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Das ‘Human Rights and Migration Project’ hilft Familien in Guatemala bei der Suche nach vermissten Angehörigen

Kategorien: Lateinamerika, Nordamerika, Guatemala, USA, Bürgermedien, Kriege & Konflikte, Migration & Immigration
Manuel sought help from the Migration Project after his daughter was injured in a car accident trying to reach the US. Credit: Amy Bracken

Manuel suchte Hilfe beim Human Rights and Migration Project, nachdem seine Tochter bei dem Versuch, in die USA zu gelangen, bei einem Autounfall verletzt wurde. Foto von: Amy Bracken.

Dieser Artikel von Amy Bracken [1] erschien am 5. Mai 2016 auf PRI.org [2] und wird hier im Rahmen eines Content-Sharing-Abkommens neu veröffentlicht.

Jeden Monat schieben die USA tausende Männer, Frauen und Kinder nach Guatemala ab. Trotzdem machen sich noch immer zahlreiche Menschen auf den Weg in die Vereinigten Staaten oder versuchen es zumindest. Viele von ihnen kommen aus abgelegenen Dörfern, die durch die Gewalt während des Bürgerkriegs vor Jahrzehnten zerstört wurden und in denen die wirtschaftlichen Auswirkungen noch heute spürbar sind.

Nach Berichten der Wahrheitskommission Guatemalas war die überwiegend von Nachfahren der Maya bevölkerte Stadt Zacualpa im nördlichen Bergland in den 1980er Jahren Schauplatz eines Völkermords. Viele Einwohner flohen damals. Heute ist in einigen Stadtteilen fast ein Fünftel der erwachsenen Einwohner auf der Suche nach einem besseren Leben nach Norden gezogen.

In Zacualpa können viele Einwohner der Versuchung nicht widerstehen, einen Kredit aufzunehmen und einem Schmuggler mehrere tausend Dollar dafür zu zahlen, dass er sie durch Mexiko in die USA bringt. Vielleicht schaffen sie es, finden dort Arbeit und können dringend benötigtes Geld zur Familie nach Hause schicken. Vielleicht schaffen sie es aber auch nicht, werden abgeschoben, sind wieder zurück in Zacualpa und es geht ihnen noch schlechter als vorher.

Vielleicht verschwinden sie aber auch.

In solchen Fällen kommt die Familie wahrscheinlich zu dem Kloster hinter der Kirche von Zacualpa, wo sich ein kleines Büro mit einem Schild mit der Aufschrift “Migration Project [3]” (soviel wie: ‘Migrationsprojekt’) befindet. Bei diesem Projekt handelt es sich um eine lokale Initiative, die vom Center for Human Rights (soviel wie: Zentrum für Menschenrechte) des Boston College im US-Bundesstaat Massachusetts unterstützt wird.

Hier arbeitet Luisa Hernández Simaj. Die meisten Menschen, die zu ihr kommen, suchen nach geliebten Menschen, die nach Norden gegangen sind, erzählt sie.

„Uns ist aufgefallen, dass sie sich nicht vorstellen”, erzählt sie. „Sie sagen zum Beispiel nicht ‚Mein Name ist María oder Juana und ich komme aus der Gemeinde XY.’ Das erste, was sie sagen ist ‚Ich suche nach einem Familienmitglied, das nach Norden gegangen ist.’”

Luisa Hernández Simaj works for the Migration Project helping family members locate missing loved ones in the US as well as supporting people who don't make it and return home in debt. Credit: Amy Bracken

Luisa Hernández Simaj arbeitet für das Migration Project, das Menschen hilft, vermisste Familienmitglieder in den USA zu finden und Menschen unterstützt, die es nicht geschafft haben und mit einem Berg Schulden nach Hause zurückkehren. Foto von: Amy Bracken.

Wer hierher kommt weiß, dass Hernández Simaj Zugang zu einem mächtigen Hilfsmittel hat: der Suchmaschine [4] auf der Webseite der Polizei- und Zollbehörde des US-Ministeriums für Innere Sicherheit. Dort gibt sie den Namen des Migranten, sein Herkunftsland und sein Geburtsdatum ein. Manchmal wird der Aufenthaltsort sofort angezeigt. Manchmal wird auch kein Ergebnis angezeigt. Das könnte darauf hindeuten, dass der Schmuggler den Migranten davor gewarnt hat, seinen echten Namen anzugeben. In so einem Fall füllt Hernández Simaj ein Formular mit allen Informationen über den Migranten aus und leitet es an eine Anwältin am Boston College weiter, die sich in ihrem Netzwerk aus Anwälten im ganzen Land umhört, ob jemand die Person kennt und weiß, wo sie sich aufhält.

