in Ungarn ihre Besorgnis bezüglich der Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft wissentlich vielzählige Misshandlungen durch Behörden an der ungarischen Grenze ignoriert, geäußert haben.

Ungarn “verprügelt diese Menschen bis zum geht nicht mehr bevor sie sie zurück nach Serbien schicken” – @LydsG in @POLITICOEurope https://t.co/5C6bFnOX2C pic.twitter.com/iedl1Byv25

— Andrew Stroehlein (@astroehlein) 20. September 2016

Über die vergangenen hundert Jahre hinweg gab es einige Flüchtlingskrisen in Europa. Tortz moralischer Imperative reagierten die Regierungen des Kontinents oftmals alles andere als einfühlend. Viele der Länder, die entlang der heutigen Balkanroute liegen, waren direkt betroffen und waren entweder der Ursprungsort vertiebener Menschen oder der Zielort für Flüchtlinge der Balkankriege, des 1. Weltkrieges, des Holocaust, des Ungarischen Volksaufstands von 1956, sowie der Kampagnen zur “Ethnischen Säuberung” im ehemaligen Jugoslawien in den 1990ern.

“…letzten Endes ist die Geschichte immer auf der Seite derjenigen, die Flüchtlingen helfen und nicht derjenigen, die sie verteufeln.” – @NickKristof https://t.co/Vid6xIy7dw

— Melissa Fleming (@melissarfleming) 19. September 2016

Die Vergangenheit hat außerdem gezeigt, dass in vielen Fällen eine fehlgeleitete Bürokratie genauso viel menschliches Leid hervorrufen kann wie offenkundiger Rassismus und Engstirnigkeit. Viele der Straftäter, die Misshandlungen während der oben genannten historischen Ereignisse vollzogen haben, behaupteten später, sie hätten nur blind ihren Befehlen gehorcht und “den Regeln” gefolgt.

Das Rechtshilfecenter “Voice in Bulgaria” (Stimme in Bulgarien) veröffentlichte einen Bericht über deren Funde bezüglich der legalen und humanitären Aspekte der Festnahme von über 30.000 Migranten und Asylbewerber im Jahr 2015, sowie über 5.000 innerhalb der ersten fünf Monate des Jahres 2016. Die meisten der verhafteten Menschen kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Festnahme von #Migranten in Bulgarien: laden Sie den kompletten Bericht herunter https://t.co/OFrmsp49rJ

Die Webseite finden Sie hier: https://t.co/XWUMP8AUXe

— Ruslan Trad (@ruslantrad) 19. September 2016

Der Bericht bestätgte die Existenz “routinemäßiger Festnahmen, die in den meisten Fällen auf Strategien zur ‘Bewältigung’ des anwachsenden Migrationsflusses beruhten und nicht auf der individuellen Beurteilung des jeweiligen Falles, sowie einer Notwendigkeit diese Methoden anzuwenden, um das endgültige Ziel diese Personen aus dem Land zu entfernen zu erreichen.”

Er berichtete außerdem von einer besorgniserregenden Haltung gegenüber Minderjährigen ohne Begleitung und korrupten Verhaltensweisen während der Festnahme.

Sich von dieser feindseligen Mentalität loszulösen kann sowohl für die Flüchtlinge als auch für den Aufnahmestaat von Vorteil sein.

Im Jahr 2014 hielt Melissa Fleming, Sprecherin der UN-Flüchtlingsagentur, UNHCR, einen TED Talk über die Notwendigkeit, Flüchltinge beim Wiederaufbau ihrer Leben zu unterstürzen anstatt ihnen nur zu erlauben zu überleben.

Not investing in refugees is a huge missed opportunity. Leave them abandoned, and they risk exploitation and abuse, and leave them unskilled and uneducated, and delay by years the return to peace and prosperity in their countries […] The victims of war can hold the keys to lasting peace, and its the refugees who can stop the cycle of violence.

Nicht in Flüchtlinge zu investieren ist ein riesiges Versäumnis. Lässt man sie im Stich, laufen sie Gefahr ausgebeutet und misshandelt zu werden, lässt man sie ungebildet und unerfahren, verzögert sich die Rückkehr von Frieden und Wohlstand in ihrem Land um Jahre […] Kriegsopfer sind der Schlüssel zu anhaltendem Frieden und es sind Flüchtlinge, die den Kreislauf der Gewalt unterbrechen können.

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