„Wir freuen uns immer, wenn wir ein Ergebnis bekommen”, erklärt Hernández Simaj. „Selbst wenn wir erfahren, dass die Person im Gefängnis ist. Aber wir haben die Person gefunden. Die Familie weiß, dass die Person nach Hause kommen wird. Sie wissen nicht, wann das sein wird. Aber sie wissen wenigstens, dass er oder sie nach Hause kommen wird.”

Die Angehörigen sind einfach erleichtert, denn ihre größte Angst ist, dass der geliebte Mensch tot ist.

„Hier in Zacualpa haben wir vier Fälle, in denen Menschen verschwunden sind”, berichtet Hernández Simaj. Sie sind seit bereits vier bis fünfzehn Jahren verschwunden.

Es gibt aber auch so tragische Fälle wie den von Manuels Familie. Der 67-jährige kam vor ein paar Monaten zum ersten Mal in das Büro. Da wusste er schon, wo seine Tochter und sein Enkelsohn waren. Sie waren in Mexiko in einen Autounfall geraten, als der Schmuggler auf der Flucht vor den Behörden die Kontrolle über das Auto verloren hatte. Manuels Tochter war gerade aus dem Koma aufgewacht, ihr 8-jähriger Sohn war tot.

Hernández Simaj fährt die Familie besuchen.

Sie bittet Manuel in einer Mischung aus der K'iché-Sprache und Spanisch, seine Geschichte zu erzählen.

Vor einigen Jahren ging der Mann seiner Tochter in die USA, um dort Arbeit zu finden und seine Familie zu unterstützen, erzählt Manuel. Seine Frau und sein Sohn sollten ihm dorthin folgen, aber dazu kam es nie.

Der erste Versuch wurde durch US-Grenzbeamte vereitelt. Als sie es zum zweiten Mal versuchten, ereignete sich der Unfall. Als Manuel davon erfuhr, bat er das Migration Project um Hilfe. Die Mitarbeiter arbeiteten eng mit Kirchen in Mexiko zusammen und organisierten die Reise für ihn, damit er seine Tochter und die sterblichen Überreste seines Enkelsohns nach Hause holen konnte.

„Ohne die Kirchen”, sagt Manuel, „wäre das nie möglich gewesen”.

Zurück im Hof des Konvents steht schon der nächste Hilfesuchende, der 21-jährige Luis, vor dem Büro des Migration Projects. In gewisser Weise hat er Glück gehabt. Er hat dreimal versucht, in die USA zu gelangen und hat jedes Mal überlebt. Jedes Mal wurde er von US-Grenzbeamten erwischt. Als er zu diesem Punkt seiner Geschichte kommt, überwältigen ihn seine Gefühle und er ist für eine Weile still.

So schlimm es auch war, zum ersten Mal abgeschoben zu werden, sagt Luis dennoch: „Wenn man an die Schulden denkt, möchte man sofort zurück gehen, es noch einmal versuchen und alles, was davor passiert ist, einfach vergessen.”

Luis tired to reach the US three times and each time he was caught by Border Patrol and deported. Now he's home, struggling with the debt he incurred trying to get the US. Credit: Amy Bracken

Luis hat bereits dreimal versucht, in die USA zu gelangen. Immer wurde er von US-Grenzbeamten erwischt und abgeschoben. Jetzt ist er wieder zu Hause und kämpft mit den Schulden, die er gemacht hat, um in die USA zu gelangen. Foto von: Amy Bracken.

Eigentlich hatte er nur seine Familie unterstützen wollen. Stattdessen musste er Teile des Lands, das seiner Familie gehörte, verkaufen, um den Kredit und die Zinsen zurückzahlen zu können.

Seine Familie war es auch, die sich an das Migration Project wandte, um ihn suchen zu lassen. Jetzt ist er es, der hierher kommt.

„Es hilft mir, mit den Mitarbeitern hier zu sprechen”, erzählt er. In der Gemeinde „schämt man sich zu sehr, um über das eigene Scheitern zu sprechen”.

Hernández Simaj sieht dies ständig. Sie erklärt, dass die Menschen zum einen wegen der Last der Schulden nicht darüber sprechen möchten, aber auch „weil sie es nicht auf die andere Seite geschafft haben und sich nicht den sogenannten amerikanischen Traum erfüllt haben.”